„Ich würde es akzeptieren, wenn ich da umkomme. Muss ich ja auch, ich merke es dann eh nicht mehr“, sagt Victor. Er lächelt. Währenddessen vibriert die Tischplatte, weil er mit seinem Bein nervös auf und ab wippt. Fast im gleichen Atemzug sagt der 24-jährige Schwerter: „Keiner geht dahin, um ein Abenteuer zu erleben. Die Front ist nicht das, was mich primär interessiert. Es sind nicht die Soldaten, die den Krieg führen. Es ist eine Nation. Ein Volk, das sehr gut zusammenarbeiten kann.“
Victor Nordland ist Filmemacher und Dokumentarfotograf. Für das Filmstudium an der Ruhrakademie zog er in die Ruhrstadt. In nur wenigen Tagen, am 18. Juli, wird er nach Litauen aufbrechen, von dort aus geht es weiter in die Ukraine, mitten ins Kriegsgebiet – mit seiner Analogkamera „Olga“, Produktions- und Kameraassistent Vincent, dem lettischen Kriegsjournalisten Kristaps Andrejsons, bekannt durch den Podcast „The Eastern Border“, und einem Fahrer.

Kriegsdoku mit Analogkamera
Andrejsons wird als Russland-Experte die Ursachen für den Krieg zwischen Russland und der Ukraine aufzeigen, liefert Hintergründe für die Dokumentation, erklärt, wie Putin und die Hauptakteure ticken. Victor zeigt die Konsequenzen: die Geschichte, die Bilder, die Menschen, das Leid. Interviews und Porträts sind vor Ort für Film und Fotos geplant. Ihr Ziel: die Stimmen der Ukraine in den Westen zu tragen, die Augen zu öffnen.
Mit seiner Analogkamera des Typs „Olympus OM-1N“ wird Victor die Bilder für seine Doku festhalten: „Sie wurde 1972 für den Vietnam-Krieg konzipiert. Sie ist quasi unzerstörbar. 55 Jahre nach dem Bau ziehe ich damit los in den nächsten Krieg.“ Mit einem Labor ist er schon vor Ort in Kontakt, um seine Fotos direkt in der Ukraine entwickeln zu können. „Ich nehme so viele Filme dafür mit, wie ich mir leisten kann.“
Golf fährt mit Frittierfett
Mindestens eine Woche wird das vierköpfige Team für die Dokumentation in der Ukraine unterwegs sein, mit einem eigens dafür umgebauten VW-Golf: „Der fährt mit Benzin, Diesel, oder auch Frittierfett, wenn es sein muss. Frag mich aber nicht, wie das geht.“ Teilfinanziert wird das Projekt vom Kulturbüro der Stadt Wuppertal, wo Victor sein Filmstudio hat, von Andrejsons-Unterstützern und durch einen Spendenaufruf auf der Plattform gofundme.
Victor verfolgt seit Monaten intensiv die Kriegsberichterstattung, ist mit Ukrainern vor Ort in Kontakt und hat sich so gut vorbereitet, wie es eben geht, aber: „Wirklich vorbereiten kann man sich nicht. Ich mache mir keine Sorgen um mein leibliches Wohl. Eher um meine Psyche. Die schlimmste Vorstellung wäre, dort den Verstand zu verlieren.“ Er versuche sich aber mehr auf die Sache zu fokussieren, weniger auf sich selbst.

Victors größte Angst
In einigen Momenten, da werde die Gefahr des Kriegs dann aber doch für ihn real: Etwa wenn ein Restaurant, das ihm empfohlen wurde, plötzlich zerbombt ist und nicht mehr dort steht. Oder als er gefragt worden ist: Du willst an die Front? In die erste, zweite oder dritte Linie? „Da haben sich Bilder in meinem Kopf geformt, die mich erschreckt haben, wenn es so konkret wird.“ Seine größte Angst wäre es, von russischen Soldaten gefangen genommen zu werden, viel größer als die zu sterben. Dennoch kein Grund für Victor und seine Begleiter, nicht zu fahren und es sein zu lassen.

Unterstützung mit allem, „was wir haben“
„Wir gehen als Europäer dort hin. Die Ukrainer kämpfen für die Werte, für die wir stehen: für Pressefreiheit, für einen soliden Sozialstaat, für ein stabiles demokratisches System. Mit allem, was wir haben, müssen wir das unterstützen. Mit Kunst, mit Kultur, mit Journalismus, aber auch mit Waffen.“
Ein Fokus seiner Arbeit werden Nahaufnahmen sein. Vor allem interessiert den 24-jährigen Dokumentarfotografen, was die Menschen mit ihren Händen machen: „einen Verband anbringen, ein Skalpell halten, Händchenhalten oder eine Waffe halten – ich will gerne meine Perspektive erzählt haben, weil ich weiß, dass meine Arbeit das erzählen kann.“
Sechs Jahre hat der Schwerter an einer Holocaust-Dokumentation gearbeitet, sich mit Krieg und den Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs intensiv auseinandergesetzt und auch damit, in welcher Erzählform sie sich im Film von ihm darstellen lassen können. Auf Youtube ist diese zu sehen.
Jetzt schlägt der 24-Jährige ein neues Kapitel auf und erzählt die Kriegsgeschichte der Ukrainer aus der Perspektive seiner Kamera.
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