Wir erreichen Sigrid Reihs telefonisch an der Grenze zu Jordanien. Die Schwerter SPD-Politikerin ist auf dem Weg zum Flughafen nach Amman – sie hofft, wie viele andere an diesem Dienstag (10.10.), die Grenze passieren und von dort ausreisen zu können. Eigentlich sollte die Bildungsreise durch Israel noch bis Sonntag dauern, zehn schöne Tage habe man in dem Staat in Vorderasien verbringen wollen – nun möchte man die Krisenregion nur noch verlassen.
Nach dem Überfall der islamistischen Hamas ist die ohnehin besondere politische Lage in Israel eine andere. „Wir selbst sind im Moment etwas angespannt“, sagt Sigrid Reihs. „Nicht hysterisch oder über die Maßen aufgeregt, aber wir merken schon, dass wir hier nicht bleiben wollen.“
Ein stark militarisiertes Land
Die Schwerterin kennt Israel gut, fünf- bis sechsmal sei sie schon dort gewesen, genieße jedes Mal die Schönheit des Landes, bewundere die archäologischen Stätten. Sie habe sich in der Vergangenheit stets sicher gefühlt, auch wenn man immer schon in ein vergleichsweise stark militarisiertes Land gefahren sei.
„Da fährt die Kindergartengruppe neben den bewaffneten Soldaten“, erzählt Sigrid Reihs. Insofern sei es immer eine besondere Erfahrung gewesen. Diese Art von Terror aber hätte nicht nur sie überrascht, sondern auch die Israelis. Mit einigen von ihnen habe sie in diesen Tagen noch sprechen können.
Neue Eskalationsstufe
Bei dem Überraschungsangriff haben militante Palästinenser seit Samstagmorgen (7.10.) vom Gazastreifen aus mehrere Tausend Raketen auf Israel abgefeuert. Die radikal-islamische Hamas, die in Gaza herrscht und für die Attacken verantwortlich ist, verkündete den Beginn einer „Militäroperation“, Todeszahlen schnellen seit dem Wochenende in die Höhe.

Das sei eine ganz neue Eskalationsstufe, sagt Sigrid Reihs, die mit ihrem Mann in einer Reisegruppe von etwa 20 Personen unterwegs sei. „Das Land im Norden wirkte wie ein friedliches Gebiet“, erzählt die Schwerterin. „Aber das hat sich jetzt geändert, weil ja auch der Libanon nicht mehr ganz unbeeindruckt ist.“ Man merke die gedrückte Stimmung – die Situation sei unwirklich. Nicht nur für Touristen.
Nachdem man am Freitag am Flughafen Ben Gurion gestartet war, habe man am Samstag noch „ganz entspannt“ mit dem Programm der Bildungsreise begonnen. Die Nachricht über den Hamas-Terror habe den Samstag über gebraucht, bis sie bei der Reisegruppe angekommen sei. „Wir haben uns dann entschieden, dass es keinen Sinn macht hierzubleiben, und haben uns um eine Möglichkeit bemüht, hier rauszukommen.“ Über den Flughafen Ben Gurion geht das nicht mehr, die Lufthansa hat die Flüge gestrichen.

Nächte in einem Kibbuz verbracht
Am Dienstag nun steht die Reisegruppe in einer Warteschlange aus Bussen, während Sigrid Reihs telefoniert und erzählt, dass normalerweise nur etwa 100 Menschen pro Tag den Grenzübergang zwischen Israel und dem Königreich überqueren. „Auch Jordanien war ja nicht darauf vorbereitet.“ Dass man in der Hauptstadt Amman möglichst schnell einen Flieger zurück in die Heimat nehmen kann, darauf hoffen an diesem Tag viele.

Die letzten beiden Nächte habe die Reisegruppe in einem Kibbuz, einer ländlichen Siedlung, übernachtet. Auch solche Siedlungen sind in den vergangenen Tagen vor allem im Süden des Landes von Terroristen aus dem Gazastreifen überfallen worden. „Wir haben in unserem Kibbuz mit Israelis gesprochen“, erzählt Sigrid Reihs. Natürlich wüssten die Israelis um die Lage in ihrem Land, „aber sich auf ein Leben in Bunkern vorzubereiten, ist eine völlig andere Situation. Das wurde uns heute noch einmal erzählt“.

Kritik an Ministerpräsident Netanjahu
Die Situation sei unvorstellbar, die Israelis „maximal erschrocken“. Glaubt man Medienberichten, sei auch die israelische Regierung von dem Angriff überrascht worden. In dem Kibbuz sei Kritik an Ministerpräsident Netanjahu geäußert worden, wie Sigrid Reihs von der Übersetzerin erfahren habe.
Das Mitgefühl mit den Opfern fehle, anders als bei der damaligen Ministerpräsidentin Golda Meir beim Jom-Kippur-Krieg 1973, als Israel von Ägypten und Syrien angegriffen wurde. Benjamin Netanjahu rede aktuell nur von der Stärke Israels und vom Krieg, den man gewinnen werde. So äußerte sich Netanjahu laut Medienberichten in einer Fernsehansprache nicht zu den etwa 160 aus Israel in den Gazastreifen verschleppten Geiseln.
In der Rede schwor Netanjahu sein Volk auf einen langen Krieg ein. Sigrid Reihs will dieser Krisensituation nun entkommen. Ob sie darauf verzichten werde, künftig nach Israel zu reisen? „Das kann ich im Moment noch nicht sagen“, antwortet die Schwerterin, immer noch in der Warteschlange an der jordanischen Grenze. Zu unvorhersehbar ist wohl die Zukunft. „Aber in ein Land, das sich im Krieg befindet, würde ich nicht reisen.“
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