Psychotherapeut rät zum Haustier "Ein Tier streicheln - das ist fast wie Hypnose"

Psychotherapeut rät zum Haustier: „Ein Tier streicheln ist wie Hypnose“
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Jeden Tag werden sie mit dem Hund spazieren gehen. Keine Frage: Regelmäßig werden sie die Katze füttern. Und das Aquarium der Schildkröte machen sie auf jeden Fall sauber. Beim Thema Haustiere gehen Kindern die Pro-Argumente selten aus.

Und während der Papa damit rechnet, dass er selbst derjenige ist, der viermal täglich mit dem Plastikbeutelchen hinter dem Fiffi herläuft, macht Mama sich Sorgen darüber, dass die Schildkröte spätestens nach drei Wochen in einer grünen Suppe umherpaddelt. Warum Tiere aber gute Lebensbegleiter sind – und wie viel Verantwortung Kinder dabei übernehmen können – darüber haben wir mit dem Kinder- und Jugendpsychotherapeuten Dr. Christian Lüdke (62) gesprochen.

Warum ist es für ein Kind wichtig, ein Haustier zu haben?

Tiere sind wichtige Begleiter für Kinder und eine schöne Freizeitbeschäftigung dazu. Kinder können sich mit dem Tier identifizieren, und das Tier ist sehr treu. Es kommt natürlich darauf an, was für ein Tier es ist: Hunde sind das Allerbeste, aber alle anderen Tiere sind auch dafür geeignet, um einem Kind den Wert der Tierliebe zu vermitteln. Wenn man exotische Tiere hält, kann das darüber hinaus auch das Selbstwertgefühl des Kindes stärken.

Es geht also auch um Werte?

Ganz genau. Es geht darum, dem Kind bestimmte Werte zu vermitteln. Dazu gehört Tierliebe, Respekt vor dem Leben. Das Kind setzt sich damit auseinander, Verantwortung zu übernehmen. Und von daher gibt es für Kinder eigentlich nichts Schöneres, als mit Tieren aufzuwachsen. Außerdem kann ein Haustier das Immunsystem stärken, je nachdem wie eng der Kontakt ist. Medizinische Studien belegen, dass der Kontakt mit Bakterien, die Tiere haben, zum Beispiel gut für das Magen-Darm-System ist.

In welchem Alter kann mein Kind Verantwortung übernehmen?

Je früher Kinder mit Tieren aufwachsen, umso eher lernen sie, Verantwortung zu übernehmen. Sich an Regeln zu halten, die Zeit einzuteilen. Ob ich Fische habe, einen Hund oder eine Katze: Die müssen immer zur gleichen Zeit gefüttert, sauber gemacht oder spazieren geführt werden. Wichtig ist: Da ist ein Lebewesen in meinem Haus, und dieses Lebewesen hat auch bestimmte Bedürfnisse. Das führt dazu, dass Kinder in ihrer Persönlichkeitsentwicklung gefördert werden.

Kann mein Kind das alles allein schaffen?

Man kann auf keinen Fall von einem Kind erwarten, dass es sich selbstständig um das Tier kümmert. Man sollte Kinder aber immer wieder daran erinnern und sie auch spielerisch dazu hinführen. Damit stärkt man die „intrinsische Motivation“. Das bedeutet, dass die Motivation aus dem Inneren des Kindes kommt, weil es etwas selber will.

Haben Sie eine solche besondere Motivation schon kennengelernt?

Ich habe einmal ein kleines Mädchen kennengelernt, ungefähr acht Jahre alt. Sie hatte sich schon lange einen Hund gewünscht. Die Eltern wollten das erst nicht – und der Vater forderte irgendwann das Mädchen auf, sie solle im Sommer jeden Tag einen Stein an einer Schnur herumziehen. Quasi als Durchhalte-Probe zum Gassigehen. Ich fand das nicht besonders gut. Aber: Sie hat das durchgezogen. Die ganzen Sommerferien ist sie mit einem blöden Stein an der Leine herumgelaufen. Und sie hat ihren Hund bekommen.

Das klingt krass. Aber gute Vorbereitung geht auch ohne Stein, oder?

Ein Tier sollte keine Überraschung sein – also kein Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk. Man sollte schon gemeinsam überlegen, dass ein Haustier die Familie bereichern kann, aber dass es durchaus für mehrere oder viele Jahre in der Familie ist. Und das muss man gemeinsam entscheiden, weil dann auch alle mithelfen müssen.

Dann würde ich erstmal schauen, welches Haustier das Beste für mich ist. Lebe ich in einer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung, oder habe ich ein Haus mit Garten? Das sollte man alles im Vorfeld bedenken, damit es auch dem Tier gerecht wird.

Jeder hat bestimmt seine Favoriten, also Hund oder Katze oder – was ich auch persönlich toll finde – Vögel. Ich habe als Kind über viele Jahre einen Graupapagei gehabt, den ich bis heute vermisse, und der unfassbar gut gesprochen hat. Polly hieß er. Das war schon eine extrem starke Bindung. Selbst ein Wellensittich kann unheimlich viel Spaß bereiten.

Spaß ist dabei aber nicht der einzige Vorteil, oder?

Ich habe das selbst zu Hause erlebt, wenn wir zum Beispiel in unserer Familie Stress hatten. Da habe ich gehört, wie die Kinder mit den Hunden gesprochen haben. „Papa war heute total bescheuert, und Mama hat nur rumgemeckert.“

Man spricht ja mit dem Tier fast so wie mit Kuscheltieren. Man kann ihnen alles anvertrauen, die erzählen das auch niemandem weiter. Sie sind also tolle Blitzableiter. Da können Kinder eine Menge von dem Stress, den sie in Kita, Schule oder auch zu Hause erleben, abladen.

Insbesondere auch, wenn Kinder Liebeskummer haben, wenn sie sich ausgegrenzt fühlen, dann sind die Tiere ganz tolle Seelentröster. „Fellosophen“ sag ich immer. Insbesondere Hunde können bei traumatisierten oder extrem gestressten Kindern eine ganz besondere Rolle spielen.

Ob Hund oder Katze - um sein Haustier muss man sich kümmern.
Ob Hund oder Katze - um sein Haustier muss man sich kümmern. © Niehaus (A)

Was ist mit Katzen?

Na ja, Katzen wurden früher als Gottheiten verehrt und haben das bis heute nicht vergessen. Aber Spaß beiseite: Das Streicheln von Hunden und Katzen senkt erwiesenermaßen den Blutdruck und verlangsamt auch Herzrasen. Allein die Beschäftigung mit den Tieren fokussiert die Aufmerksamkeit. Aus therapeutischer Sicht ist das nichts anderes als eine Trance-Induktion, also wie die Einleitung einer Hypnose. Es entsteht eine tiefe Entspannung. Wenn sie sich mit dem Tier beschäftigen, sind Kinder vollkommen bei sich und dem Tier und vergessen dabei alles andere. Von daher können Tiere echt tolle Helfer sein, um Alltagskonflikte zu lösen oder vollkommen vergessen zu machen.

Sie selbst sind ein großer Hundefan. Warum?

Ich bin Hunde- und Pferdemensch. Wir haben zwei Hunde und drei Pferde. Einen unserer Hunde, einen Mops, mussten wir gerade leider einschläfern lassen. Wenn ich das ganz neutral betrachte, finde ich, dass Hunde gerade auch als therapeutische Begleiter extrem wertvoll sind. Weil sie bedingungslos lieben und dabei tolle Spiel- und Sportkameraden sind. Sie freuen sich so unfassbar, und das führt zu einer ganz starken Bindung bei Kindern. Ich würde immer Hunde empfehlen.

  • Dr. Christian Lüdke (62) ist approbierter Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut und Klinischer Hypnotherapeut. Lüdke unterstützt Kinder, Jugendliche, Familien und Paare. TV-Zuschauerinnen und Zuschauer schätzen seit vielen Jahren seine kompetenten Tipps rund um das Thema Familie und Kinder.
  • Er ist selbst zweifacher Vater und gibt in unserer Kolumne Tipps zu vielen Fragen rund um Familie und Kinder.
  • Lüdke ist erfolgreicher Autor u.a. der Kinderbücher zu Stella & Tom.
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