Auf die Bedeutung der bevorstehenden Betriebsratswahlen macht (v.l.) IG-Metall-Geschäftsführer Jens Mütze (Hagen) aufmerksam mit den Betriebsräten (v.l.) Ralf Behler (Schwerter Profile), Tahsin Sancak (Hundhausen Casting), Udo Przelozny (Montanstahl GmbH), Gaby Schellknecht (Deutsche Nickel) und Markus Danschewitz (Zapp).

© Reinhard Schmitz

Betriebsräte als Co-Manager: Schwerte als Industriestandort gerettet

rnWirtschaft in Schwerte

Am Ende konnten 649 Jobs gerettet werden. Das Engagement der Betriebsräte war in der Krise der Metallindustrie erfolgreich. Ein Unternehmen ist sogar wieder in die Tarifbindung zurückgekehrt.

Schwerte

, 27.02.2022, 13:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Drei Insolvenzverfahren, auch in anderen Betrieben massiver Jobabbau. Alles andere als vergnügungssteuerpflichtig war die Aufgabe der Betriebsräte in den Schwerter Metallunternehmen im vergangenen Corona-Jahr.

Am Ende konnten – mit schmerzlichen Einschnitten – sowohl Schwerter Profile (184 Mitarbeiter) als auch dessen früheres Presswerk (jetzt Montanstahl, 65 Mitarbeiter) und die Gießerei Hundhausen (jetzt Hundhausen Casting, 400 Mitarbeiter) gerettet werden.

Verzicht auf Weihnachtsgeld hält jüngere Kollegen an Bord

Hart gerungen wurde um jeden Arbeitsplatz. Bei Montanstahl beispielsweise muss die Belegschaft „ein paar Jahre auf Weihnachtsgeld und Urlaubsgeld verzichten“, um 14 Jobs zu retten und damit junge Kollegen an Bord zu halten, die bei einem Auswahlverfahren für einen Sozialplan hätten gehen müssen.

„Das hätte man nicht geschafft, wenn man die Gewerkschaft nicht im Rücken gehabt hätte“, sagt Betriebsrats-Vorsitzender Udo Przelozny. Vor allem bei Fragen rund um das sehr komplizierte Insolvenzrecht, von dem jeder gehofft hat, nie davon betroffen zu werden. Gerade in dieser Situation großer Ungewissheit müssten Entscheidungen meistens schnell getroffen werden.

Danach sah es lange nicht aus: Nach einer ungewissen Zeit in Insolvenz fahren wieder die LKW aus dem Tor von Schwerter Profile, nachdem der Betrieb von einem Käufer weitergeführt wird.

Danach sah es lange nicht aus: Nach einer ungewissen Zeit in Insolvenz fahren wieder die Lkw aus dem Tor von Schwerter Profile, nachdem der Betrieb von einem Käufer weitergeführt wird. © Reinhard Schmitz

Immer wieder war Jens Mütze, Geschäftsführer der Industriegewerkschaft (IG) Metall in Hagen, in Schwerte als „Feuerwehrmann“ gefragt. Die Herausforderungen an die Betriebsräte hätten sich gesteigert, berichtet er. „Wir vermieten keine Wohnungen mehr und verkaufen keine Kohlen“, sagt es Gaby Schellknecht, Betriebsrats-Vorsitzende der Deutschen Nickel, ganz plastisch.

Längst gehört das Verstehen komplexer Wirtschaftsdaten zum Rüstzeug. „Man muss auf Augenhöhe mit den Unternehmern sein, da man ein gemeinsames Interesse für ein erfolgreiches Unternehmen hat“, erklärt Jens Mütze. Wenn es nachweislich vonnöten sei, sei man bereit, gemeinsam zum Erhalt von Arbeitsplätzen mitzuwirken.

„Co-Management“ nennt es Ralf Behler, Betriebsrats-Vorsitzender von Schwerter Profile. Man müsse sich als Betriebsrat ständig weiterentwickeln.

Im Profilwerk gingen mehr Jobs verloren als erhalten blieben

In der jüngsten Branchenkrise seien „etliche Hundert Arbeitsplätze in Schwerte den Bach runtergegangen“, bedauert Ralf Behler. In seinem Betrieb sind mit 220 Verlusten mehr Abgänge zu verzeichnen als Stellen erhalten blieben.

Bei Hundhausen – so Betriebsrats-Vize Tahin Sancak – mussten 130 Kollegen gehen, im Hoesch-Presswerk traf es 35 Mitarbeiter, bei der Deutschen Nickel 67, als die Schmelze geschlossen wurde.

Der Traditionsname Hoesch ist von den Schildern an der Eisenindustriestraße verschwunden, nachdem das Profilwerk von neuen Eigentümern gerettet worden ist.

Der Traditionsname Hoesch ist von den Schildern an der Eisenindustriestraße verschwunden, nachdem das Profilwerk von neuen Eigentümern gerettet worden ist. © Reinhard Schmitz

Bei Zapp in Ergste dagegen gibt es nach Angaben von Betriebsrat Markus Danschewitz einen Tarifvertrag, der Kündigungen genauso wie Leiharbeit ausschließt. Lediglich Zeitverträge seien nicht verlängert worden. Nach einer „leichten Talsohle“ werde jetzt wieder massiv eingestellt.

Die Medizintechnik habe zu der schnellen Erholung beigetragen. Sichtbares Zeugnis für die Investitionen in die Zukunft sind die große Versand- und die Produktionshalle, die in den jüngsten Jahren hinter dem Feld an der Letmather Straße entstanden sind.

Bei Montanstahl gibt es jetzt „Tonnage ohne Ende“

„Dass wir Industrie-Arbeitsplätze in dieser Form noch haben, ist von Bedeutung für die Stadt“, sagt Jens Mütze, der auch mit Politik und Stadtverwaltung verhandelte. Mittlerweile geht es überall wieder bergauf. „Es funktioniert im Moment“, sagt Ralf Behler über die Schwerter Profile. Auch beim früheren Schwesterbetrieb, der heutigen Montanstahl, bezeichnet sein Kollege Udo Przelozny die wirtschaftliche Lage im Moment als gut: „Produktion ohne Ende, Tonnage ohne Ende, Prognose steigend.“

Auch für die Gießerei Hundhausen konnte schließlich ein Käufer gefunden werden.

Auch für die Gießerei Hundhausen konnte schließlich ein Käufer gefunden werden. © Reinhard Schmitz (A)

Und bei der Gießerei Hundhausen muss Tahsin Sancak die Belegschaft sogar von Überstunden überzeugen. Im Zuge der Insolvenz musste die dritte Schicht abgebaut werden, aber jetzt ziehe die Auftragslage wieder an: „Wir sind in einer Phase, wo es zu viel ist für einen Zwei-Schicht-Betrieb und zu wenig für einen Drei-Schicht-Betrieb.“

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Alles aber besser als die Zeit, als die Halbleiter-Engpässe bei den Kunden aus der Automobil-Industrie auch Hundhausen „hart getroffen“ hatten. Ein Kunde baute seine Fahrzeuge zunächst ohne Chips zum späteren Nachrüsten, ein anderer machte das aber nicht. Und der war ausgerechnet der größte Abnehmer.

Die Deutsche Nickel ist wieder tarifgebunden

Zu dem Aufschwung aus der Krise haben auch die Arbeitnehmer, die an Bord bleiben konnten, einen kräftigen Beitrag geleistet. Bei Hundhausen Casting beispielsweise haben sie den Flächentarifvertrag verlassen und verzichten in einem sogenannten Anerkennungs-Tarifvertrag „für einige Jahre“ auf Weihnachts- und Urlaubsgeld. Auch eine Tariferhöhung gebe es für zwei Jahre nicht, erklärt Tahsin Sancak und rechnet vor: „Das sind jährlich mehrere Millionen Euro, die wir abgeben.“

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Es gibt aber auch Erfreulicheres aus Gewerkschaftssicht zu berichten. „Wir sind wieder tarifgebunden“, erklärt Gaby Schellknecht von der Deutschen Nickel. Seit 2022 gelte für das Unternehmen wieder der Metalltarifvertrag. Und überall wird wieder kräftig ausgebildet.

In den Schwerter Metallbetrieben sei in diesem Jahr ein Bedarf von rund 40 Azubis, weiß Jens Mütze. Das Problem ist oft, die geeigneten Bewerber zu bekommen. Bei Hundhausen beispielsweise wollten alle nur Fachinformatiker werden, berichtet Tahsin Sancak. Für den Gießerei-Mechaniker dagegen gebe es noch keine einzige Bewerbung.

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Betriebsratswahlen

  • Am 1. März starten die alle vier Jahre fälligen Betriebsratswahlen in den Metallbetrieben der Ruhrstadt. Zeit dafür ist bis zum 31. Mai.
  • IG-Metall-Chef Jens Mütze ruft seine Kollegen zur Teilnahme auf, um für eine starke Interessenvertretung in ihren Betrieben zu sorgen. Der notwendige Wandel dürfe dort nicht verschlafen werden, und dabei müsse es gerecht zugehen.
  • Gewählte Betriebsräte können konkret mitbestimmen, so Jens Mütze: „Darum gibt es mit Betriebsräten bessere Arbeitsbedingungen, sicherere Arbeitsplätze und in der Regel mehr Geld.“ Wie Untersuchungen zeigten, hätten Betriebe mit Betriebsrat im Schnitt zehn Prozent höhere Entgelte gezahlt als andere.
  • Wahlberechtigt sind alle Arbeitnehmer ohne Leitungsfunktion, die das 16. Lebensjahr vollendet haben. Kandidieren darf man, wenn man seit mindestens sechs Monaten im Betrieb arbeitet. Eine Gewerkschafts-Mitgliedschaft ist jeweils nicht Voraussetzung.
  • „Man muss schon eine soziale Ader haben, und man muss mit Menschen können“, rät Jens Mütze den Bewerbern. Außerdem sei Betriebsrat ein Mannschaftssport.
  • Viele Betriebsräte sind – wie Markus Danschewitz bei Zapp und Gaby Schellknecht bei der Deutschen Nickel – von ihre Kollegen angesprochen worden, sich als Betriebsratsmitglieder zur Verfügung zu stellen.

  • „Ich sehe, wie wichtig das geworden ist“, sagt Gaby Schellknecht, die sich als Bindeglied zwischen der Belegschaft und der Geschäftsführung versteht. Denn wer gehe schon selbstständig mit seinem Anliegen in die oberste Etage zum Chef.