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Neue Attraktion: Grimm-Fans holen einen ganzen Märchenwald nach Schwerte
Klammheimlich organisierten drei Schwerter Grimm-Fans ihre Aktion: Sie holten einen Märchenwald aus Bayern nach Schwerte. Was nun mit den sagenhaften Figuren passieren soll.
Es war einmal die Zeit gekommen, da die Bewohner des Märchenwaldes auszogen, eine neue Heimat zu finden. Es herrschte seltene Eintracht. Selbst der böse Wolf war gar nicht bissig, die Hexe friedlich wie nie, als die bunte Schar in eine Dieselkutsche kletterte. Pferdekutschen waren aus der Mode gekommen...
So oder ähnlich könnte die zauberhafte Geschichte beginnen, die Schwerte zu einem Märchenland machen soll. Sie hat sich am Dienstag tatsächlich zugetragen.
Hinter der Aktion stecken drei Schwerter Märchen-Fans
Behutsam in Decken eingehüllt, kamen die Prinzessin, der Froschkönig, Hänsel und Gretel sowie die übrigen Helden nach einer 600 Kilometer langen Busfahrt in der Nachbarstadt Iserlohn zum Abholen an. Es war die wohl ungewöhnlichste Gesellschaft, die der Reisedienst Bärbel Fischer in seiner 44-jährigen Firmengeschichte je an Bord genommen hatte.
Anette Ernst und Michael Blaschzyk, die zu den Initiatoren des Projekts zählen, holten die Märchenwald-Figuren am Dienstag (26.7.) am Betriebshof vom Reisedienst Fischer in Iserlohn ab. © Reinhard Schmitz
Nach der Busfahrt aus Bayern finden Hänsel und Gretel bei Michael Blaschzyk ihr künftiges Zuhause. Der Froschkönig wird in einem anderen Schwerter Garten leben. © Reinhard Schmitz
Der Plan, der dahintersteckte, klingt nicht minder außergewöhnlich: Die Schwerter Märchen-Fans Gunther Gerke, Michael Blaschzyk und Anette Ernst wollen den Schwertern eine Attraktion zurückgeben, die sie selbst seit der Schließung des legendären Märchenwalds am Freischütz Ende der 1970er-Jahre so sehr vermissen.
„Oft haben wir darüber philosophiert, in Schwerte wieder einen Märchenwald zu installieren“, berichtet Michael Blaschzyk. Deshalb waren die Drei Feuer und Flamme, als sie von dem Schatz im Bayerischen Wald erfuhren. In einer Scheune in Bodenmais schlummerten die Figuren eines riesigen Märchenwaldes, der vor rund zehn Jahren geschlossen worden war.
Einige von ihnen mussten sogar ursprünglich noch vom Freischütz stammen. Denn die Betreiber hatten ihr Gelände nach und nach immer wieder mit Material aus aufgegebenen Parks vergrößert.
Einmal im Jahr öffnen sich die Gärten zum Besuch der Figuren
Das war die Chance für die Schwerter. „Doch schnell merkten wir, dass die Realisierung eines Märchenwaldes mit immensen Kosten verbunden wäre“, sagt Michael Blaschzyk. „So kamen wir auf die Idee, die ‚Märchentour an der Ruhr‘ anzubieten.“
Statt in einem Park vereint auf Besucher zu warten, werden Froschkönig und Co. in verschiedene private Gärten in der Stadt einziehen, deren Besitzer ihnen eine neue Heimat geben. Dort sollen sie sich aber nicht wie in einem Dornröschenschloss hinter hohen Hecken verstecken. Die Idee ist, die Gärten an einem Tag des Jahres – ähnlich wie bei der Garten-Eden-Aktion des Hospizes – für Eltern, Kinder und andere Interessierte zu öffnen.
Im Lager des stillgelegten Märchenwalds im Bayerischen Wald suchte sich Gunther Gerke den passenden Schimmel für seinen Märchenprinzen aus. © Gunther Gerke
„Dabei soll man mit dem Fahrrad von Garten zu Garten fahren, um dort das jeweilige Märchen mit den entsprechenden Figuren zu sehen“, weckt Michael Blaschzyk die Vorfreude und verspricht: „Natürlich wird es auch die Geschichte zu hören geben.“ Entweder vorgelesen aus dem dicken Buch der Gebrüder Grimm oder vielleicht auch abgespielt von einer nostalgischen Tonband-Cassette oder Schallplatte.
„Viele Kinder kennen die Märchen doch gar nicht mehr“, sagt Anette Ernst. Es liegt ihr und ihren Mitstreitern sehr am Herzen, das zu ändern. Die ganze Aktion soll kostenlos angeboten werden – möglichst mit einem Start noch in diesem Jahr.
Statt einer Leerfahrt lud die Busfahrerin die Prinzessin mit Gefolge ein
Bis dahin muss nicht nur der Schwanz des Hexen-Katers wieder richtig angeklebt werden. Auch andere Figuren brauchen noch eine Schönheitskur mit Pinsel und Farbe. Ihr teilweise 100-jähriges Leben unter freiem Himmel hat ihnen doch ein wenig zugesetzt.
Trotzdem hatte der Vorbesitzer – so erzählt Michael Blaschzyk – zunächst sehr stolze Preise aufgerufen. Doch dank des Verhandlungsgeschicks von Anette Ernst wurden sie dann doch noch erschwinglich.
Die Hexe ist schon in die Gartenhütte bei Michael Blaschzyk eingezogen und bekommt Besuch von Hänsel und Gretel. © Michael Blaschzyk
Die Schwerterin konnte auch den Transport Richtung Ruhr organisieren. Ihre Schwägerin ist Inhaberin des Iserlohner Reisedienstes Bärbel Fischer, der mit mehr als 20 Bussen auf Tages-, Mehrtages- und Transfer-Fahrten unterwegs ist. Da begab sich der glückliche Zufall, dass jetzt eine Gruppe für einen zweiwöchigen Aufenthalt nach Bad Füssing gebracht werden wollte.
Auf dem Rückweg ersparte sich Lenkerin Silke Steinhaus eine Leerfahrt, indem sie einen Schwenk nach Bodenmais machte und die Märchenfiguren einlud. Nur der große Schimmel für den Prinzen kam als Vorhut voraus. Weil er nie und nimmer in einen Frachtraum gepasst hätte, hatte sich Gunther Gerke schon vorher einen richtigen Pferdeanhänger besorgt.
Der Direktor der Schwerter Operettenbühne schwärmt immer noch von der Reitergruppe, die ihn in Kindertagen am Eingang des Märchenwalds am Freischütz begrüßte. Sagenhafte Stationen bis zu einer Höhle für Aladin gab es auf dem Gelände vor der Kulisse des Schwerter Waldes, die 1964 vom damaligen Pächter Heinrich Horn eröffnet worden waren.
Er hatte die Idee aus Bielefeld mitgebracht. Größte Attraktion war der Lügenbaron Münchhausen, der an einem Stahlseil auf seiner Kanonenkugel zum Freischützturm hinaufritt – und rückwärts wieder zurück. 20 Pfennig mussten für das Spektakel eingeworfen werden, bei dem der Radetzky-Marsch aus dem Lautsprecher knarrte.
Alle Figuren entstanden in einer Spezialfirma bei Coburg
Beim Pächterwechsel 1979 wurden die Figuren abgeräumt und verschwanden. Wie Gunther Gerke herausfand, stammten sie von einer Firma Hermann Steiner/Steha-Werk in Neustadt bei Coburg.
In alten Prospekten warb das Unternehmen mit einer langen Liste von Märchenwäldern, die es neben Schwerte in ganz Deutschland sowie in Frankreich, Dänemark und Schweden ausgestattet hatte. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann gibt es den einen oder anderen davon vielleicht immer noch. Und in Schwerte einen neuen, in etwas anderer Form.
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