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Landtagswahl: Parteien-Check mit der Brille eines Radfahrers
Politik
Für die aktuelle Landesregierung ist Nordrhein-Westfalen das Fahrradland Nummer 1. Politische Mitbewerber sehen das Land erst auf dem Weg dorthin und geben eigene Routen vor. Ein Überblick.
Volksparteien sind Vollsortimenter, was die politischen Themen angeht. Mit dicken Wahlprogrammen decken sie die unterschiedlichsten Lebensbereiche ab. Vor der Landtagswahl am 15. Mai liest unsere Redaktion die Programme mit unterschiedlichen „Brillen“ – zum Beispiel mit der des Radfahrers.
Wer sich mit der Frage befasst, was die möglichen Regierungskoalitionen im Landtag für den Radverkehr bringen können, stellt am Ende zwei Dinge mit Erleichterung fest. Nummer 1: Das Thema scheint Gewicht zu haben und wird bei CDU, SPD, Grünen, FDP und Linken entsprechend gewürdigt. Nur die AfD hält es deutlich knapper. Nummer 2: Auch inhaltlich gibt es große Überschneidungsbereiche. Es scheint, dass über den richtigen Weg in eine bessere Zukunft für Radfahrer durchaus Konsens erzielt werden kann.
CDU: Fokus auf Infrastruktur
Als Regierungspartei kann die CDU in ihrem Wahlprogramm auch auf die Bilanz der zurückliegenden Jahre verweisen. Seit 2017 habe man die Mittel für den Bau von Radwegen auf rund 100 Millionen Euro im Jahr verdreifacht. Verwendet worden seien sie für den Bau von rund 600 Kilometern neuer Radwege, was theoretisch einer Strecke von Köln bis Berlin entsprechen würde.
Auch weiterhin sieht die Union den Ausbau der Radinfrastruktur als Schlüssel für die Stärkung des Radverkehrs. Für die kommenden fünf Jahre plane sie weitere 1000 Kilometer an neuen Radwegen, aber auch landesweit rund 1000 „Mobilstationen“, die der Vernetzung verschiedener Verkehrsarten dienen sollen. Ein Beispiel dafür soll am Bahnhof in Unna-Lünern entstehen.
Überhaupt dürften es in der hiesigen Region vor allem die kleinen Nebenbahnhöfe sein, die mit tauglichen Abstellanlagen für Fahrräder zur „Wechselstelle“ zwischen Fahrrad, Bus, Bahn oder sogar dem Car-Sharing-Auto werden. Größere Bahnhöfe leisten diese Vernetzung bereits. In Unna etwa liegen rund um den Hauptbahnhof auch Busbahnhof, Radstation, Car-Sharing-Stützpunkt und die größte Tiefgarage der Stadt.
Die CDU erkennt, dass ein wichtiger Teil des Radwegeausbaus von den Kommunen organisiert und finanziert werden muss und sichert Unterstützung zu – übrigens auch für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Bikes. Eine Zahl, die den Unnaern bekannt vorkommen mag ist, die Zielmarke von 25 Prozent Fahrradanteil am Gesamtverkehr. Sie entspricht auch dem lokalen Entwicklungsziel.
FDP: Infrastruktur und Vernetzung
Als Partner in der aktuellen Landesregierung können die Liberalen ebenfalls auf die bisherige Bilanz verweisen. Und wie die CDU setzt sie auch auf den Ausbau der Infrastruktur als Instrument für eine Stärkung des Radverkehrs, also auf den Bau weiterer Radwege, Abstellanlagen und Mobilstationen.
Etwas stärker als die Union formuliert sie das Prinzip der Vernetzung: Bevor neue Radwege entstehen, müsste ihre jeweilige Bedeutung im Verbund betrachtet werden. Ziel sei es, mit Wegen unterschiedlicher Kategorien – vom einfachen Radweg zwischen Feldern bis zum Radschnellweg – ein echtes Netz zu spannen, das Städte verbindet und vorhandene Wege mit einbettet.

E-Scooter sind durchaus umstritten, weil die Leihgeräte mitunter behindernd abgestellt oder gar in Flüsse geworfen werden. Grundsätzlich seien sie aber ein interessantes Konzept für die „letzte Meile“ zwischen ÖPNV-Haltepunkten und dem eigentlichen Ziel einer Reise, findet die FDP. © picture alliance/dpa
Ausdrücklich sehen die Liberalen das Fahrrad als eines von verschiedenen Werkzeugen der Mobilität, die leistungsfähig und so klimafreundlich wie möglich eingesetzt werden sollten. „Auf dem Land kann niemand aufs Auto verzichten“, schreiben sie – was die Wähler in einer dicht besiedelten Region wie dem östlichen Ruhrgebiet wohl als Solidarbeitrag betrachten dürfen.
Als eine Besonderheit erwähnt die FDP in ihren Aussagen zum Radverkehr auch den E-Scooter: Er sei neben dem Fahrrad ein Baustein in der Vernetzung verschiedener Verkehrsarten, wenn er zum Beispiel die „letzte Meile“ zwischen einem Zielbahnhof und dem eigentlichen Ziel der Fahrt verbindet. „Wir begrüßen, wenn sie in weiteren Städten verfügbar sind“, schreibt die FDP.
SPD: Infrastruktur und Bürokratieabbau
Gute Bedingungen für den Radverkehr tragen für die SPD nicht nur zum Klimaschutz bei, sondern auch zur Wohn- und Lebensqualität eines Ortes oder einer Region. Daher kündigen auch die Sozialdemokraten einen „Umbau der Verkehrsinfrastruktur“ an, ohne dabei so konkrete Zahlen zu nennen wie die CDU. „Wir wollen die Radwegenetze im Land ausbauen und Lücken in den Vorrangnetzen für den Radverkehr schließen“, heißt es etwas allgemeiner formuliert.
Dafür befassen sich die Sozialdemokraten mit dem „Wie“ des Ausbaus, um ihn zu beschleunigen. Auch die SPD erkennt, dass vor allem die Kommunen als Partner gefragt sind. Mit ihnen wollen sie „konkrete Ziele für die Fahrrad- und Nahmobilität vereinbaren und die vereinbarten Maßnahmen mit ausreichenden finanziellen Mitteln hinterlegen“. Das Landesverkehrsministerium solle dafür eine eigene Stabsstelle Nahmobilität erhalten. Und: Man wolle „neue Chancen des Bundes, um Planungs- und Bauverfahren zu beschleunigen“ nutzen.

Wo bleibt er denn? Den Bahnhof Königsborn wird der geplante RS1 wohl erst in einigen Jahren erreichen. Politiker und Radfahrer aus dem Kreis Unna fordern mehr Tempo für den Radschnellweg. © Marcel Drawe
Dies mag gerade im Kreis Unna Interesse wecken: Dass der östliche Abschnitt des Radschnellweges Ruhr (RS1) als letzter in den Bau geht, hat auch damit zu tun, dass man erst eine Umweltverträglichkeitsprüfung vornehmen musste, um eine ehemalige Eisenbahntrasse in einen Radweg verwandeln zu können, der am Ende Autos von der Straße holen soll. Für einen schnelleren Bau des RS1 hatten sich auch die Genossen aus der Region mehrfach stark gemacht. Passend dazu verspricht das Wahlprogramm der Landes-SPD, die bereits beabsichtigten Radschnellwege in NRW „schnell Gestalt annehmen“ zu lassen.
Grüne: Infrastruktur und IT
Natürlich nimmt die Verkehrswende im Programm der Umweltpartei großen Raum ein. Sie will ein neues Fahrradgesetz erlassen, das deutlich ambitionierter sei als das der aktuellen Regierung. Dabei setzen auch die Grünen die Zielmarke für einen Radverkehrsanteil von „mindestens 25 Prozent“ ähnlich hoch an wie die CDU.
Ihr Instrumentarium dafür wirkt allerdings größer: Auch die Grünen setzen auf einen Ausbau der Fahrradinfrastruktur mit neuen Radwegen und Mobilitätsstationen, wollen dafür unter anderem Mittel aus dem Autobahnbau umschichten. Die Vernetzung von verschiedenen Verkehrsarten findet sich ebenfalls in den Programmen anderer Parteien.

Das Rad mit in die Bahn zu nehmen, ist ein naheliegendes Beispiel für die Vernetzung verschiedener Verkehrsarten. In der Praxis tun sich aber oft Probleme auf. Die Linke weist nun im Wahlprogramm darauf hin, dass Züge im Nahverkehr entsprechend viel Platz bieten müssten. Die Grünen wollen die Mitnahme des Rades in Bus und Bahn kostenlos ermöglichen. © picture alliance / dpa
Die Grünen schlagen allerdings auch eine gemeinsame Buchungsplattform für alle Mobilitätsformen vor, in der auch Mitfahrgelegenheiten oder Verleihangebote aufgenommen werden. Sie wollen den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad in einer Weise belohnen, die der Kaufprämie für ein E-Auto entspricht. In Bussen und Bahnen sollen Fahrräder gratis transportiert werden. Den Kauf von Lastenrädern wollen die Grünen für den privaten und den gewerblichen Bereich mit Zuschüssen fördern – ein Konzept, das in Unna zuletzt schon auf lokaler Ebene umgesetzt wurde. Tempo 30 als neue Regelgeschwindigkeit in den Städten könnte Radfahren sicherer und angenehmer machen.

Neue Wege zu bauen, dürfte nach Einschätzung der Linken nur ein „Lösungs-Mittel“ von mehreren für die Probleme des Radverkehrs sein. Alternativ sei wohl auch eine Umverteilung nötig – etwa durch die Ausweisung von Fahrradstraßen wie hier auf der Platanenallee am Kreishaus in Unna. © Sebastian Smulka
Linke: Beim Radfahren auf die Schwächeren achten
Als Partei mit sozialem Schwerpunkt sieht die Linke im Fahrrad nicht nur ein klimaschonendes, sondern auch erschwingliches Verkehrsmittel. „Fahrräder sind preiswert, ökologisch und benötigen wenig Geld und Raum für die Infrastruktur“, sie seien „Teil der Lösung für die Verkehrsprobleme in den Innenstädten“. Dabei denkt auch die Linke im Verbund verschiedener Verkehrsmittel und -wege.
Für den Ausbau des Radverkehrs setzt die Linke ebenfalls auf eine bessere Infrastruktur mit geeigneten Wegen, Abstellanlagen und Ladestationen. Aber auch Züge im Bahnverkehr müssten so entworfen sein, dass sie ausreichend Platz für Fahrräder, Kinderwagen und Gepäck bieten. Dabei solle auch das Prinzip der Barrierefreiheit beachtet werden.
Die Linke merkt an, dass der Ausbau der Radinfrastruktur wohl nicht überall durch Neubau und Neuversiegelung von Flächen geschehen könne, sondern durch Umverteilung. Eine Siedlungsstruktur und Politik, die im Allgemeinen dazu beiträgt Wege kurz zu halten, erwähnen die Linken ebenfalls in ihrem Fahrradkapitel. Typisch „links“ betonen sie zudem: „Dumpinglöhne für Fahrradboten lehnen wir strikt ab und solidarisieren uns mit den Beschäftigten.“
AfD: Sicherheit auch für den Radfahrer
Vom Umfang her widmet die AfD dem Thema Radverkehr weniger Raum im Wahlprogramm als andere Parteien. Doch auch sie setzt sich für den Ausbau des Radwegenetzes einschließlich Radschnellwegen, guten Abstellmöglichkeiten für Räder und Anbindungen an den Bahnverkehr ein. Die Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern sei ein wichtiger Entscheidungsfaktor für die Gestaltung des Verkehrs. Tempo 30 auf Hauptstraßen müsse aber nicht sein. Stattdessen könne der Radverkehr entweder auf weniger befahrenen Parallelstraßen oder – dann auch entlang der Hauptstraßen – auf eigenen Wegen rollen. Attraktive Radwege seien aber nicht nur ein Verkehrsangebot, sondern auch Freizeitangebote, die NRW attraktiver für den Tourismus machen könnten.
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Verwurzelt und gewachsen in der Hellwegbörde. Ab 1976 Kindheit am Hellweg in Rünthe. Seit 2003 Redakteur beim Hellweger Anzeiger. Hat in Unna schon Kasernen bewacht und grüne Lastwagen gelenkt. Aktuell beäugt er das politische Geschehen dort und fährt lieber Fahrrad, natürlich auch auf dem Hellweg.
