Untergang des Abendlandes? Nein, das in St. Viktor war genau das Gegenteil

© Christoph Harmata

Untergang des Abendlandes? Nein, das in St. Viktor war genau das Gegenteil

rnKlare Kante

Rede. Gegenrede. Jeder darf seine Argumente nennen. Was genau gibt es daran nicht zu verstehen? Was in St. Viktor in Schwerte passiert ist, war das Gegenteil vom Untergang des Abendlandes.

Schwerte

, 07.11.2019, 17:44 Uhr / Lesedauer: 2 min

Ist das der Untergang des Abendlandes? Oder eine Etappe auf dem Weg dorthin? Wenn eine Muslima mit Kopftuch in einer christlichen Kirche reden darf, vielleicht sogar von der Kanzel?

Mal direkt die Antwort: Nein, das ist kein Untergang. Das ist eine Diskussion – oder vielleicht eine Grundlage dafür. Wer ist berechtigt, in der Kirche zu sprechen? Darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein.

Nur: Dann muss man auch darüber reden. Miteinander. Und zuhören muss man auch. Den Argumenten des anderen.

Was aber ist passiert rund um die Kanzelrede 2019 in der St.-Viktor-Kirche in Schwerte?

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  • Schritt 1: Es gibt eine Ankündigung des Pfarrers, dass eine muslimische Frau am Reformationstag sprechen wird. Und dass man anschließend ins Gespräch über das Gesagte kommen wolle.
  • Schritt 2: Es gibt schon im Vorfeld Gegenwind. Unter anderem regt sich ein Schwerter darüber auf Facebook auf, bekommt Hunderte Likes und positive Kommentare.
  • Schritt 3: Eine deutschlandweit bekannte rechtsextreme Seite nimmt den Ball dankend auf und stellt zu längst nicht mehr sachlich formulierten Infos über die Veranstaltung noch Foto, Telefonnummer, Adresse und E-Mail-Adresse des Pfarrers. Man könne ja bei dem mal freundlich nachfragen...

Diese Methode erinnert an die Attacken auf Lübcke und Hollstein

Wie viele Schritte sind es da noch, bis wir bei Kassel oder Altena sind, bei einem Mord wie an Walter Lübcke oder einer Messer-Attacke wie auf Andreas Hollstein? Und jeder der vorher Beteiligten sagt einfach: Ach, ich wusste ja nicht... das konnte man ja gar nicht ahnen...

Das christliche Abendland. Darauf berufen sich oft diejenigen, die den anderen nicht zuhören wollen. Dabei ist die Basis unserer Gesellschaft, die Basis der Bundesrepublik Deutschland nicht das Christentum und die Bibel an sich.

Nein: Es ist die Aufklärung. Rede und Widerrede. Argumente abwägen – moralische, soziale, wirtschaftliche, wissenschaftliche. Und dann zu einem Kompromiss fähig sein. Wir sind uns einig darin, dass wir uns nicht einig sind. Aber wir gehen uns deswegen nicht an die Gurgel.

Meinungsfreiheit darf nicht auf Kosten anderer gehen

Religionsfreiheit. Gleichheit von Frauen und Männern, von Menschen verschiedener Herkunft und Hautfarben. Und vor allem Meinungsfreiheit.

Womit wir beim nächsten Missverständnis wären: Artikel 5 des Grundgesetzes lautet zwar: „Jeder hat das Recht, seine Meinung ... frei zu äußern und zu verbreiten.“ Da steht aber nicht, dass man das überall und auf die Kosten der anderen tun darf. Im Grundgesetz geht es nämlich direkt weiter mit: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze ... und dem Recht der persönlichen Ehre.“

Schwupps. Schon sind wir bei Immanuel Kant. Kategorischer Imperativ – damit lässt sich alles zusammenfassen. Sogar der Teil der Zehn Gebote, in denen es nicht um Gott geht, sondern um das Verhältnis der Menschen untereinander. Kant, in den alten einfachen Worten: „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“

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Die Grundrechte gelten für alle

Das – noch weiter zugespitzt – ist die Basis allen Zusammenlebens in diesem Land. Und da steht auch nicht: „...das füg auch keinem anderen zu, es sei denn, er ist Muslim.“ Oder: „...es sei denn, er ist schwul oder schwarz oder in einer Partei, die dir nicht passt.“

Das heißt auch: Selbst dem Hetzer und Intoleranten darfst du nicht die Autoreifen zerstechen. Und auch seine Adresse und Telefonnummer darfst du nicht veröffentlichen.

„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt.“ Das ist Grundgesetz, Artikel 2. Wem aber die eigenen Rechte wichtiger sind als die Rechte der anderen, wer partout nicht zuhören will, sondern nur immer weiter stören, attackieren, hetzen – der darf sich nun wirklich nicht beschweren, wenn ihm keiner zuhört.

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