„Treffpunkt" hieß das heutige Restaurant L´incontro an der Eintrachtstraße noch, als Kenan Karanfil dort von November 1981 bis Ende 1995 als Wirt hinter dem Tresen stand.

© Reinhard Schmitz

Kenan Karanfil kam vor 60 Jahren als erster türkischer Gastarbeiter nach Schwerte

rnAus der Türkei

Vor genau 60 Jahren kam Kenan Karanfil (87) als erster Gastarbeiter aus der Türkei in die Ruhrstadt. In die Stadt, wo er heimisch wurde. Man kannte ihn in vielen Betrieben – und in zwei Kneipen.

Schwerte

, 25.11.2021, 17:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Vier Tage lang hatte er im Zug gesessen. Als er am Bahnhof endlich aus dem Waggon klettern konnte, empfing ihn ein trüber deutscher Winterhimmel. Der Kalender zeigte den 25. November 1961, vor genau 60 Jahren. Es war der Tag, als Kenan Karanfil als erster Gastarbeiter aus der Türkei in die Ruhrstadt kam – und der aus ihm einen Schwerter machen sollte.

Schon am vierten Tag in Schwerte begann die Arbeit

Erst wenige Wochen zuvor hatte Deutschland das Anwerbeabkommen für Arbeitskräfte mit seinem Heimatland abgeschlossen. Die Fabriken in der boomenden Wirtschaftswunder-Ära brauchten jede Hand. Kaum angekommen, wurde Kenan Karanfil sofort mit einem Bus zum damaligen Waggonbau Brüninghaus nach Westhofen abgeholt, wo er eine Werksunterkunft bekam. Die Tinte unter dem Arbeitsvertrag war kaum getrocknet, als schon am 28. November 1961 die erste Schicht in den Hallen begann.

An der Pförtnerbude des früheren Waggonsbaus Brüninghaus in Westhofen ging Kenan Karanfil schon drei Tage nach seiner Ankunft in Schwerte vorbei zur Arbeit.

An der Pförtnerbude des früheren Waggonsbaus Brüninghaus in Westhofen ging Kenan Karanfil schon drei Tage nach seiner Ankunft in Schwerte vorbei zur Arbeit. © Reinhard Schmitz (A)

Als wichtigstes Gepäckstück in dem kleinen Koffer und der Tasche, die die Reise aus dem 2200 Kilometer entfernten Bolu bei Istanbul mitgemacht hatten, sollte sich das kleine Wörterbuch beweisen. Eigentlich hatte es der heute 87-Jährige als ständigen Begleiter bei sich. „Ich konnte kein Wort Deutsch, als ich herkam“, hat er immer erzählt.

Aber die Kollegen seien sehr hilfsbereit gewesen, standen beim Lernen der Sprache und dem Kennenlernen der Kultur stets zur Seite: „Ich habe mich von Anfang an in Schwerte sehr wohl gefühlt.“ Es gab damals – wie er berichtet – noch nicht viele Ausländer in der Stadt. Nur ein paar Spanier und vor allem Italiener seien vor ihm da gewesen.

1976 wurde der Schlosser zum Gastwirt

Kein Gedanke wurde deshalb an eine Rückkehr in die Türkei verschwendet, als der auf zwei Jahre befristete Vertrag auslief. Kenan Karanfil arbeitete in der Fördertechnik, auf Montage. Auch lernte er nach und nach fast alle Schwerter Großbetriebe der damaligen Zeit kennen: die Gießerei Hundhausen (1967), die Gute-Hoffnungshütte (1968/69), Papenmeier (1969-1976).

Nur noch der Stuck-Schwan am Erker über der Boutique Gina Laura erinnert in der Hüsingstraße an die frühere Gaststätte Zum Schwan, wo sich Kenan Karanfil am 1. August 1976 als Wirt selbstständig machte. Fünf Jahre später übernahm er dann eine Kneipe in der Eintrachtstraße.

Nur noch der Stuck-Schwan am Erker über der Boutique Gina Laura erinnert in der Hüsingstraße an die frühere Gaststätte Zum Schwan, wo sich Kenan Karanfil am 1. August 1976 als Wirt selbstständig machte. Fünf Jahre später übernahm er dann eine Kneipe in der Eintrachtstraße. © Reinhard Schmitz

Inzwischen war der Schlosser so gut in seiner neuen Heimat angekommen, dass er den Schritt in die Selbstständigkeit wagte: Zum 1. August 1976 übernahm er die damalige Gaststätte Zum Schwan in der Hüsingstraße (heute: Boutique Gina Laura).

Den Anstoß dazu, so verriet er einmal, habe seine Frau Margarethe gegeben. Am 20. November 1981 zog das Wirtepaar weiter in den früheren „Treffpunkt“ am Anfang der Eintrachtstraße (heute: Ristorante L’incontro), wo es Ende 1995 in den Ruhestand ging, der natürlich in Schwerte genossen wurde.

Feierlicher Eintrag ins Goldene Buch der Stadt Schwerte

Eine besondere Ehre wurde Kenan Karanfil – seine Ehefrau starb 2002 – jetzt im Rathaus zuteil, als er zu einer Feierstunde „60 Jahre Arbeitnehmer-Anwerbeabkommen mit der Türkei“ eingeladen wurde. Der Schwerter, der als Gastarbeiter gekommen war, durfte seinen Namen ins Goldene Buch der Stadt, offiziell Gästebuch genannt, eintragen.

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