
© Johannes Staab
Pflege-Azubi Isabel Spannaus (19): „Ich bin kaputt, aber möchte mein Bestes geben“
„Mensch, wie glücklich bist du?“
Die Party zum 18. Geburtstag? Ausgefallen. Stattdessen kämpft sich Pflege-Azubi Isabel Spannaus durch Homeschooling und unterbesetzte Arbeitstage. Sie erleidet einen Nervenzusammenbruch.
Was haben zwei Jahre Corona mit uns gemacht? Wie geht es uns damit? Empfinden wir noch Glück? Wie hat sich unser Leben verändert? An unserer Umfrage „Mensch, wie glücklich bist du?“ haben auch Schwerter Leserinnen und Leser teilgenommen. Und wir haben Menschen getroffen, die uns erzählen, wie sie die letzten zwei Jahre erlebt haben.
Dass die Ausbildung zur examinierten Pflegefachkraft nicht ohne ist, wusste Isabel Spannaus (19) bereits vor Corona. 2019 entschied sich die junge Schwerterin dennoch für einen Berufsweg in der Pflege, weil sie ein Mensch ist, der gerne mit anderen Menschen zu tun hat.
Umso härter treffen die Auswirkungen der Pandemie die 19-Jährige: Kontaktbeschränkung, Homeschooling statt Berufsschule, geschlossene Diskotheken. „Ich bin nicht mehr so ein glücklicher Mensch“, sagt sie betrübt.
Ein Stück der Jugend genommen
Besonders das Feiern, sich unbekümmert mit vielen anderen Menschen treffen, fehlt der 19-Jährigen. Genau das eben, was man in jungen Jahren gerne so macht. „Ich bin immer gerne rausgegangen, habe gerne neue Menschen kennengelernt, um den Kopf freizubekommen. Aktuell lebe ich nur für die Arbeit“, fasst Isabel Spannaus ihre aktuelle Situation zusammen.
Auch ihren 18. Geburtstag habe sie nur im kleinen Kreis feiern können anstatt, wie sie es sich eigentlich vorgestellt hatte, im Rahmen einer großen Party. „Man stellt sich vor: Jetzt fängt das Leben richtig an und dann sitzt man an seinem 18. Geburtstag mit fünf Leuten da. Das ist schon traurig.“

Isabel Spannaus geht normalerweise gerne raus, um neue Leute kennenzulernen. Das war in den vergangenen zwei Jahren oft nicht möglich. © Johannes Staab
Neben den fehlenden Möglichkeiten, das Leben als junger Mensch befreit auszukosten, komme es im engeren Freundeskreis aktuell hin und wieder zu Konflikten: „In unserem Freundeskreis gibt es einen, der sich nicht impfen lassen will. Wir versuchen ihn zu überzeugen, aber es hat keinen Sinn. Einen Monat hatte er gar keinen Kontakt zu uns.“
Außerdem sei es schwierig, sich mit vielen Leuten bei jemandem Zuhause zu treffen, weil dabei die Eltern nicht immer mitspielen. Es ist Isabel Spannaus anzumerken, dass sie am liebsten über all das reden möchte, was ihr in dieser schwierigen Zeit auf dem Herzen liegt.
Ganz besonders belastet sie indes die Situation auf der Arbeit. Den praktischen Teil ihrer Ausbildung zur examinierten Pflegefachkraft absolviert sie in einem Seniorenheim in Unna, am Ende des Jahres stehen ihre Abschlussprüfungen an.
„In der Praxis stehe ich 1, in der Theorie 3, 4 oder auch 5. Und das geht vielen so“, erklärt sie und fügt an: „Die Ausbildung geht drei Jahre und ist eh schon kurz, für das, was man alles lernen muss. Durch die Online-Schule ist das noch schwieriger. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll zu lernen.“ Die 19-Jährige, die noch bei ihren Eltern wohnt, klingt verzweifelt.
Berufsschule von Zuhause aus
Die Schulblöcke gehen mitunter über sechs Wochen und werden seit geraumer Zeit komplett online, also im Homeschooling, durchgeführt. Ein Zustand, den Isabel Spannaus nicht ertragen kann: „Es ist schwierig, sich die ganze Zeit vor der Kamera zu konzentrieren, es ist laut, manchmal stürzt das System ab. Außerdem bekommen wir viele Dinge, die früher in der Schule erklärt worden wären, einfach als PDF zugeschickt zum Ausdrucken.“ Nicht alle hätten zudem einen Drucker Zuhause.
Insgesamt sei es zu viel Material und zu wenig Zeit zum Lernen, die Situation des Homeschoolings würde all das noch erschweren. Vor allem, weil Isabel Spannaus den Kontakt zu ihren Mitmenschen während dieser Zeit vermisst. Die Mitschüler und Lehrkräfte sieht sie nur auf ihrem PC-Bildschirm: „Ich fühle mich dann antriebslos und habe seit dieser Zeit deutlich schlechtere Noten auf dem Zeugnis. Dazu kommt das viele Material, was wir ausdrucken und lernen müssen. Ich denke, dass ich deswegen die Ausbildung nicht schaffe.“
Gerade in ihrem Job, der Pflege, sei der direkte Kontakt besonders wichtig, auch in der Berufsschule. Isabel Spannaus fällt dafür sofort ein treffendes Beispiel ein: „Da wir auch mit dem Thema Tod zu tun haben, werden Filme zu diesem Thema in der Schule geschaut. Normalerweise sieht man sich diese mit dem Lehrer zusammen an, weil es auch sehr emotional werden kann und wir lernen müssen, damit umzugehen“, erklärt sie. Zur Zeit müsse man sich solch einen Film eben alleine ansehen.
Große Belastung auf der Arbeit
In der Praxis läuft es bei Isabel Spannaus deutlich besser, zumindest was die Noten angeht. Nervlich gesehen, sei der Arbeitsalltag in der Seniorenresidenz jedoch mindestens genauso belastend wie die Berufsschule: „Wir sind unterbesetzt und haben aktuell viele Krankmeldungen. Ich mache als Schülerin teilweise eine Station alleine.“
Isabel Spannaus betont, wie wichtig ihr es ist, dass es den Bewohnerinnen und Bewohnern der Einrichtung gut geht. Doch leider beeinflusst die Gesamtsituation auch das Wohlbefinden der älteren Menschen. „Ich bin sehr kaputt, aber möchte trotzdem mein Bestes geben. Die Bewohner sind aktuell sehr unglücklich, das macht mich auch unglücklich“, beschreibt sie.
Angst habe sie zudem vor einer Sache: „Dass die Situation noch belastender wird, wenn die Impfpflicht im Pflegebereicht eingeführt wird. Es gibt Mitarbeiter, die dann lieber gehen wollen, anstatt sich impfen zu lassen.“ Bis zum 15. März müssen alle geimpft sein, die in Krankenhäusern, Altenheimen und anderen Gesundheitseinrichtungen arbeiten.
Die 19-Jährige Schwerterin gehe aktuell trotz Rückenschmerzen zur Arbeit, weil sie ihre Kollegen einfach nicht im Stich lassen möchte. „Es ist einfach insgesamt eine sehr große Belastung. Ich hatte auf der Arbeit auch schon einen Nervenzusammenbruch“, berichtet sie. Auf Nachfrage, ob sie eine positive Sache aus der Corona-Zeit, die ja nun mal noch nicht vorbei ist, ziehen könnte, antwortet Isabel Spannaus nach langem Überlegen: „Man hat mehr Geld, weil man weniger unternimmt.“
Kommt gebürtig aus dem beschaulichen Forchheim in Bayern, lebt aber mittlerweile seit über 20 Jahren glücklich im „Pott“. Nach der Bankausbildung in den Journalismus gewechselt und an der Ruhr-Uni Germanistik und Medienwissenschaft studiert. Hat eine besondere Leidenschaft für den Fußball, sei es auf dem realen oder auf dem virtuellen Rasen.