"Haben Weihnachten wirklich etwas anzubieten"
Schwerter Pfarrer im Interview
Alle Jahre wieder sind zu Weihnachten die Kirchen voll - ganz anders als im Rest des Jahres. Darüber haben wir mit Pfarrer Tom Damm, Evangelische Kirche Schwerte, und Pfarrer Peter Iwan, Pastoralverbund Schwerte, gesprochen. Die beiden verraten, was Heiligabend die Themen ihrer Predigten sind - und womit sie experimentieren wollen.

Peter Iwan (r.) und Tom Damm sehen die anhaltende, gesellschaftliche Bedeutung von Weihnachten unter anderem in der menschlichen Kindheit begründet. Besonders an den Feiertagen zieht es noch immer viele Menschen in die Kirche.
Wie erklären Sie sich das Phänomen, dass es an Heiligabend besonders viele Menschen in die Kirche zieht?
Peter Iwan: Ich muss das ein bisschen relativieren. Denn gemessen an früheren Zeiten ist die Zahl der Kirchgänger zu Weihnachten doch auch etwas rückläufig. Es gibt sogar eine zunehmende Zahl an Leuten, die noch nicht einmal mehr zu Weihnachten in die Kirche kommen. Aber über die Gründe, dass gerade an den Festtagen mehr kommen, kann ich nur spekulieren. Während der Weihnachtszeit scheinen die Menschen etwas zu spüren, dass über ihren Alltag hinausgeht. Zudem ist das Weihnachtsfest, wie kein anderes, ein prägender Bestandteil unserer Kindheit und da bleibt vermutlich bis ins Erwachsenenalter etwas haften.
Tom Damm: Es handelt sich nun mal auch um einen gesellschaftlichen Trend. Und ich glaube, dass wir in einer Zeit leben, in der Kirche immer weniger wichtig wird. Also die Kirche als Institution. Aber gleichzeitig gibt es dieses Bedürfnis nach Sinnstiftung, nach Anbindung. Und das ist ungebrochen, obwohl Sonntag für Sonntag immer weniger in den Gottesdienst kommen.
Also hat Weihnachten nur durch dessen Bräuche so eine große Bedeutung?
Peter Iwan: Das wäre zu kurz gedacht. Es gehört das ganze kulturelle Umfeld dazu - Die Dunkelheit, die Lichter, Fernsehsendungen. Das ergibt am Ende ein ganzes Menü, worin ein ernsthafter, sinnvoller Kern steckt. Das Ganze geht aber von der Kirche aus. Wir haben Weihnachten „erfunden“ und nicht Coca Cola. Darüber, dass andere das Konzept des Festes aufgenommen und vermarktet haben, kann man sich ärgern oder es als Bereicherung sehen.
Tom Damm: Die anderen haben es aber nicht bewusst aufgenommen, sondern das ist im Laufe der Zeit in die Kultur, in die Gesellschaft reingeflossen. Das merkt man besonders daran, dass viele Einwanderer, obwohl sie nicht Christen sind, auf irgendeine Art feiern und sich einen Weihnachtsbaum in die Wohnung stellen. Und zu diesem „kulturellen Weihnachten“ gehört es irgendwie auch in die Kirche zu gehen. Dass mehr Menschen zum Fest in den Gottesdienst kommen, ist für uns auch eine Chance. Wir haben viele Menschen vor uns, die nur einmal im Jahr in die Kirche gehen, und wir können sie auf Dinge ansprechen, wo sie Bedürfnisse haben.
Welche Rolle spielt dabei die Geschichte von Christi Geburt?
Tom Damm: Ein schutzloses und ausgeliefertes Kind in der Krippe löst in uns den Wunsch nach Nähe, den Wunsch, es beschützen zu wollen aus. Da finden wir uns wieder, weil wir auch mal schutzlos waren als Kind.
Peter Iwan: Den Punkt Mensch zu sein in der Bedrohtheit, in der Schwäche eines Kindes, dass ist ein Alleinstellungsmerkmal der christlichen Botschaft. Wohl keine Religion nimmt den Menschen in dieser Hinsicht so ernst.
Gibt es in diesem Jahr Besonderheiten beim Krippenspiel?
Tom Damm: In St. Viktor wird es in diesem, meinem ersten, Jahr kein traditionelles Krippenspiel geben, da ich keine Kinder- oder Jugendgruppen dafür zur Verfügung habe. Also machen wir alles ganz spontan. Während der Weihnachtsgeschichte werden elf Kinder, die vorher ausgewählt werden, verschiedene Kerzen an bestimmten Stellen nach vorne bringen. Die Kinder stehen dabei im Fokus und das kommt immer ganz gut an bei den Besuchern.
Peter Iwan: In unseren Gemeinden wird das individuell organisiert. Da sind dann auch genügend Kinder, die sich gerne beteiligen.
Welche Themen möchten sie ansprechen in Ihren Predigten?
Peter Iwan: Kreative Prozesse sind nicht steuerbar. Man schaut, was in dieser Zeit die Menschen in Schwerte bewegt und sucht Verbindungen zu dem, was gefeiert wird. Doch da wir nun mal zahlreiche festliche Gottesdienste in dieser Zeit feiern, brauche ich einen gewissen Themen-Pool, aus dem ich schöpfen kann.
Tom Damm: Ich möchte, dass sich die Gottesdienste um das Fest, thematisch etwas voneinander unterscheiden. Damit die Leute sich aussuchen können, wo sie hingehen. Am Nachmittag an Heiligabend steht natürlich das Krippenspiel im Vordergrund. Im Hauptgottesdienst um 17 Uhr möchte ich das Thema „Flüchtling sein“ in den Fokus stellen. Denn, wenn man die Weihnachtsgeschichte mal in Gänze liest, erfährt man, dass Jesus selbst flüchten musste. Jesus verbringt nach seiner Geburt Jahre in Ägypten – auf der Flucht. Und das ist ein Geschehen, das viele Menschen nachvollziehen können. Egal ob sie es selbst erlebt haben oder sich um zu uns geflüchtete Menschen kümmern. Ich stecke schon in den Planungen, da ich auch zwei Flüchtlinge zu Wort kommen lassen möchte. Dadurch soll die Weihnachtsgeschichte ganz nah an die Lebenswirklichkeit der Schwerter herankommen. Das ist zwar ein Experiment, aber eins auf das ich mich freue.
Waren sollten die Schwerter ausgerechnet in Ihren Gottesdienst kommen?
Peter Iwan: Weil wir eine Botschaft verkünden und feiern, die die Welt verändert hat und die - neben der Osterbotschaft - das Zentrale ist, was Menschen ansprechen kann.
Tom Damm: Wegen mir müssen sie nicht kommen. Sie sollen kommen, wenn sie möchten und sich eingeladen fühlen. Wir haben wirklich etwas anzubieten an Weihnachten: Eine tragende Botschaft, die unverändert ist in ihrer Bedeutung. Ich möchte Menschen ein Gefühl der Verbundenheit geben. Und wann könnte man das am besten als zu Weihnachten?