Gelände der Deutschen Nickel birgt Überraschungen

Ein Pfeil, ein Reporter, 48 Stunden

Wir sind überzeugt, jeder Quadratmeter Schwerte bietet eine eigene Geschichte. Daher wagen wir ein Experiment und lassen Leser Dartpfeile auf den Stadtplan werfen. Über den Ort, in dem der Pfeil stecken bleibt, schreibt ein Reporter innerhalb von 48 Stunden eine Geschichte. Am Mittwoch bestimmte der Pfeil, dass es dieses Mal um die Deutsche Nickel gehen sollte.

HOLZEN

, 09.06.2017, 18:07 Uhr / Lesedauer: 3 min

Am Donnerstagabend stand Heiko Mühlbauer, unser Schwerter Redaktionsleiter, das erste Mal dort, wo der Dartpfeil von Lukas Bodemer am Mittwoch im Stadtplan steckengeblieben war. Viel ist da nicht los. Ein Feld mit Weizen, ein kleiner Weg, dahinter eine Mauer, die mit Gebüsch bewachsen ist. Welche Geschichte er dort gefunden hat, berichtet er hier.

Hinter der Mauer liegt das Gelände der Deutschen Nickel – zumindest sieht das so auf dem Stadtplan aus. Was sich tatsächlich hinter den Backsteinen und Sträuchern verbirgt, kann man nicht erkennen. Man müsste also auf das Werksgelände.

Das entpuppt sich einfacher als gedacht. Ein Anruf beim Pförtner, der gibt eine Nummer weiter, die ich am nächsten Tag anrufen soll, und schnell ist ein Termin vereinbart. Am Morgen holt uns Tim Vogt am Werkstor ab. Seit drei Jahren ist er bei der Deutschen Nickel beschäftigt. Die Gebäude, auch die, in denen nicht mehr produziert wird, gehören zu seinem Bereich. Und das südwestliche Ende des Betriebsgeländes gehört zu jenen Betriebsteilen, von denen man sich vor Jahren mehr oder weniger getrennt hat.

Am Ende der Werksstraße erwartet uns eine Halle, die eher an ein verwunschenes Schloss erinnert. Efeu und andere Pflanzen bewuchern die Wände, nicht nur von außen. „Hier war zuletzt die Ausbildungswerkstatt“, erzählt Vogt. Ausgebildet wurde damals in den Bereichen Elektro und Mechanik, die Werkstätten dafür waren fein getrennt. Immer wieder muss der Werksschutz sich hier mit Vandalismus herumschlagen. Spuren davon findet man auch in dem Gebäude. Abmontierte Waschbecken, zertrümmerte Fenster. Ein Wandkalender aus dem Jahr 2005 zeugt davon, wie lange die Halle bereits verlassen ist.

Doch ein eingerichtetes Klassenzimmer mit Tafel sieht eher so aus, als wären die Azubis hier erst vor kurzem ausgezogen. Und im Nachbarraum gibt es sogar einen Schrank, in dem sich noch die Gesellenstücke der einstigen Metall-Azubis befinden.

Einst Verwaltungsgebäude der Metallwerk Wandhofen GmbH

Zwischen 1924 und 1936 seien die Hallen in diesem Bereich des Geländes gebaut worden, erzählt Vogt. Die Lehrwerkstatt direkt an der Mauer diente auch schon mal als Büro für die Betriebskrankenkasse.

Doch ganz früher habe dieser Teil des Werksgeländes der Firma, die damals noch Nickelwerke hieß, mal ganz anderen Zwecken gedient, weiß Hans-Jürgen Thiel. 40 Jahre war er im Betrieb beschäftigt. Heute beschäftigt er sich mit der Geschichte von Schwertes Traditionsunternehmen. Das Gebäude sei einst das Verwaltungsgebäude der Metallwerk Wandhofen GmbH gewesen.

Ende 1936 wurde dort eine Firma gegründet, die sich ausschließlich mit dem Herstellen von Produkten für die Wehrmacht beschäftigen sollte. Und obwohl die Nazis die Fabrik, die vor allem Patronen herstellte, absolut geheim halten wollten, war das Werk schnell bekannt. Die Schwerter nannten die Firma, deren Geschäftsführung die Nickelwerke innehatten, die Munitionsfabrik.

Bomben zerstörten Gleise auf dem Gelände

Die Akten im Ruhrtalmuseum berichten: „Im neuen Werk kamen entgegen der Nazi-Ideologie viele Frauen zum Einsatz.“ Akten über die Metallwerk Wandhofen GmbH findet man auch im Westfälischen Landesarchiv. Allerdings erst aus den Nachkriegsjahren. Dort meldete man die 1946 verlustigten Maschinen für die Gewehrpatronenfertigung 1954 als Demontageschaden an. Bereits 1948 hatte die Firma einen Antrag auf Wiederherstellung eines Gleisanschlusses gestellt. Denn am 10. März 1945 waren Bomben auf das Gelände gefallen, die die Gleise zerstört hatten.

Nach dem Krieg wurden im südwestlichen Werksteil Besteck und Tafelgeräte hergestellt, die Wandhofener Metallwerke (der Name kam übrigens deshalb zustande, weil der Bereich damals noch zu Wandhofen gehörte) versanken im Dunkel der Geschichte. 1976 wurde die gemeinsame Lehrwerkstatt mit der Gießerei Hundhausen im Verwaltungsgebäude untergebracht.

Nickelwerkstücke für Autos und Medizintechnik

Heute würde man diesen Teil des Werksgeländes gern in ein Gewerbegebiet für Kleingewerbe umwandeln. Das ehemalige Grabeland davor ist an die Schwerter Wohnungsgenossenschaft GWG verkauft, die hier Sozialwohnungen und Einfamilienhäuser bauen will.

Auf dem Rückweg begegnen wir Werksleiter Thomas Hinrichs. Der Schwerter führt die Produktion der Deutschen Nickel, die heute zur Wickeder Group gehört. Das Betriebsgelände sei schon sehr groß, sagt er mit Blick auf den südwestlichen Rand. Und dann verabschiedet er sich in jenen Bereich, in dem heute noch Nickelwerkstücke für Autos, Medizintechnik, Chemische Anlagen, Elektrotechnik und vieles mehr hergestellt werden.

Mit den Vereinigten Deutschen Nickelwerken von früher hat die Deutsche Nickel kaum noch etwas zu tun. Die Presstec, auch ein Rüstungsproduzent, wurde längst ausgegliedert. 2012 hatte die Wickede Group das Unternehmen übernommen. Produziert werden Drähte und Stangen aus Nickellegierungen. Die brauche man in der Elektronik oder auch bei Bohrgestängen für die Öl- und Gasförderung, erläutert Geschäftsführer Christoph Arntz. Er gehört zur neuen Führungscrew an der Fleitmannstraße, die das Unternehmen, das rund 230 Beschäftigte hat, wieder in ruhigere Fahrwasser gebracht hat.

Und so geht die Aktion
- Jeden Mittwoch wirft ein Leser der Ruhrnachrichten einen Dartpfeil auf den Schwerter Stadtplan. 
- Über den Ort, in dem der Pfeil stecken bleibt, macht ein RN-Reporter eine Geschichte. Wie die aussieht, bestimmt er selbst. Ist es etwas Historisches, wohnt dort ein besonderer Mensch oder gibt es dort besondere Pflanzen?
- Einzige Auflage: Der Reporter hat nur 48 Stunden Zeit. 
- Wenn Sie Lust haben, selbst den Pfeil zu werfen, melden Sie sich per E-Mail: lokalredaktion.schwerte@mdhl.de

 

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