Sein Geheimnis gibt das Geschäftshaus, dessen moderne Schaufensterfront die Hüsingstraße prägt, nur im Büro von Eva Stapper preis. Senkrechte und quergestellte Balken in den Zimmerwänden verraten, dass die Inhaberin mit ihrer Ruhrtal-Buchhandlung in einem ursprünglichen Fachwerkhaus residiert. Mehrfach umgebaut und modernisiert, hat der Dreistöcker fast alle Kapitel der Schwerter Einkaufsmeile mitgeschrieben hat. Eines davon beginnt mit „C. K.“, den zwei übergroßen Buchstaben auf der Fassade.
Fachwerkhaus von 1869
Was die von Stuck-Blumen eingerahmten Initialen bedeuten, weiß der frühere Werbegemeinschafts-Vorsitzende Joachim Kockelke. Er ist der Urenkel von Carl Kettler, der hier an der Hüsingstraße 20 im Jahr 1886 die Firma Kettler als Buchbinderei mit angegliederter Buch- und Schreibwarenhandlung gründete. Das Gebäude ist noch älter. Sein Vater, der Schneidermeister Karl Kettler, hatte es 1869 bauen lassen.

Doch jetzt wurde das Haus zur Buchbinderei, die im hinteren Grundstücksteil die ehemalige Druckerei der Schwerter Zeitung als zusätzliches Lager nutzte. Von den Nachbarn kritisch beäugt, erwies sich der erst 20-jährige Carl Kettler als geschäftstüchtiger Händler. Schon 1897 ließ er die Schaufenster seines Unternehmenssitzes vergrößern und ein Jahr später das alte Druckhaus zugunsten eines Anbaus abreißen. Gleichzeitig schwenkte er komplett auf den offensichtlich lukrativeren Handel mit Porzellanwaren um.
Die längste Schaufensterfront
Der wirtschaftliche Erfolg wurde auf der Hüsingstraße für aller Augen sichtbar. Bei einem aufwendigen Umbau wurde – so berichtet Joachim Kockelke – im Jahr 1905 die Fachwerkfassade abgebrochen und durch eine vorgesetzte Steinfassade ersetzt. Die Arbeiten stoppten sogar für einen Tag die Straßenbahn, die damals vom Markt aus nach Dortmund-Hörde ratterte.
Quer über den Schienen war ein 2,1 Tonnen schwerer Eisenträger abgeladen, der mit Winden mühsam an seinen Einbauort gehievt werden musste. Vor dem Kockelke-Haus war für die Wagen deshalb vorübergehend Endstation.

Noch mehr erfuhr Joachim Kockelke aus einem vergilbten Ausschnitt aus der Schwerter Zeitung, der ihm kürzlich aus einem Buch vor die Füße flatterte. 1913 kaufte sein Urgroßvater das Nachbarhaus Hüsingstraße 18 und erneuerte auch dessen Fassade. Dabei rückte die Vorderwand 30 Zentimeter näher an die Straße heran, um den Immobilien eine einheitliche Front zu geben: „Nach dem Umbau war es mit fast 20 Metern die längste Schaufensteranlage in der Hüsingstraße.“ 1914 erstrahlte diese – genauso wie das ganze Gebäude – nach dem Stromanschluss in elektrischem Licht.
Fassade von Ernst Montenbruck
Ihr Gesicht veränderte die Fassade erneut im Jahr 1958 – diesmal nach den Plänen von Architekt Ernst Montenbruck, der in Schwerte noch stärker als Maler historischer Stadt-Szenen im Gedächtnis ist. Dem Vielseitigen, der unter anderem auch das Innere der Diskothek For You in Geisecke gestaltete, gelang die endgültige Vereinheitlichung beider Häuser.

Beim nächsten Komplettumbau 1980 wurde der große Kettler-Geschäftsraum in drei Ladenlokale aufgeteilt. In einem verkaufte die Eigentümer-Familie weiterhin Porzellan, in einen anderes gliederte sie ihr Lotto- und Tabakwarengeschäft aus. Dazwischen gab es kurzzeitig Böhmer-Schuhe, bevor Dr. Berthold Hillejan dort 1983 die Ruhrtal-Buchhandlung eröffnete. Der gestandene Buchhändler mit Stammsitz in Dortmund-Brackel betrieb bereits zwei Läden in Dortmund.
Ruhrtal-Buchhandlung feiert
Auch in Schwerte führte sich die neue Buchhandlung – größter Mitbewerber vor Ort war damals die alteingesessene Buchhandlung Schmidt an der Hagener Straße – gut ein. Als Dr. Hillejan sich zur Ruhe setzte, verkaufte er die Filiale an die Dortmunder Firma Niehörster, die aber 1992 in wirtschaftliche Turbulenzen geriet. An der Rettung war unter anderem der frühere Inhaber des Schwerter Textil-Kaufhauses Eisenmenger maßgeblich beteiligt.
Pixie-Buch für 99 Pfennig
Zum 1. September 1992 konnte Monika Säcker die Ruhrtal-Buchhandlung übernehmen und elf Jahre lang bis zu ihrem Ruhestand weiterentwickeln. Kurz vor ihrem Abschied fragte sie ihre Angestellten: „Möchte eine von euch das übernehmen?“ Eine Nacht lang überschlief Eva Stapper dieses Angebot – dann sagte sie zu. Die Mitarbeiterin wurde 2013 zur Chefin, doch für das Team sollte sich nichts ändern. „Ich bin Kollegin geblieben“, betont sie.
Am Samstag (3.6.) wird das 40-jährige Bestehen der Ruhrtal-Buchhandlung mit Umtrunk und Glücksrad gefeiert: „Wir freuen uns auf schöne Gespräche und wollen ,danke´ sagen.“ Es gibt viele Stammkunden, oft schon in zweiter Generation. Manche, die hier einst für 99 Pfennig ihr erstes Pixie-Buch erstanden, kommen heute mit den eigenen Kindern herein.

Veränderungen gab es auch in den Läden rechts und links des Büchershops. Peter Kockelke übergab den Tabakhandel an Lotto Jährling, dem 2017 die Firma Oraniants folgte. Vier Jahre später setzte sich Joachim Kockelke, der sich von Porzellan auf Geschenke und Accessoires spezialisiert hatte, auch zur Ruhe. Nach Umbau eröffnete in seinen Räumen der Konzeptstore Brand & Falke.
Drei Mietwohnungen saniert
Derzeit werden in dem stadtbekannten Doppelhaus die drei Mietwohnungen in den oberen Geschossen saniert. Sie erhalten Balkone und bedienen den aktuellen Trend zum City-nahen Wohnen. Am Ruder steht mittlerweile der Ehemann der Ur-Ur-Enkelin des Firmengründers, in dessen Hände Joachim Kockelke und sein Bruder im vergangenen Jahr das Objekt übergaben.
Für Kockelke könnte das große „K“ an der Fassade ebenso gut stehen. Hinter dem Namenswechsel steckt aber eine tragische Geschichte. Der Sohn und designierte Nachfolger des Firmengründers Carl Kettler fiel als Soldat im Ersten Weltkrieg. So musste seine Schwester einspringen, die 1923 den Geschäftsführer Fritz Kockelke heiratete.
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