Olympische Spiele 1972

Olympia-Attentat 1972: Friedrich-Wilhelm Vogt erlebte das Geiseldrama hautnah mit

Vom Arbeitsplatz aus konnte er alles sehen: Friedrich-Wilhelm Vogt beobachtete bei der Olympiade in München 1972 wie die gekidnappten Israelis ausgeflogen wurden. Der Ergster erinnert sich.

Ergste

, 06.09.2022 / Lesedauer: 3 min

Schüsse? Die hat Friedrich-Wilhelm Vogt selbst nicht gehört. „Bei uns liefen die Maschinen“, sagt der heute 80-Jährige. Und deren Geräusche übertönten alles.

Obwohl sein Arbeitsplatz in der Sportler-Küche der Olympischen Spiele 1972 in München nur 150 Meter von dem Haus der israelischen Olympia-Mannschaft entfernt lag, die vor genau 50 Jahren von einem palästinensischen Terror-Kommando überfallen worden ist.

Der Krisenstab forderte einen Wagen voller Canapés an

Die folgenden dramatischen Stunden musste der Ergster aus nächster Nähe miterleben. „Wir konnten direkt hinübergucken“, sagt er. Noch ein Stück näher war der Saal, wo der eilig gebildete große Krisenstab unter Leitung des damaligen Innenministers Hans-Dietrich Genscher vor Ort zusammentraf: „Da haben wir einen ganzen Wagen voller Canapés machen müssen.“

Die Ruderer des siegreichen „Bullenvierers vom Bodensee" ließ Friedrich-Wilhelm Vogt bei der Olympiade 1972 in München auf seiner Kochmütze unterschreiben, auf der er auch Länder-Pins anderer Sportler und später seinen Dienstausweis anheftete. © Foto: Reinhard Schmitz

Friedrich-Wilhelm Vogt machte sich vor der Zubereitung solcher Portionsgrößen nicht bange. Genau deshalb hatte er den Job als Supervisor in der Küche bekommen, die sämtliche Sportler im Olympischen Dorf verpflegen sollte. Der gelernte Bäcker- und Konditormeister mit zusätzlicher Ausbildung zum Catering-Spezialisten und Süßspeisenkoch (Patissier) arbeitete damals bei dem bekannten Essen-Lieferservice Drei Kronen in Dortmund.

Eines Tages kam dort Jochen Bindert, der Chef der Deutschen Olympiamannschaft, zur Tür herein. Er wollte nicht nur den Durchlaufofen bestaunen, wo die Schnitzel am laufenden Band paniert und gebraten wurden. Vor allem war er auf der Suche nach geeigneten Köchen für sein Großereignis. Aber das war nicht so einfach.

Der Ergster musste die Verpflegung für 12.000 Leute organisieren

„Binderts Problem war, dass die Köche sich scheuten, so große Mengen zu kochen“, erzählt Friedrich-Wilhelm Vogt. Er selbst war solche Herausforderungen gewohnt, hatte 90.000 Portionen Erbsensuppe für eine SPD-Versammlung im Westfalenpark genauso gemeistert wie ein Büfett für 3.000 Leute im Phantasialand in Brühl. Der Ergster übernahm die Herausforderung, die ihm angetragen wurde: Für die Firma Kempinski sollte er bei der Olympiade für 12.000 Menschen das Frühstück, Mittag- und Abendessen organisieren.

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Es wartete eine Herkules-Aufgabe. „1.000 Helferinnen und Helfer aus 40 Nationen waren in drei Schichten fast rund um die Uhr in Küche und Service beschäftigt“, berichtet Friedrich-Wilhelm Vogt. Viel Zeit für Schlaf blieb nicht. Für die Frühaufsteher unter den Athleten musste das Frühstück schon um fünf Uhr morgens bereitstehen.

Doch das Dabeisein in München, wo das Sportfest unter dem Motto „Die heiteren Spiele“ gefeiert werden sollte, machte alle Strapazen vergessen: „Die ganze Atmosphäre bei der Olympiade war einfach toll.“ Jedenfalls bis zu dem Moment, als am 5. September 1972 die Palästinenser zuschlugen.

Manche Sportler flüchteten Hals über Kopf aus dem Olympischen Dorf

Hals über Kopf seien manche Sportler sofort aus dem Olympischen Dorf ausgezogen, als die unvorstellbare Nachricht durchsickerte, erinnert sich der Ergster. Darunter sei auch der Superstar der Spiele, der amerikanische Schwimmer Mark Spitz gewesen.

Die Verpflegungsmannschaft musste natürlich bleiben. Was dann geschah, blieb unvergesslich: „Gegen Mitternacht beobachteten wir vom Balkon der Lerchenauer Straße 36, wie die Attentäter mit den Sportlern ausgeflogen wurden.“ Morgens um fünf endete das Geiseldrama, das keiner der gekidnappten Israelis überlebte, mit 17 Toten auf einem Flugplatz.

„Für uns bedeutete dies nur einen Tag Ausfall“, sagt der damalige Verpflegungschef: „Denn schon am nächsten Tag hieß es: Die Spiele gehen weiter.“ Er selbst wechselte anschließend seinen Arbeitgeber, wollte zurück in die Bäcker- und Brot-Branche.

Von den Tagen bei Olympia geblieben ist ihm nur eine Kochmütze, auf deren weißem Stoff er neben Autogrammen der Goldjungen des „Bullenvierers vom Bodensee“ und etlichen Pins auch seinen damaligen Dienstausweis hütet.

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