Der Wochenmarkt ist ein Stück Heimat
Vertrauen in Vertrautes
Über den Wochenmarkt schlendern. Frische, regionale Ware einkaufen, Bekannte treffen - Heimat eben. Die Kunden mögen das. Aber dennoch verschwinden immer mehr kleine Märkte. Neue Konzepte müssen her.

Die St.-Viktor-Kirche und das Alten Rathaus bilden die malerische Kulisse für den Schwerter Wochenmarkt. © Foto: Reinhard Schmitz
Der eisige Wind pfeift durch die Schneise vor der St.-Viktor-Kirche. Mit durchsichtigen Zeltplanen und Vordächern schützen die Markthändler ihre Tische voll duftendem Obst und Gemüse, Backwaren oder Eiern. Sich selbst haben sie mit mehreren Schichten Jacken, dicken Schuhen und Heizstrahlern gewappnet. Zuverlässig wie immer haben sie am Mittwoch auf dem Schwerter Marktplatz aufgebaut. Nur ein Kollege, so erzählen sie, sei im Schneetreiben auf der Autobahn bei Lüdenscheid steckengeblieben.
Auch wenn an Tagen wie diesen vielleicht nicht ganz so viele Kunden in die Stadt kommen, hat Klaus-Peter Ullrich seine gute Laune nie verloren. Der Gemüsehändler ist der Dienstälteste auf dem Platz. „Ich bin schon als Zwölfjähriger mit dem Vater auf Tour gefahren, wenn die Schule um war“, erzählt er. Das war 1962. Jetzt hätte es der 67-Jährige eigentlich gar nicht mehr nötig, zu verkaufen. Aber es mache ihm einfach Spaß: „Das hier ist seine Bühne.“ Und auf der präsentiert er Frische, Qualität und Spezialitäten wie die schwarze Ur-Möhre, geringelte Rote Bete oder die Amalfi-Zitrone, die ihm in Pompeji so gut geschmeckt hat. Zu allem gibt es eine Geschichte dazu. Auch Besucher, die eigentlich auf dem Weg zum Fischwagen sind, spitzen unwillkürlich die Ohren.

Sandra Lips kauft auf dem Markt stets ihre allergiefreien Äpfel. © Foto: Reinhard Schmitz
Heimatgefühl
Der Wochenmarkt ist ein Kleinod. Ein Stückchen Heimat. Ein Gefühl. Doch der Kampf um die Kunden wird immer härter. Bundesweit gibt es rund 3300 Wochenmärkte. Aber in den vergangenen zehn Jahren sind sie teilweise um bis zu 50 Prozent geschrumpft. „Es gibt einen dramatischen Rückgang von Händlern“, sagt Gerhard Johnson. Der Wirtschaftsprofessor ist Vorstandssprecher der Marktgilde, die an 120 Orten rund 250 Wochenmärkte organisiert. Als einer der wenigen hat er sich dem Phänomen Wochenmarkt wissenschaftlich gewidmet. Früher standen die Händler Schlange vor den Märkten“, sagt er. Wenn der Platz voll war, mussten viele umkehren. Heute gebe es auf bis zu 80 Prozent der Marktplätze freie Standplätze. Marktbetreiber suchen mancherorts händeringend Händler.
„Der Nachwuchs gerade bei fahrenden Händlern fehlt“, sagt Marktmeister Frank Rest von der Markthandel Schwerte GmbH. Manche, wie der gestorbene „Schaumstoff-Mann“, seien einfach nicht zu ersetzen: „Sowas gibt’s nicht mehr.“ Doch der Markt in der Ruhrstadt habe sich durchaus positiv entwickelt. „Wir haben eine Riesenauswahl und topfrische Produkte“, erklärt Rest. Das ganze Repertoire werde abgedeckt: „Schwerte ist ein ganz beliebter Markt. Wir machen alle gute Geschäfte.“ Nur der durch eine Häuserzeile getrennte Kleine Markt – so räumt er ein – sei schwerer zu bestücken. Er ist einfach ein wenig abgelegen.
Keine Nachfolger
Die Gründe für den bundesweit zu beobachtenden Rückgang seien vielschichtig, sagt Johnson. Klassische Händlerfamilien sterben aus. Denn Markthändler ist ein Knochenjob. Man geht nicht mit 65 in Rente – viele stehen noch mit weit über 80 Jahren hinter ihrem Stand: „Und deren Kinder wollen sich den Knochenjob oft nicht antun.“
Für Klaus-Peter Ullrich und seine Ehefrau Brigitte (66) klingelt beispielsweise der Wecker regelmäßig um 1.15 Uhr. Zum Dortmunder Großmarkt fahren, ab 6 Uhr aufbauen, bis 13.45 Uhr verkaufen, einräumen, erst um 16 Uhr wieder zu Hause. „Das ist immer ein langer Tag“, sagt Ullrich. Und sonntags wartetet dann noch die Buchhaltung auf seine Frau.
Hinzu kommt: „Der Wettbewerb im Lebensmittelhandel ist brutal“, wie Johnson sagt. Frischetheken in Discountern und Supermärkten, selbst Tankstellen mischen mit. Und jetzt gehen Online-Riesen wie AmazonFresh mit Lieferdiensten an den Start. Laut einer Online-Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ist es 37 Prozent der Deutschen beim Einkauf von Lebensmitteln am wichtigsten, dass die Produkte aus der Region stammen, bei den 40- bis 49-Jährigen liegt der Anteil sogar bei 43 Prozent.
Auf regionale und frische Produkte sowie die Nähe zum Kunden setzen aber auch Handelsketten mit Millionen-Etats für die Werbung. Für Johnson ist klar, dass viele kleinere Märkte verschwinden. Die Märkte müssen sich etwas überlegen. Neue Konzepte zum Beispiel.
Neues Konzept?
Im Rathaus werden derzeit Kriterien aufgestellt, wie man „die Attraktivität beibehalten und gegebenenfalls steigern“ könne, berichtet Stadtsprecher Carsten Morgenthal. Damit werde die Neuausschreibung für die Ausrichtung des Marktes vorbereitet, wenn im Mai 2019 der Vertrag mit der Markthandel Schwerte GmbH auslaufe. Diese betreibe den Markt seit 1999.
Veränderungen sind dort eigentlich nichts Neues, wie sich Klaus-Peter Ullrich erinnert: „Früher gab es im Februar keine Kirschen, und Apfelsinen gab’s zu Weihnachten.“ Viele Bauern und mindestens drei Profi-Gärtner bestimmten das Bild. Jetzt komme viel mehr Ware von weither. Auf Bestellung könne er alles besorgen. Sogar saftige Marillen locken schon in seinen Kisten.
Siegbert Panteleit entwickelt neue Veranstaltungsformate. In Bochum etwa können Berufstätige freitags zwischen 16 und 20 Uhr auf den Markt gehen. „Zu den typischen Marktzeiten in der Woche arbeiten die meisten Menschen“, erklärt Panteleit die Idee, die bei den Händlern aber auch an Belastungsgrenzen stößt. „Feierabendmärkte gibt es im Ruhrgebiet meist freitags“, erklärt Frank Rest: „Aber wir müssen am Samstagmorgen schon wieder unterwegs sein.“
Vertrauen schaffen
Märkte müssten das sein, was sie immer waren: „Orte des sozialen Austausches, der Gemeinschaft und ein gut sortierter Supermarkt unter freiem Himmel“, sagt Panteleit. Das Wissen um die Herkunft der Ware und das Gespräch mit dem Kunden seien das Pfund, mit dem Markthändler wuchern könnten. „Die Menschen wollen nicht nur erstklassige Lebensmittel, sondern auch die Geschichten dazu.“ Das alles hänge vom Wissen der Händler ab.
Wissen schafft Vertrauen. Kundinnen wie Sandra Lips wissen das zu schätzen. Wie schon ihre Mutter bummelt sie gern über den Schwerter Markt. „Hier gibt es die allergiefreien Äpfel“, sagt sie, als sie den Stand von Klaus-Peter Ullrich angesteuert hat. In die Sorten Wevant und Santana könne sie herzhaft beißen, ohne sich um Heuschnupfen-Attacken sorgen zu müssen. Gleichzeitig hat sie sich mit Pampelmusen und Äpfeln, Zucchini und Auberginen, Kohlraben und Möhren eingedeckt. Eigentlich alles, was die Frischeküche braucht. Einmal hin, alles drin.