Seit Monaten hat Alexander* die Schwerterin Anna* nicht mehr gesehen. Jetzt sitzt der 50-Jährige auf einer Bank im ersten Stock des Amtsgerichts Schwerte. Als die 26-Jährige kurz darauf mit ihrem Verteidiger auf dem Flur eintrifft, meiden Anna und Alexander den Blickkontakt. Er schaut nach unten auf den Boden, sie steht schweigend hinter einer der steinernen Säulen. „Es war schon ein komisches Gefühl, sie wiederzusehen“, sagt er hinterher.
Denn rund zwei Jahre lang hat Alexander die junge Frau häufig getroffen. Jetzt wirft er ihr Betrug vor – sie habe ihn „abgezogen“, erzählt er. Wie er Anna kennengelernt hat, und was in dieser Zeit aus seiner Sicht passiert ist, hat er uns vor und nach dem Termin am Amtsgericht erzählt.
Über Kontaktanzeigen nach Gesellschaft gesucht
Zu der Zeit, im Jahr 2020, sei es ihm sehr schlecht gegangen, so Alexander. Seine Frau habe ihn Jahre zuvor wegen eines anderen Mannes verlassen. Dann sei sein Sohn mit Anfang 20 bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen. „Ich bin damit nicht fertig geworden.“ Über Kontaktanzeigen habe er nach Gesellschaft gesucht.
Und die fand Alexander auch – die Anzeige einer jungen Frau aus Schwerte sprach ihn an. Dass in Annas Kontaktanzeige stand, sie suche einen Mann, der sie auch „finanziell unterstützt“, sei ihm dabei nicht komisch vorgekommen.
Von Beginn an treffen sich die beiden bei Alexander zu Hause, wie er erzählt. Er findet sie attraktiv. „Sie sagte, sie stehe auf ältere Männer – in ihrem Alter seien die Männer wie Kinder. Sie machte einen ehrlichen, gut erzogenen Eindruck.“ Zu den Treffen wird Anna stets von einem jungen Mann in einem dunklen Audi gebracht - und auch einige Stunden später wieder abgeholt. Wer der Typ am Steuer sei, fragt Alexander sie. „Das ist mein Aufpasser.“
Immer mehr Geld
Ob ihm diese Antwort nicht komisch vorgekommen sei? Zumal Alexander Anna regelmäßig Geld gibt – bis zu 600 Euro pro Treffen. „Sie sagte mir, sie habe finanzielle Verpflichtungen. Ich wollte ihr helfen“, versucht der 50-Jährige zu erklären. Und fügt hinzu: „Mit einer Prostituierten hätte ich mich nie eingelassen.“ Eine Liebesbeziehung habe er aber nicht mit ihr gehabt. „Ich habe zu ihr gesagt, dass ich viel zu alt für sie sei. Aber sie sagte, sie würde mich wegen meines Charakters mögen.“
Im Laufe der Monate bleibt es nicht bei den Geldbeträgen im Hunderter-Bereich. Anna habe mehr Geld haben wollen, erzählt Alexander. „Sie würde für ein Auto sparen, sagte sie, und ich gab ihr 8.000 Euro.“ In bar. Später erhöht Alexander die Summe auf 10.000 Euro. „Sie sagte, für 8.000 Euro bekommt man kein vernünftiges Auto.“
Am Ende gibt Alexander der jungen Frau 20.000 Euro, und sie kauft sich davon eine Mercedes C-Klasse, wie er erzählt. „Sie hat mich zu einer Spritztour eingeladen.“ Das Geld habe er als Kredit verstanden, den Anna ihm in Raten zurückzahlen sollte.
Eigenes Sonnenstudio als Lebenstraum
Dann ist das Auto irgendwann plötzlich weg – und Alexander hakt nach. Sie habe ängstlich reagiert. Angeblich habe sie den Wagen ihrem „Freund“, dem Aufpasser, geben müssen, damit er sie in Ruhe lässt. „Ich habe ihr gesagt: Sag mir Bescheid, wenn der nochmal wiederkommt“, erzählt Alexander. Sehr sauer sei er gewesen. Und habe ihr vorgeschlagen, zur Polizei zu gehen. Das habe Anna nicht gewollt, aus Angst um ihre Eltern.
Dann erzählt Anna von ihrem großen Traum: Ein eigenes Sonnenstudio wolle sie eröffnen, auf eigenen Beinen stehen. „Und ich Idiot habe ihr das Geld dafür gegeben“, sagt Alexander. Das Geld, rund 50.000 Euro, habe Anna – wie bereits zuvor – in bar haben wollen. „Sie sagte, wenn ich das überweise, würden ihre Eltern das merken.“ Warum die Eltern nichts von einem Sonnenstudio wissen dürfen, erklärt Anna nicht. Trotzdem gibt Alexander ihr das Geld.
Und auch diese Summe verschwindet – wie zuvor das Auto. „Sie sagte, das Geld sei ihr von Bekannten ihrer Freundin gestohlen worden, aber sie wollte aus Angst vor den Tätern keine Anzeige erstatten. Das seien Psychos.“ Immer wieder habe die 26-Jährige ihn hingehalten und weiter Geld von ihm bekommen: für eine Nasenkorrektur und eine Brustvergrößerung.
Irgendwann merkt Alexander dann nach eigenen Angaben doch, dass an den ständigen Geldforderungen etwas faul sein muss. „Als ich merkte, dass das alles ein großer Fake ist, bin ich zur Polizei“, erzählt er. Die regelmäßigen Treffen der beiden finden somit ein jähes Ende. Alexander erstattet Anzeige wegen Betrugs und nimmt sich einen Anwalt.
Kurzer Gerichtstermin
Der Gerichtstermin an diesem Tag, zu dem Alexander als Zeuge geladen ist, ist unerwartet kurz: Die Anklageschrift wird verlesen, die Rede ist von Betrug in drei Fällen und einer Gesamtsumme von 58.000 Euro. Dann berät sich das Gericht, und das Verfahren wird ausgesetzt. Die Verhandlung wird auf Anfang November vertagt. Alexander wird an diesem Tag nicht als Zeuge vernommen.
Anschließend wartet Alexander, bis Anna und ihr Verteidiger das Gebäude verlassen haben. Er zeigt eine Liste mit den Geldbeträgen, die er Anna angeblich gegeben hat. Seine Summe ergibt einen weit höheren Betrag. Wofür Anna das Geld ausgegeben hat, oder ob sie es direkt an ihren „Aufpasser“ weiterleiten musste, weiß Alexander nicht.
Die Nase ist gerade
Ihre Nase habe sie allerdings tatsächlich korrigieren lassen, glaubt er. „Früher war sie krumm, jetzt ist sie gerade.“ Auch die Brüste sähen größer aus. Ob Alexander sein Geld jemals wiedersehen wird, ist mehr als ungewiss. „Es war schön, Honig um den Bart geschmiert zu bekommen. Aber hinterher ist man immer schlauer.“
Alexander seufzt. „Ich hab gedacht, sie wär ein liebes Mädchen“, sagt er. Dann fährt er nach Hause. Anfang November wird er Anna wiedersehen. Vor Gericht. Und er hofft, dann als Zeuge gehört zu werden.
*Alexander und Anna haben eigentlich andere Namen, sollen aber anonym bleiben. Beide Namen sind der Redaktion bekannt.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 26. September 2023.
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