Schicht für Schicht wurde das Erdreich neben der B236 am Freischütz für die archäologische Grabung mit der Baggerschaufel abgekratzt.

© Reinhard Schmitz

Bevor der B236-Ausbau alles zerstört: Archäologen graben am Freischützberg

rnB236-Ausbau

Die Autofahrer auf der B236 ahnten nichts von der spannenden Aktion. Sie glaubten, der Bagger am Freischützberg arbeite für den Straßenausbau. Aber er war im Grabungseinsatz für Archäologen.

Schwerte, Hörde

, 24.02.2022, 14:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Die Strickmütze tief über die Ohren gezogen, schaute Grabungstechniker Lutz Cramer im strömenden Regen erwartungsvoll auf den Bagger. Mit einem kammartigen Greifer rupfte das schwere Gerät zunächst die Reste von Baumwurzeln und anderes Gestrüpp aus dem Waldboden neben der B236.

Richtig spannend wurde es, als er dann das Werkzeug wechselte, um mit einer Riesenschaufel das Erdreich vorsichtig Schicht für Schicht abzuschaben.

Die Suche galt Resten der früheren Straßenbahn nach Hörde

Das Geheimnis, das auf dem Gelände neben der Einfahrt zum Freischütz-Parkplatz vermutet wurde, hatte nichts mit der Römerzeit oder dem Mittelalter zu tun. Die Suche, für die ein Expertenteam vom Westfälischen Amt für Bodendenkmalpflege aus Olpe angereist war, galt verschwundenen Zeugnissen des beginnenden Industriezeitalters: Schienenresten der Straßenbahn, die von 1899 bis 1954 zwischen Schwerte und Hörde hin- und hergependelt ist.

Und die sollten nicht undokumentiert zerstört werden, wenn der Ausbau der B236 in diesem Bereich durch einen neuen Radweg ergänzt wird.

Auf einem Plan hatte Grabungstechniker Luth Cramer aus Olpe die Fläche am Freischütz markiert, wo Reste der Straßenbahnschienen vermutet wurden.

Auf einem Plan hatte Grabungstechniker Luth Cramer aus Olpe die Fläche am Freischütz markiert, wo Reste der Straßenbahnschienen vermutet wurden. © Reinhard Schmitz

„Wir verfügen über eine umfangreiche Datenbank, die wir mit dem Bauvorhaben abgeglichen haben“, berichtete Lutz Cramer. Ein Treffer: Die Stelle neben der Hörder Straße wurde sogar zum „Verdachtsfall“ für einen historischen Verkehrsknoten. Denn über den rechtwinklig in den Schwerter Wald hineinführenden Weg sei früher eine Bahn zur damaligen Zeche Josefine verlaufen, an die tief im Forst nur noch ein paar Krater eingefallener Stollen – sogenannte Pingen – erinnern.

Ob einst gefördertes Eisenerz auf Wagen der Straßenbahn umgeladen wurde oder ob die Wagen nur den Bergleuten den Weg zur Arbeit erleichterten, wusste der Grabungstechniker nicht.

Die Archäologen hatten an dieser Stelle kein Grabungsglück

Das Erdreich behielt seine Geheimnisse für sich. Als der Bagger nach gut einstündiger Grabung auf Sand stieß, wurde die Suche abgebrochen. „Hier ist schon mal alles umgekrempelt worden“, erkannte Lutz Cramer sofort. Die helle Schicht deckte eine Leitung ab, die nahe der Straße verlegt worden war.

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Enttäuscht waren die Archäologen deshalb nicht. Sie sind es gewöhnt. Denn nur bei einem Prozent aller Fälle werden sie – wie zu hören war – in der Regel fündig. An der B236 kam erschwerend hinzu, dass die Trasse der Straße, über die die Straßenbahn fuhr, längst verändert worden ist.

Sie verlief ursprünglich viel näher am Eingang des Freischütz vorbei. Unter dessen Parkplatz könnten deshalb womöglich noch Schienen zu finden sein. Aber den kann man nicht durch Grabungen zerstören.

Am 30. Juni 1954 wurde die Straßenbahn Schwerte-Hörde durch Gelenkbusse ersetzt. Das Abschiedsfoto zeigt, dass die Hörder Straße mit den Schienen damals viel näher vor dem Freischütz-Eingang vorbeiführte als die heutige B236.

Am 30. Juni 1954 wurde die Straßenbahn Schwerte-Hörde durch Gelenkbusse ersetzt. Das Abschiedsfoto zeigt, dass die Hörder Straße mit den Schienen damals viel näher vor dem Freischütz-Eingang vorbeiführte als die heutige B236. © RN-Archiv

„Hier die Drohne steigen zu lassen, lohnt sich nicht mehr“, sagte Lutz Cramer. Bevor seine Kollegen ihre Werkzeugkoffer wieder einpackten, holten sie noch ein spezielles GPS-Gerät heraus, mit dem sie die untersuchte Stelle nahezu zentimetergenau einmessen konnten. Damit wird zumindest dokumentiert, dass hier keine Erkenntnisse zu holen sind und nie wieder gegraben werden muss.

In der Innenstadt gibt es noch Wandhaken von der Oberleitung

Oberirdische Zeugnisse der ehemaligen Straßenbahn gibt es aber noch in Schwerte. An manchen Hausfassaden der Fußgängerzone sind noch Haken oder gar verzierte Wandrosetten zu erkennen, an denen die Oberleitung befestigt war, die die Wagen mit elektrischem Strom versorgten.

Vor dem Bau eines Radwegs nahmen die Archäologen den Seitenstreifen neben der B236 am Freischütz unter die Lupe.

Vor dem Bau eines Radwegs nahmen die Archäologen den Seitenstreifen neben der B236 am Freischütz unter die Lupe. © Reinhard Schmitz

Am 18. Mai 1899 war die Straßenbahn Hörde-Schwerte als Linie 3 der damaligen Hörder Kreisbahn eröffnet worden. Die Strecke führte über Berghofen und vom Freischütz die Hörder Straße herunter bis zum Marktplatz. Als Verlängerung wurde noch eine Linie 4 nach Westhofen und weiter zum heutigen Parkplatz der Naturbühne Hohensyburg gebaut, wo man in eine Standseilbahn zum Kaiser-Wilhelm-Denkmal umsteigen konnte.

Mit dieser Ausflugsmöglichkeit war allerdings schon kurz nach dem Ersten Weltkrieg wieder Schluss. Durch Schwerte bimmelte die Straßenbahn noch bis zum 30. Juni 1954. Die Wagen wurden alle verschrottet.

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