Metro wird 60 Warum Schermbecker Walter Vieth am Eröffnungstag mit Angst heimfuhr

Vor 60 Jahren: Walter Vieth plant ersten Metro-Großhandel in Essen
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Knapp 95.000 Mitarbeiter, 661 Märkte in mehr als 30 Ländern und ein jährlicher Umsatz mit knapp 30 Milliarden Euro (Stand 2021/22). Das sind die wirtschaftlichen Zahlen des Großhandelsunternehmens Metro.

Als Gründer wurde Otto Beisheim einst in der Öffentlichkeit bekannt. Er sei es gewesen, der das Cash&Carry-System von Amerika nach Deutschland brachte und 1964 die Metro aus dem Boden stampfte und das Unternehmen über die Jahre weiter vorantrieb. Aber: „Das ist Glatteis“, hält Walter Vieth dagegen.

Der in Bocholt geborene Einzelhändler erlebte die Anfänge des Milliarden-Konzerns als erster Geschäftsführer hautnah mit. Für den ersten Metro-Markt übernahm er persönlich die Planung und Eröffnung.

Daher weiß der 87-Jährige genau: Die erste Metro öffnete nicht erst 1964, sondern bereits 1963 ihre Pforten – noch bevor Otto Beisheim ins Spiel kam.

Damals war der heute in Schermbeck lebende und auch in Dorsten vor gut zehn Jahren als finanzverantwortliches Vorstandsmitglied des Jüdischen Museums bekannt gewordene Walter Vieth beim Lebensmittel-Großhändler SPAR vorstellig geworden. „Die SPAR Ruhr/Niederrhein in Duisburg plante zu diesem Zeitpunkt einen Cash&Carry-Markt und suchte dafür jemanden, der das organisiert. Das war ein sehr interessantes Projekt“, schildert Walter Vieth.

Vieth ist ein Mann der Praxis

Eigentlich hatte sich Vieth für eine Stelle bei der SPAR-Zentrale in Österreich interessiert. Dort sollte er die Schulung der Einzelhändler übernehmen. Doch Vieth wurde nach Duisburg geschickt. „Man hat mir gesagt, ich sei ein Mann der Praxis, nicht der Theorie“, erinnert sich Vieth.

Diese Feststellung leuchtet angesichts der Vita von Walter Vieth ein. Im Spielwarengeschäft der Eltern bildete er sich zum Einzelhandelskaufmann aus. Über eine Sonderprüfung durfte er in Hamburg VWL, BWL und Soziologie studieren. Anschließend bewarb er sich beim späteren Aldi-Chef Karl Albrecht.

Vieth leitete schnell im Bezirk Ruhr-Niederrhein 13 Albrecht-Stubenläden. Kurze Zeit später gestaltete er in Dinslaken den ersten Aldi-Discounter. „Der lief wie eine Bombe“, erinnert er sich. In Duisburg, Walsum, Wesel und Bocholt stellte er weitere Stubenläden in Discounter um. Der Weg für den heutigen Aldi war geebnet.

Verwirrung um Gründungsjahr

Doch zurück zur Metro: Walter Vieth übernahm die Planung und Organisation des ersten Marktes in Essen. Ein Dreivierteljahr hatte er Zeit, um mit dem Architekten die Details zu besprechen, Mitarbeiter einzustellen und das Sortiment zu bestimmen. Am 5. November 1963 war es schließlich soweit und der Markt ging in Betrieb – und das „sofort mit Erfolg“.

Erst ein Jahr später kam die Verbindung zwischen Metro und Otto Beisheim zustande, der damals Prokurist der Firma Stöcker & Reinshagen (Schell) war. Die plante in Mülheim an der Ruhr ebenfalls einen Cash&Carry-Markt. Zum Kontakt zwischen Beisheim und den Metro-Gründern Ernst-Schmidt und Wilhelm Schmidt-Ruthenbeck kam es schließlich auf Anraten von Walter Vieth selbst.

So sah Walter Vieth zum Zeitpunkt der Metro-Gründung aus.
So sah Walter Vieth zum Zeitpunkt der Metro-Gründung aus. © Privat

„Ich habe ihnen gesagt, dass die uns in Mülheim sehr nahe kommen und habe eine Fusion vorgeschlagen“, sagt Vieth. Genau dazu kam es dann auch. In Mülheim eröffnete wenig später also der zweite Metro-Markt.

Otto Beisheim stieg 1966 zum Generalbevollmächtigten auf. Entgegen der eigentlichen Gründungsgeschichte behauptete Beisheim laut Vieth, die erste Metro hätte es erst 1964 gegeben. „Ich bin der einzige, der sagt, dass das gelogen ist. Es hieß, 1963 sei das noch kein richtiger Metro-Markt gewesen. Das war er aber“, sagt Walter Vieth.

Zudem habe es bereits mit Ratio in Münster und Hamberger in München zwei weitere Cash&Carry-Großhandel gegeben. Otto Beisheim habe demnach nicht das System nach Deutschland gebracht.

Auf der Homepage der Metro steht hingegen Folgendes zur Firmengeschichte: „Den Grundstein für das Erfolgskonzept des Selbstbedienungs-Großhandels legten die Brüder Wilhelm Schmidt-Ruthenbeck und Erwin Schmidt gemeinsam mit der Schell-Familie am 27. Oktober 1964. Damals eröffneten sie in Mülheim an der Ruhr den ersten Metro Cash & Carry-Großmarkt und realisierten so die Vision eines Markts, der sich speziell an die Bedürfnisse von Gewerbetreibenden richtet.“

Im Jahr 1964 sei die offizielle Firmengründung der Metro-SB-Großmärkte GmbH & Co. KG mit Sitz in Mühlheim erfolgt, wie das Unternehmen ihre Argumentation auf Nachfrage dieser Redaktion untermauert.

Walter Vieth kann belegen, dass der Cash&Carry-Markt in Essen damals als erste Metro beworben wurde. Zeitungsanzeigen von der WAZ aus dieser Zeit hat er stets aufbewahrt.

Anzeige zur Eröffnung der ersten Metro in der WAZ.
Anzeige zur Eröffnung der ersten Metro in der WAZ. © Privat
Werbeanzeige der ersten Metro in Essen 1963 in der WAZ.
Werbeanzeige der ersten Metro in Essen 1963 in der WAZ. © Privat

Die Anfänge der Metro

An die Anfangszeit des Metro-Marktes in Essen kann sich der 87-Jährige noch gut erinnern. Ein Computer erstellte damals schon im Gegensatz zur Konkurrenz die Rechnungen. Vor jedem Warenstapel befanden sich Lochkarten, die von den Kunden je nach Menge (ein Karton=eine Lochkarte) gezogen wurden. An der Kasse wurden diese in den Rechner geschmissen, der automatisch die Rechnung erstellte.

Info über das Abrechnungs-System in der Eröffnungsbroschüre der Metro 1963
Info über das Abrechnungs-System in der Eröffnungsbroschüre der Metro 1963 © Privat

Am Abend des Eröffnungstages stand Vieth nun plötzlich mit einem Haufen Bargeld da. „Ich habe vergessen, einen Tresor einzuplanen, oder einen Fahrdienst, der das Geld abholt“, musste Vieth feststellen.

Mit einer sechsstelligen Summe und viel Angst im Gepäck fuhr Vieth also selbst zur Deutschen Bank und warf die Geldbomben ein. „Das war mehr als fahrlässig“, kam er mit dem Schrecken davon. Am nächsten Tag stand dann aber ein Fahrdienst parat und Vieth konnte sich beruhigt auf seine Hauptaufgabe konzentrieren.

Als erfahrene Einzelhändler wussten Vieth und die Schmidt-Brüder auch mit Werbung umzugehen. Zur Eröffnung wurden Eröffnungsbroschüren mit Karikaturen verteilt, in denen das Cash&Carry-System und die Einkaufs-Bedingungen genau erklärt wurden.

Eröffnungsseite der Eröffnungsbroschüre der Metro 1963
Eröffnungsseite der Eröffnungsbroschüre der Metro 1963 © Privat

Erstmals fand sich das gesamte Sortiment, anders als bei der Großhandel-Konkurrenz, in einer großen Halle und war nicht auf mehrere Hallen verteilt. Ein breites Lebensmittelsortiment von Fleisch über Tiefkühlkost zu Feinkost aus aller Herren Länder, aber auch eine umfangreiche Non-Food-Abteilung mit Haushaltswaren, Textilien und Schmuck war zu finden. „Wir konnten den Händlern eine Menge bieten, an das sie sonst nicht rankamen“, sagt Walter Vieth.

Die langen Öffnungszeiten von 6 bis 21.30 Uhr und die Tatsache, dass die Metro als Großhändler nicht an die Preisbindung der Markenartikel gebunden war, waren weitere Vorteile. „Die Gastwirte und Händler konnten bei uns deutlich billiger einkaufen.“

Bergarbeiter für das Lager

In diesen Genuss wollten aber auch Leute kommen, die nicht zum Einkaufen berechtigt waren. „Es gab ständig Leute, die keinen Nachweis führten. Wir haben sehr streng kontrolliert, denn jeder musste eine Gewerbeerlaubnis vorlegen“, erklärt Vieth.

Sieben Jahre lang leitete Walter Vieth als erster Geschäftsführer den Metro-Markt in Essen. Die besten Angestellten seien ehemalige Bergleute gewesen, die Vieth vor allem für das Lager reihenweis einstellte. „Die waren ganz harte Arbeit gewohnt und kannten Schichtarbeit. Das war eine Qualität, die war einmalig.“

Ende 1969 verließ Walter Vieth die Metro und ging als Organisationsleiter zurück zur SPAR-Zentrale. Seitdem lebt der vom Handelsblatt als „Handelsveteran“ bezeichnete Vieth in Schermbeck. 1980 wechselte Vieth zur Tengelmann-Gruppe in Mülheim, wo er mitverantwortlich für die Entwicklung des Markendiscounters Plus (heute Netto) war. Später leitete er 13 Jahre lang die Schokoladenfabrik Wissoll.

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