Teil drei, die Mannschaft: Ein verschworener Haufen
Serie: 20 Jahre Eurofighter
1997 feierte der FC Schalke 04 mit dem UEFA-Cup-Sieg seinen bislang größten Erfolg der Vereinsgeschichte. In einer dreiteiligen Serie blickt Norbert Neubaum auf die Zeit vor 20 Jahren zurück. Heute geht es um die Mannschaft: So unterschiedlich die Charaktere der Eurofighter auch waren – auf dem Platz bildeten sie in Europa eine fast unschlagbare Einheit.

Neben dem Speilfeld waren die einzelnen Charaktere der "Eurofighter" von Grund auf verschieden - doch auf dem Platz, bildeten die Königsblauen eine verschworene Einheit.
Mathias Schober muss noch heute schmunzeln, wenn er an die „Motivations-Rede“ von Huub Stevens vor den Finalspielen gegen Inter Mailand denkt. „Der Trainer“, so Schalkes damaliger Ersatztorhüter, „hat uns darauf hingewiesen, dass es für die meisten von uns wohl das erste und einzige Mal sein werde, dass wir in einem europäischen Finale stehen. Dabei war ich damals erst 21…“
Truppe im besten Fußballer-Alter
Aber Stevens wusste halt, wie er seine Eurofighter anzupacken hatte. Denn der junge Schober war die Ausnahme. Der große Rest der Truppe war bereits im besten Fußballer-Alter bzw. schon im Herbst der Karriere: Andreas Müller, Johan de Kock, Jiri Nemec, Olaf Thon, Ingo Anderbrügge, Mike Büskens, Marc Wilmots – das Gerüst der UEFA-Cup-Sieger von 1997 wusste, dass diese eine Chance für sie wohl nie wiederkommen würde. Im Gegensatz zum Beispiel zu Jens Lehmann und Thomas Linke, für die der Schalker Sensations-Erfolg quasi der Beginn der ganz großen Karriere war.
Doch nicht nur dieses vielleicht einmalige Ziel verband die Eurofighter – schließlich hatten sie auch schon eine gemeinsame und bewegte Vergangenheit hinter sich. Der Großteil der Mannschaft war 1993 dabei, als sich Schalke unter Trainer Jörg Berger aus dem Tabellenkeller befreite, drei Jahre später völlig überraschend nach 19 abstinenten Schalker Jahren erstmals wieder in den Europapokal einzog – und auch maßgeblich an der Entlassung des bei den Fans äußerst beliebten Jörg Berger beteiligt. Die gespenstischen Szenen, als die Schalker Profis im Spiel eins nach Berger gegen den Karlsruher SC wegen der aufgebrachten Fans die Katakomben des Parkstadions unter Polizeischutz verlassen mussten, waren den meisten Spielern noch in lebendiger Erinnerung.
"Reiberein wurden intern gelöst"
Und nun, nur ein paar Monate später, waren sie drauf und dran, für den größten Erfolg in der Schalker Vereinsgeschichte sorgen zu können. „Das war ein verschworener Haufen“, erinnert sich Hubert Neu, sowohl unter Jörg Berger als auch unter Huub Stevens Co-Trainer. „Es gab zwar auch Reibereien, aber die wurden intern gelöst und blieben in der Kabine. Wenn es mal gekracht hat, hatte das meistens die Kraft eines reinigenden Gewitters.“
Dass es diese Gewitter gab, war angesichts der charakterlichen Besetzung der Mannschaft nur allzu logisch. Jeder Eurofighter war quasi ein eigener Typ, eine eigene Marke: Der damals schon eigenwillige Jens Lehmann, der im positiven Sinne oft kauzig wirkende Yves Eigenrauch, geborene Führungsspieler wie Olaf Thon und Marc Wilmots, schlaue Füchse wie Jiri Nemec und starke Persönlichkeiten wie Johan de Kock, Youri Mulder, Andreas Müller, Ingo Anderbrügge und Mike Büskens, die – jeder auf seine Weise – ihren Anteil am Gesamterfolg der Mannschaft hatten.
"Für Wilmots weit aus dem Fenster gelehnt"
So unterschiedlich die Kombination dieser Charaktere auch war, sportlich hatte sich Manager Rudi Assauer schon etwas bei der Zusammenstellung dieser Formation gedacht. „Für Marc Wilmots beispielsweise “, erinnert sich Schalkes heutiger Finanzvorstand Peter Peters, „haben wir uns finanziell für unsere damaligen Verhältnisse richtig weit aus dem Fenster gelehnt. Aber Rudi Assauer war von diesem Transfer absolut überzeugt, weil er wusste, dass Wilmots Schalke auf eine andere, auf eine höhere Ebene hieven würde.“ Dass es auf Anhieb die auf den UEFA-Cup-Thron werden würde, hat aber auch Assauer nicht geahnt. Als sich vor den Halbfinal-Spielen gegen Teneriffa Youri Mulder und Martin Max schwer verletzten und damit der komplette erste Sturm wegbrach, fürchtete Assauer: „Das war’s. Damit ist die Saison gelaufen.“
Dieses eine Mal irrte Assauer – und sogar er unterschätzte damit die Fähigkeit dieser wohl einzigartigen Mannschaft, füreinander da zu sein und für den Kollegen einzuspringen. Denn Trainer Huub Stevens beorderte den treuen Radek Latal in den Sturm, prägte die aus der Not geborene Devise „Die Null muss stehen“ – und Schalke zog auch ohne M+M-Sturm ins Finale ein.
25.000 mitgereiste Fans im Rücken
TV-Reporterlegende Werner Hansch kommentierte das Final-Rückspiel bei Inter Mailand damals für SAT1 und beschreibt seine Erinnerungen im Eurofighter-Sonderheft des „Kicker Sportmagazins“ so: „Es war frühzeitig zu erkennen, dass Schalke auch als klarer Außenseiter der große Wurf gelingen kann. Weil Schalke mit wahrscheinlich 25.000 mitgereisten Fans im Rücken von Anfang an als eine verschworene Einheit auftrat, die auf eine Ansammlung von Individualisten traf, auch wenn die die größeren Namen hatten. Was die Mannschaft in diesem wahrsten Sinne des Wortes betrifft, hat Schalke danach wahrscheinlich keine bessere mehr gehabt.“
Eine Mannschaft, von der viele Spieler wussten, dass es vielleicht ihre erste und letzte Chance auf einen europäischen Titel sein würde. So wie es der Trainer gesagt hat.