Tedesco: "Für mich gibt es keinen Tag ohne Fußball"
Schalke-Trainer im Interview
Zwischen zwei Trainingseinheiten zieht Schalke-Trainer Domenico Tedesco eine erste Bilanz bei den Königsblauen. Der 32-Jährige spricht im Interview über psychologische Aspekte seiner Arbeit, Gefahren des Trainerberufs, Gänsehautmomente und er erklärt, warum Coke bisher noch keine Bundesligaminute unter seiner Leitung gespielt hat.

Domenico Tedesco steckt viel Arbeit in seine Aufgabe auf Schalke: "Aber das genieße ich auch, ich bin schon etwas fußballverrückt", sagt er im Interview.
In dieser Woche sind Sie 100 Tage im Amt. Ist Schalke so, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Ich habe mich auf meine neue Aufgabe vorbereitet und keine Ängste verspürt, was da wohl auf mich zukommen wird. Von vielen Dingen bin ich positiv angetan, zum Beispiel von der Emotionalität, mit der hier Themen diskutiert werden. Oder nehmen Sie die Atmosphäre in der Veltins-Arena, aber auch bei Auswärtsspielen, wie viele Anhänger uns begleiten. Das finde ich fantastisch.
Was hat Sie bisher am meisten beeindruckt?
Der Besuch der Fans beim Training und bei den Auswärtsspielen. Wenn ich zum Beispiel an die Partie in Hoffenheim denke. Das war Wahnsinn, wie wir dort von den Schalker Anhängern unterstützt wurden.
Wie unterscheidet sich hier ihre Arbeit im Vergleich zu ihren bisherigen Trainerstationen?
In Aue hatte ich zunächst keine Zeit, Konzepte zu entwickeln. An einem Mittwoch wurde ich vorgestellt, Freitag war das erste Spiel. Ansonsten ist die Arbeit ähnlich. Ob es 17- oder 18-Jährige sind oder Profis, das spielt im Prinzip keine Rolle. Es geht um die Inhalte, um die Ansprache, aber grundsätzlich ist die Arbeit auf dem Platz vergleichbar. Aber natürlich ist die öffentliche Aufmerksamkeit hier deutlich größer.
Was muss man bei der Kommunikation mit Fußball-Profis besonders beachten?
Spieler müssen merken, dass man es gut mit ihnen meint. Ich gehe nicht in ein Gespräch mit einem Spieler rein und sage ihm sofort: Das machst Du schlecht, das sind deine Schwächen. Sondern ich möchte seine Stärken stärken, erst einmal die positiven Dinge benennen und dann auf die Schwächen kommen. Das hilft, , Zugang zu ihm zu bekommen.
Sie sind also auch als Psychologe gefragt?
Das ist ganz entscheidend. Vieles spielt sich im Kopf ab.
Sie gelten als Workaholic, der sich rund um die Uhr mit Fußball beschäftigt. Wie lange brauchen Sie nach einem Spiel, um auf andere Gedanken zu kommen?
Das hängt wesentlich vom Spielverlauf ab. Wenn wir gewonnen und auch noch gut gespielt haben, schlafe ich schneller ein. Bei Niederlagen ist es schwieriger, aber eine komplette Nacht habe ich noch nicht wach gelegen. Wobei, nach dem ersten Heimspiel gegen Leipzig ist es mir schon schwer gefallen, zur Ruhe zu kommen. Das war ein ganz besonderes Spiel für mich, weil ich die Atmosphäre in der Veltins-Arena als direkt Beteiligter nicht kannte.
Fußballer gelten als abergläubisch. Sind Sie das als Trainer auch?
Die richtige Reihenfolge beim Sockenanziehen, das war mal bei mir. Jetzt habe ich es auf ein Minimum reduziert. Ein paar Sachen sind aber immer noch dabei. Wenn wir zum Beispiel gewonnen haben, denke ich vor dem nächsten Spiel darüber nach, ob ich bei der Spielvorbereitung besondere Worte benutzt habe.
Bleibt Ihnen aktuell Zeit für Hobbys?
Eigentlich nicht. Ich habe mich früher mal für Fotografie interessiert. Spaziergänge und Wandern konnte ich als Jugendtrainer auch noch öfter durchführen. Aber jetzt als Bundesligatrainer? Wenn unser Trainerteam mal kein Training leitet, haben wir nicht frei, sondern sind mit Analysen oder den nächsten Gegnern beschäftigt. Aktuell gibt es für mich keinen Tag ohne Fußball. Aber das genieße ich auch, ich bin schon etwas fußballverrückt.
Und die Familie trägt das mit?
(lächelnd) Sie hat ja keine Alternative. Im Ernst: Ich versuche mir wenigstens für ein paar Stunden immer wieder Freiräume für das Wesentliche im Leben zu schaffen. Das ist sehr wichtig. Dass man sich zu viel Arbeit aufbürdet, diese Gefahr ist in unseren Job gegeben.
Wie empfinden Sie das gewaltige mediale Interesse auf Schalke? Ist das für Sie eher eine Belastung oder fühlen sie sich damit wohl?
Weder noch. Es ist mehr als in Aue, Stuttgart oder Hoffenheim. Aber ich kann damit umgehen, es gehört zu meinem Job.
Auf Seite 2 lesen Sie, was Tedesco über die aktuelle sportliche Situation, den sehr kleinen Kader und die Rolle von Coke im Team sagt.
Ist der Oktober ein richtungweisender Monat für Schalke?
Wir freuen uns erst einmal, dass die Länderspielpause vorbei ist. Wir hatten jetzt Zeit viel zu trainieren und die Mannschaft weiter zu entwickeln - aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn viele Spieler standen uns wegen der Länderspiele nicht zur Verfügung. Deshalb mussten wir viel individuell arbeiten. Was das Programm im Oktober betrifft, haben wir nach dem Berlin-Spiel in der Bundesliga zwei Heimpartien in Folge. Natürlich wollen wir so viel wie möglich punkten.
Aber?
Auf meinen früheren Trainerstationen hieß es auch des Öfteren: Wenn wir das nächste Spiel verlieren, dann ist der Anschluss weg. Aber sieben Wochen später war die Formulierung vor der nächsten Partie die gleiche. Deshalb sage ich, auch wenn es eine Floskel ist: Wir müssen von Woche zu Woche denken, von Spiel zu Spiel.
Aktuell ist Schalke Neunter. Entspricht das dem Leistungsniveau der Mannschaft?
Die Tabelle lügt nicht, aber ein, zwei Punkte mehr hätten es schon sein können. Jetzt ist die Position noch nicht entscheidend. Wir wissen ganz genau, was wir gut und nicht so gut gemacht haben. Diesen Spiegel halten wir der Mannschaft vor.
Zu ihr gehört noch Leon Goretzka, der bei der Nationalelf wieder für Furore gesorgt hat. Wie groß ist noch ihre realistische Hoffnung, dass er auch nach dem Saisonende Schalker bleibt?
Wir glauben daran und versuchen alles, ihn zu halten. Leon ist ein ganz wichtiger Baustein für uns.
Was fehlt Coke noch, damit er in der Bundesliga mal wieder zum Einsatz kommt?
Er hatte in einer wichtigen Vorbereitungsphase nicht die Athletik, die wir uns versprochen hatten. Hinzu kommt die Konkurrenzsituation und die Tatsache, dass Coke ein klassischer Rechtsverteidiger ist. Wir haben aber bisher in der Abwehr meistens auf eine Dreierkette gesetzt. Er nimmt seine aktuelle Lage jedoch wunderbar an. Wir haben auch viele Einzelgespräche geführt: Er weiß, wie sehr wir ihn schätzen – auch wenn er aktuell nicht spielt.
Die Winterpause ist diesmal wegen der WM 2018 extrem kurz. Fährt Schalke trotzdem in ein Wintertrainingslager?
Ich würde das begrüßen.
Schalke hat den kleinsten Kader der Liga. Werden Sie in der Winterpause auf Verstärkungen drängen?
Ich bin im ständigen Austausch mit Manager Christian Heidel und Sportdirektor Axel Schuster. Ein kleiner Kader hat Vor- und Nachteile. Jeder Trainer will seinen Kader punktuell verbessern, unabhängig davon, wie groß seine Mannschaft ist.
Wer rückt für Benny Höwedes in den Mannschaftsrat nach?
Niemand. Der Mannschaftsrat schrumpft um eine Person. Es bleibt bei der aktuellen Besetzung mit Ralf Fährmann, Guido Burgstaller, Leon Goretzka und Naldo. Diese Anzahl passt zu unserem kleinen Kader. (schmunzelnd)
Bundestrainer Löw hat die letzten Europacup-Ergebnisse der deutschen Klubs als alarmierend bezeichnet. Wie sehen Sie die Lage?
Ich finde es verfrüht, die Situation so zu bezeichnen. Die deutschen Mannschaften sind 100 Prozent wettbewerbsfähig. Es gab ein paar unglückliche Ergebnisse, aber das ist für mich noch kein negativer Trend. Ich bin mir sicher, dass die Resultate bald wieder passen.