Tedesco: "Für mich gibt es keinen Tag ohne Fußball"

Schalke-Trainer im Interview

Zwischen zwei Trainingseinheiten zieht Schalke-Trainer Domenico Tedesco eine erste Bilanz bei den Königsblauen. Der 32-Jährige spricht im Interview über psychologische Aspekte seiner Arbeit, Gefahren des Trainerberufs, Gänsehautmomente und er erklärt, warum Coke bisher noch keine Bundesligaminute unter seiner Leitung gespielt hat.

Gelsenkirchen

12.10.2017, 06:25 Uhr / Lesedauer: 4 min
Domenico Tedesco steckt viel Arbeit in seine Aufgabe auf Schalke: "Aber das genieße ich auch, ich bin schon etwas fußballverrückt", sagt er im Interview.

Domenico Tedesco steckt viel Arbeit in seine Aufgabe auf Schalke: "Aber das genieße ich auch, ich bin schon etwas fußballverrückt", sagt er im Interview.

In dieser Woche sind Sie 100 Tage im Amt. Ist Schalke so, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Ich habe mich auf meine neue Aufgabe vorbereitet und keine Ängste verspürt, was da wohl auf mich zukommen wird. Von vielen Dingen bin ich positiv angetan, zum Beispiel von der Emotionalität, mit der hier Themen diskutiert werden. Oder nehmen Sie die Atmosphäre in der Veltins-Arena, aber auch bei Auswärtsspielen, wie viele Anhänger uns begleiten. Das finde ich fantastisch.

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Was hat Sie bisher am meisten beeindruckt?

Der Besuch der Fans beim Training und bei den Auswärtsspielen. Wenn ich zum Beispiel an die Partie in Hoffenheim denke. Das war Wahnsinn, wie wir dort von den Schalker Anhängern unterstützt wurden.

 

Wie unterscheidet sich hier ihre Arbeit im Vergleich zu ihren bisherigen Trainerstationen?

In Aue hatte ich zunächst keine Zeit, Konzepte zu entwickeln. An einem Mittwoch wurde ich vorgestellt, Freitag war das erste Spiel. Ansonsten ist die Arbeit ähnlich. Ob es 17- oder 18-Jährige sind oder Profis, das spielt im Prinzip keine Rolle. Es geht um die Inhalte, um die Ansprache, aber grundsätzlich ist die Arbeit auf dem Platz vergleichbar. Aber natürlich ist die öffentliche Aufmerksamkeit hier deutlich größer.

 

Was muss man bei der Kommunikation mit Fußball-Profis besonders beachten?

Spieler müssen merken, dass man es gut mit ihnen meint. Ich gehe nicht in ein Gespräch mit einem Spieler rein und sage ihm sofort: Das machst Du schlecht, das sind deine Schwächen. Sondern ich möchte seine Stärken stärken, erst einmal die positiven Dinge benennen und dann auf die Schwächen kommen. Das hilft, , Zugang zu ihm zu bekommen.

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Das ist Domenico Tedesco

Das ist Schalkes neuer Trainer Domenico Tedesco.
09.06.2017
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Der Deutsch-Italiener Domenico Tedesco wurde am 12. September 1985 in Rossano (Italien) geboren. Neben Deutsch und italienisch spricht Tedesco Spanisch und Englisch.© Foto: dpa
Tedesco ist ausgebildeter Kaufmann im Groß- und Außenhandel. Zudem absolvierte er ein Bachelor-Studium des Wirtschaftsingenieurswesens und ein Master-Studium im Fach Innovationsmanagement.© Foto: dpa
Als Fußballer stand Tedesco natürlich auch selber auf dem Platz - allerdings nur unterklassig. Für den ASV Aichwald schnürte Tedesco in der Kreisliga A die Schuhe.© Foto: dpa
Am 1. Juli 2008 begann Tedesco, in der Jugend des VfB Stuttgart als Co-Trainer unter Thomas Schneider zu arbeiten. Später wurde er Co-Trainer der U17, im Jahr 2013 stieg er zu ihrem Cheftrainer auf.© Foto: dpa
Zum Ende der Saison 2014/15 verließ er den VfB Stuttgart und wurde Jugendtrainer der TSG 1899 Hoffenheim. Vor der Saison 2016/17 wurde er zum U-19-Trainer befördert.© Foto: dpa
Von dort aus nahm Tedesco den Sprung in den Seniorenbereich. Am 8. März verpflichtete Zweitligist Erzgebirge Aus, zu dem Zeitpunkt Tabellenletzter, Domenico Tedesco als Cheftrainer. In den ersten fünf Spielen holte er 13 Punkte und sicherte Erzgebirge Aue am Ende den Klassenerhalt.© Foto: dpa
Zusammen mit Julian Nagelsmann (r), Trainer der TSG 1899 Hoffenheim, absolvierte Domenico Tedesco den Fußball-Lehrer-Lehrgang. Bei der DFB-Trainergala 2016 in Frankfurt am Main wurde Tedesco mit der Urkundeals Jahrgangsbeseter ausgezeichnet - noch vor Nagelsmann. Notenschnitt: 1,0. Doch Tedesco bleibt bescheiden: "Ich weiß diesen Titel sicherlich einzuschätzen. Die beste Note ist nicht immer der beste Trainer."© Foto: dpa
Insgesamt bestritt Tedesco mit Erzgebirge Aue elf Spiele in der 2. Fußball-Bundesliga und sammelte dabei im Schnitt 1,82 Punkte pro Partie. Sein Vertrag in Aue lief eigentlich noch bis 2018. Eine Ausstiegsklausel machte aber einen vorzeitigen Wechsel möglich.© Foto: dpa
Tedesco gilt als sehr umgänglich - als Mensch, wie auch als Coach. Mit seinen Spielern redet er viel. Spielern, die es nicht in den Kader geschafft haben, erklärt er, woran sie arbeiten müssen. © Foto: dpa
In Aue schwärmen sie in höchsten Tönen von Tedescu. So erklärte Vereinsboss Helge Leonhardt einst: "Er hatte sich seit unserem ersten Kontakt akribisch mit dem Team beschäftigt, hat keine hohlen Phrasen gedroschen und auch keine wilden Versprechungen gemacht. Schon da ist mir aufgefallen: Der Trainer spricht nicht von sich, er hat von der ersten Sekunde an eben von jenem Wir gesprochen."© Foto: dpa
In Aue bevorzugte Tedesco ein 3-4-3-System, das aber je nach Spielsituation auch angepasst wurde. © Foto: dpa
Nun geht es also vom einen Kumpelklub zum nächsten. Bleibt abzuwarten, ob es für Senkrechtstarter Tedesco auch auf Schalke weiter so rasant nach oben geht.© Foto: dpa
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Sie sind also auch als Psychologe gefragt?

Das ist ganz entscheidend. Vieles spielt sich im Kopf ab.

 

Sie gelten als Workaholic, der sich rund um die Uhr mit Fußball beschäftigt. Wie lange brauchen Sie nach einem Spiel, um auf andere Gedanken zu kommen?

Das hängt wesentlich vom Spielverlauf ab. Wenn wir gewonnen und auch noch gut gespielt haben, schlafe ich schneller ein. Bei Niederlagen ist es schwieriger, aber eine komplette Nacht habe ich noch nicht wach gelegen. Wobei, nach dem ersten Heimspiel gegen Leipzig ist es mir schon schwer gefallen, zur Ruhe zu kommen. Das war ein ganz besonderes Spiel für mich, weil ich die Atmosphäre in der Veltins-Arena als direkt Beteiligter nicht kannte.

 

Fußballer gelten als abergläubisch. Sind Sie das als Trainer auch?

Die richtige Reihenfolge beim Sockenanziehen, das war mal bei mir. Jetzt habe ich es auf ein Minimum reduziert. Ein paar Sachen sind aber immer noch dabei. Wenn wir zum Beispiel gewonnen haben, denke ich vor dem nächsten Spiel darüber nach, ob ich bei der Spielvorbereitung besondere Worte benutzt habe.

Bleibt Ihnen aktuell Zeit für Hobbys?

Eigentlich nicht. Ich habe mich früher mal für Fotografie interessiert. Spaziergänge und Wandern konnte ich als Jugendtrainer auch noch öfter durchführen. Aber jetzt als Bundesligatrainer? Wenn unser Trainerteam mal kein Training leitet, haben wir nicht frei, sondern sind mit Analysen oder den nächsten Gegnern beschäftigt. Aktuell gibt es für mich keinen Tag ohne Fußball. Aber das genieße ich auch, ich bin schon etwas fußballverrückt.

 

Und die Familie trägt das mit?

(lächelnd) Sie hat ja keine Alternative. Im Ernst: Ich versuche mir wenigstens für ein paar Stunden immer wieder Freiräume für das Wesentliche im Leben zu schaffen. Das ist sehr wichtig. Dass man sich zu viel Arbeit aufbürdet, diese Gefahr ist in unseren Job gegeben.

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Wie empfinden Sie das gewaltige mediale Interesse auf Schalke? Ist das für Sie eher eine Belastung oder fühlen sie sich damit wohl?

Weder noch. Es ist mehr als in Aue, Stuttgart oder Hoffenheim. Aber ich kann damit umgehen, es gehört zu meinem Job.

 

Auf Seite 2 lesen Sie, was Tedesco über die aktuelle sportliche Situation, den sehr kleinen Kader und die Rolle von Coke im Team sagt.

 

Ist der Oktober ein richtungweisender Monat für Schalke?

Wir freuen uns erst einmal, dass die Länderspielpause vorbei ist. Wir hatten jetzt Zeit viel zu trainieren und die Mannschaft weiter zu entwickeln  - aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn viele Spieler standen uns wegen der Länderspiele nicht zur Verfügung. Deshalb mussten wir viel individuell arbeiten. Was das Programm im Oktober betrifft, haben wir nach dem Berlin-Spiel in der Bundesliga zwei Heimpartien in Folge. Natürlich wollen wir so viel wie möglich punkten.

 

Aber?

Auf meinen früheren Trainerstationen hieß es auch des Öfteren: Wenn wir das nächste Spiel verlieren, dann ist der Anschluss weg. Aber sieben Wochen später war die Formulierung vor der nächsten Partie die gleiche. Deshalb sage ich, auch wenn es eine Floskel ist: Wir müssen von Woche zu Woche denken, von Spiel zu Spiel.

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Die Schalke-Trainer der letzten 20 Jahre

Das waren die Schalke-Trainer der letzten 20 Jahre.
09.06.2017
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Domenico Tedesco (ab sofort)© Foto: dpa
Markus Weinzierl (seit 1. Juli 2016 - 9. Juni 2017)© Foto: dpa
Andre Breitenreiter (1. Juli 2015 - 30. Juni 2016)© Foto: dpa
Roberto di Matteo (7. Oktober 2014 - 24. Mai 2015)© Foto: dpa
Jens Keller (16. Dezember 2012 - 7. Oktober 2014)© Foto: dpa
Huub Stevens (27. September 2011 - 16. Dezember 2012)© Foto: dpa
Ralf Rangnick (21. März 2011 - 21. September 2011)© Foto: dpa
Felix Magath (1. Juli 2009 - 16. März 2011)© Foto: dpa
Mike Büskens (1. April 2009 - 30. Juni 2009)© Foto: dpa
Fred Rutten (1. Juli 2008 - 27. März 2009)© Foto: dpa
Mike Büskens (14. April 2008- 30. Juni 2008)© Foto: dpa
Mirko Slomka (4. Januar 2006 - 13. April 2008)© Foto: dpa
Ralf Rangnick (28. September 2004 - 12. Dezember 2005)© Foto: dpa
Jupp Heynckes (1. Juli 2003 - 15. September 2004)© Foto: dpa
Marc Wilmots (26. März 2003 - 30. Juni 2003)© Foto: dpa
Frank Neubarth (1 Juli 2002 - 26. März 2003)© Foto: dpa
Huub Stevens (8. Oktober 1996 - 30. Juni 2002)© Foto: dpa

Aktuell ist Schalke Neunter. Entspricht das dem Leistungsniveau der Mannschaft?

Die Tabelle lügt nicht, aber ein, zwei Punkte mehr hätten es schon sein können. Jetzt ist die Position noch nicht entscheidend. Wir wissen ganz genau, was wir gut und nicht so gut gemacht haben. Diesen Spiegel halten wir der Mannschaft vor.

 

Zu ihr gehört noch Leon Goretzka, der bei der Nationalelf wieder für Furore gesorgt hat. Wie groß ist noch ihre realistische Hoffnung, dass er auch nach dem Saisonende Schalker bleibt?

Wir glauben daran und versuchen alles, ihn zu halten. Leon ist ein ganz wichtiger Baustein für uns.

 

Was fehlt Coke noch, damit er in der Bundesliga mal wieder zum Einsatz kommt?

Er hatte in einer wichtigen Vorbereitungsphase nicht die Athletik, die wir uns versprochen hatten. Hinzu kommt die Konkurrenzsituation und die Tatsache, dass Coke ein klassischer Rechtsverteidiger ist. Wir haben aber bisher in der Abwehr meistens auf eine Dreierkette gesetzt. Er nimmt seine aktuelle Lage jedoch wunderbar an. Wir haben auch viele Einzelgespräche geführt: Er weiß, wie sehr wir ihn schätzen – auch wenn er aktuell nicht spielt.

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Die Winterpause ist diesmal wegen der WM 2018 extrem kurz. Fährt Schalke trotzdem in ein Wintertrainingslager?

Ich würde das begrüßen.

 

Schalke hat den kleinsten Kader der Liga. Werden Sie in der Winterpause auf Verstärkungen drängen?

Ich bin im ständigen Austausch mit Manager Christian Heidel und Sportdirektor Axel Schuster. Ein kleiner Kader hat Vor- und Nachteile. Jeder Trainer will seinen Kader punktuell verbessern, unabhängig davon, wie groß seine Mannschaft ist.

 

Wer rückt für Benny Höwedes in den Mannschaftsrat nach?

Niemand. Der Mannschaftsrat schrumpft um eine Person. Es bleibt bei der aktuellen Besetzung mit Ralf Fährmann, Guido Burgstaller, Leon Goretzka und Naldo. Diese Anzahl passt zu unserem kleinen Kader. (schmunzelnd)

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Bundestrainer Löw hat die letzten Europacup-Ergebnisse der deutschen Klubs als alarmierend bezeichnet. Wie sehen Sie die Lage?

Ich finde es verfrüht, die Situation so zu bezeichnen. Die deutschen Mannschaften sind 100 Prozent wettbewerbsfähig. Es gab ein paar unglückliche Ergebnisse, aber das ist für mich noch kein negativer Trend. Ich bin mir sicher, dass die Resultate bald wieder passen.