Heidel: "Schalke muss für Emotionen stehen"
S04-Manager im Interview
Kommunikation ist ein wesentlicher Aufgabenbereich von Christian Heidel. Rund 2000 Nummern, die den Profifußball betreffen, hat der Schalke-Manager in seinem Handy gespeichert. Im Interview mit dieser Redaktion spricht der 53-Jährige über die Schalker Fan-Kultur, die Entwicklung der Ablösesummen und Lorbeeren, die er noch gar nicht verdient habe.

Christian Heidel will den FC Schalke 04 wieder auf Kurs bringen.
Vor einigen Tagen feierten Sie ihre Premiere beim sogenannten Kabinengespräch mit den Schalker Anhängern. Was interessierte die Fans besonders?
Größtenteils ging es um ganz pragmatische Dinge, zum Beispiel, warum steht jetzt ein Kameraturm am Trainingsplatz und filmt jede Einheit? Oder wie läuft ein Transfer ab? Da habe ich ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert.
War auch der Sané-Transfer ein Thema?
Ja. Wir haben dann auch mal die Rollen getauscht und ich habe meine Gesprächspartner gefragt: Wie würdest du in dem und dem Fall entscheiden, wenn du in der Verantwortung stehst? Insgesamt war es sehr kurzweilig - und aus der geplanten einen Stunde wurden zwei.
Gab es auch Kritik an der Entscheidung, Sané zu verkaufen?
Nein, gar nicht. Aber die Fans haben sich dafür interessiert, wie wir zu der Entscheidungsfindung gekommen sind. Ich habe die Probleme geschildert, die möglicherweise auf uns zugekommen wären, hätten wir Sané behalten. Ich nenne nur als Stichworte seine Ausstiegsklausel oder einen möglichen Wechsel zu Bayern München. Es gab niemanden im Raum, der hinterher gesagt hat, ich hätte ihn trotzdem behalten. Ob es richtig war, erfahren wir aber erst nach einer gewissen Zeit.
Haben Sie schon Unterschiede in der Fan-Kultur feststellen können zwischen Mainz und Schalke?
Die Dimensionen sind völlig andere. Ich als Neu-Schalker muss mich noch daran gewöhnen, dass bei einem Pokalspiel in Freiburg von 14.000 Zuschauern gefühlte 10.000 Schalker Anhänger dabei sind. Was mich beeindruckt, ist auch die Zuneigung der Leute. Ich sage zu den Fans, wir haben doch erst ein Pflichtspiel absolviert. Die Saison fängt doch gerade erst an. Doch dann kommt die Antwort: Aber es ist Ruhe!
Das bedeutet?
Ruhe war in Mainz für mich Normalität, auf Schalke ist das noch anders. Es ist ein sehr direktes und offenes Miteinander mit den Fans. Das mag ich.
Wie wollen Sie dafür sorgen, dass es auf Schalke ruhig bleibt?
Es ist enorm wichtig, dass in einem Verein die Kompetenzen klar geregelt sind. Das fängt an der Spitze an und geht hinunter zu alltäglichen Dingen, die die Mannschaft betreffen. Ich habe das Gefühl, dass alle hier komplett mitziehen. Wir starten hier den Versuch, wie es mit Ruhe und Organisation ablaufen kann. Ruhe darf aber nicht bedeuten, dass Schalke zu einem langweiligen Verein wird. Über Schalke muss immer gesprochen werden. Aber es soll nicht mehr mit Chaos verbunden werden.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn bei den Umbauarbeiten auf dem Trainingsgelände ein Bagger umkippt, heißt es hier sofort: Typisch Schalke! Irgendwie macht man sich damit ein bisschen selbst lustig über den eigenen Verein. Mein Wunsch ist es, dass Schalke bald für totale Emotion und Identifikation steht.
Wie kann das gelingen, bei den veränderten Rahmenbedingungen, denen der Fußball ausgesetzt ist? Die Ablösesummen werden immer höher, die Internationalisierung des Fußballs wird kontinuierlich forciert.
Fakt ist: Wir können die Uhr nicht zurückdrehen. Früher hat jeder im Auto die Fensterscheibe runtergekurbelt, jetzt drückt jeder aufs Knöpfchen. Für uns geht es in Zukunft darum, in der neuen Fußball-Welt unseren Platz zu finden als Schalke 04. Ich glaube nicht, dass die Menschen sagen, wir dürfen keinen Spieler mehr teuer einkaufen oder verkaufen. Die Zeiten sind vorbei.
Noch mal zum seriös betrachtet falschen Ruf des Chaos-Klubs, der Schalke ständig begleitet. Glauben Sie wirklich, dass Sie dagegen erfolgreich kämpfen können?
Ja. Aber da spielen auch Dinge eine Rolle, die wir nicht beeinflussen können, wie zum Beispiel die Rolle der Medien. Selbst eine Kleinigkeit kann auf Schalke große Schlagzeilen produzieren. Dabei ist Schalke ganz anders als es in der Öffentlichkeit oft dargestellt wird.
Wie meinen Sie das?
Ich war total beeindruckt, wie gut hier in vielen Bereichen gearbeitet wird. Da ist vieles am Rande der Perfektion. In den drei Monaten, in denen ich jetzt hier bin, habe ich unheimlich viel gelernt, was zum Beispiel Organisation und Finanzverwaltung betrifft. Der Verein hat in den vergangenen Jahren eine beispiellose Entwicklung genommen. In den letzten zwölf Jahren hat sich Schalke elf Mal für einen internationalen Wettbewerb qualifiziert. Oder nehmen Sie nur das Stadion, eines der modernsten in Europa. Aber all das wird in der Öffentlichkeit oft vergessen.
Was können Sie dagegen tun?
Wir müssen transparent bleiben und wichtige Entscheidungen nach draußen plausibel erklären und vertreten. Aber es muss auch gelten: Nicht alles gehört in die Öffentlichkeit.
Negative Unruhe entsteht auch auf Schalke oft, wenn es sportlich nicht läuft. Haben Sie schon einen Strategieplan entwickelt, sollte dieser Fall eintreten?
Nein. Ich habe keine solchen Szenarien aufgebaut. Niederlagen gehören zum Fußball dazu. Die Verantwortlichen im operativen Bereich sind dann gefordert, damit professionell umzugehen. Wer glaubt, dass dieser Fußball-Job nur angenehme Seiten hat, der kennt ihn nicht. Es wird sicherlich irgendwann die Bewährungsprobe kommen, ob wir das alle zusammen im Verein verstanden haben.
Auf Seite 2 lesen Sie, was Christian Heidel zu teuren Neuzugängen und Transfers sowie zur kommenden Bundesliga-Saison sagt.
Sie haben mit Embolo den teuersten Transfer der Schalker Vereinsgeschichte getätigt. Haben Sie sich schon mal Gedanken darüber gemacht, sollte er nicht die Erwartungen erfüllen?
Nein. Ob ein Spieler nun 22,5 Millionen Euro kostet oder drei, da stehe ich als Manager in der Verantwortung. Was wäre wenn, so denke ich nicht. Damit darf man gar nicht erst anfangen.
Was zeichnet Embolo aus?
Jede Mannschaft braucht gewisse Typen, mit denen sich die Fans besonders identifizieren. Wenn Sie mit ihm reden, ist das ein Erlebnis. Embolo ist so etwas von bodenständig, normal und authentisch. Beim FC Basel wurden 80 Prozent der Trikots nur von ihm verkauft. Mit 19 Jahren! Wir wollen ihn hier auf Schalke weiterentwickeln. Die 22,5 Millionen, die wir für ihn bezahlt haben, könnten in Zukunft noch mal als günstig gelten.
Wieso?
Weil die Preise im nächsten Jahr weiter nach oben gehen werden. Dann hat die Premier League, aber auch die Bundesliga durch die neuen Fernsehverträge noch mehr Geld zur Verfügung.
Wie geht es Ihnen persönlich, wenn solche Summen wie beim Sané- oder Embolo-Transfer Realität werden?
Da muss ich schon manchmal schlucken. Es ist ein komisches Gefühl, wenn eine Rate fällig wird und bei uns auf dem Konto eingeht und ich beim Blick auf die Summe erst einmal damit beschäftigt bin, die vielen Nullen zu zählen. Andererseits hat sich der Fußball, seit ich seit 1992 als Manager dabei bin, nicht so stark verändert. Der größte Unterschied sind die zwei Nullen, die zum Beispiel beim Fernsehvertrag dazu addiert werden müssen. Es ist ein Geldkreislauf in anderen Dimensionen. Aber entscheidend ist, dass das Geld im Fußball-Kreislauf bleibt. Deshalb ist der deutsche Fußball-Markt robust und gesund.
Trotzdem hat Ihr früherer Trainer Thomas Tuchel davor gewarnt, dass angesichts des Milliardenspiels Fußball der Kontakt zur Basis verloren gehen könnte. Teilen Sie seine Befürchtung?
Die Gefahr besteht. Aber andererseits kann man das eine nicht ohne das andere haben. Wir könnten jetzt sagen, wir zahlen keine hohen Ablösesummen mehr und verpflichten nur noch Spieler aus der Region. Da würden zunächst viele Leute sagen: Super-Idee! Aber was meinen Sie, was los ist, wenn der sportliche Erfolg ausbleibt? Wir sind alle Teil dieses Geschäfts. Ich kann nicht über hohe Ablösesummen klagen und dann einen Spieler für 50 Millionen verkaufen.
Zum Abschluss noch ein Blick voraus: Droht an der Spitze wieder eine langweilige Saison, weil die Bayern einsam ihre Kreise ziehen?
Ich befürchte, dass man davon ausgehen darf. Sie sind auf allen Positionen und neben dem Feld optimal aufgestellt. Der Fehler war, dass Dortmund zweimal Meister wurde. Danach sind die Bayern aufgewacht.
Und wer kommt hinter den Münchnern?
Die üblichen Verdächtigen, nämlich wie schon in den letzten Jahren Dortmund, Leverkusen, Mönchengladbach, Wolfsburg und hoffentlich auch Schalke. Außerdem wird es sicherlich eine Überraschungsmannschaft geben, die oben mitspielt. Über kurz oder lang wird Leipzig kommen.
Das erwarten die Bundesliga-Trainer von der neuen Saison
Sie werden von Fans schon als „neuer Assauer“ bezeichnet. Was sagen Sie dazu?
(lachend) Das ist wirklich nett gemeint. Aber ich möchte keine Lorbeeren, bevor wir irgendetwas gezeigt haben. Wenn ich ein Lob nach 34 Spieltagen bekomme, wäre das prima, dann hätten wir eine gute Saison gespielt. Noch lieber wäre es mir nach 68 Spieltagen, weil ich glaube: Das Allerwichtigste ist Nachhaltigkeit.
Was heißt das bei der Formulierung des Saisonziels?
Wenn man sich in den letzten Jahren fast immer für einen internationalen Wettbewerb qualifiziert hat, kann ich schlecht sagen, wir wollen einen einstelligen Tabellenplatz erreichen. Entscheidend ist, dass wir in dieser Saison etwas entwickeln, was uns in Zukunft noch weiter nach oben bringt. Schritt für Schritt eben!