Projekt Bürgerbier
Von Wirten, Behörden und Schützen: Biergeschichte Vinnums wird ganzes Buch
Vinnum soll ein Bürgerbier bekommen - eines mit Geschichte. Dass sich die Bier-Geschichte der Stadt heute noch erforschen lässt, verdankt ein Olfener Forscher der Gründlichkeit der Behörden.
Die ersten Kessel Bürgerbräu für Vinnum sind gebraut. Ein Landbier, wie die Vinnumer abgestimmt haben, ist entstanden. Doch zu dem Projekt Bürgerbräu gehört noch ein weiterer Teil. Und der soll den Vinnumern die Geschichte des Bieres in ihrem Dorf erzählen. Dass das eine durchaus lange Geschichte ist, mit heute komisch klingenden Rezepten, Kämpfen mit den Behörden und großen Festen, hätte auch Johannes Leushacke nicht gedacht. Der Olfener Heimatforscher hat bereits viele Stunden in die Recherche zur Biergeschichte in Vinnum und Olfen gesteckt.
Zuerst war Leushacke skeptisch, ob er überhaupt Quellen finden könnte, wo in Vinnum gebraut und getrunken wurde. Doch nun wird sein Projekt „deutlich umfangreicher, als ich gedacht habe“. 50 Seiten hat der Heimatforscher schon aufgeschrieben. Nur das letzte Kapitel fehlt noch.
Den ersten schriftlichen Hinweis, dass in Vinnum professionell gebraut wurde, gibt es aus dem 16. Jahrhundert, erzählt Leushacke. Davor war Bier im Hochmittelalter Grundnahrungsmittel und wurde auf den Bauernhöfen im Münsterland von den Frauen gebraut. „Man hat sich auch nicht gescheut, das Kindern zu trinken zu geben“, sagt Leushacke. Den Alkoholgehalt heutiger Biere hatte das Getränk aus dem Mittelalter nicht. Und auch nicht die heutigen Zutaten. Denn Hopfen war da noch nicht bekannt, erzählt der Olfener. Neben Gerste oder anderen Getreidesorten wurde zunächst Gargelkraut statt Hopfen verwendet. Aber auch Ingwer, Anis, Wacholder, Kleie, Fichten oder was sonst noch so als Würze verfügbar war, erzählt der Forscher. „Schmecken tut das mit Sicherheit“, vermutet Leushacke.
„Mit Bier ließ sich immer Geld verdienen“
Später kam dann die Bürokratie ins Spiel. „Mit Bier ließ sich eigentlich immer Geld verdienen“, sagt Johannes Leushacke. Zunächst hatten die Städte ein Monopol auf die Würze des Bieres. Ab dem 16. Jahrhundert kann Leushacke die Biergeschichte anhand von Steueraufzeichnungen nachverfolgen. Dazu hat er die Stadtchronik Olfens, zahlreiche Bücher und Akten aus dem Stadtarchiv durchsucht.
Die Quellen zeigen, nach dem Mittelalter wurde das Bier in den Gastwirtschaften gebraut, nicht mehr auf den Höfen. Johann Pennekamp hat den Aufzeichnungen zufolge zum Beispiel ab 1555 solch eine Brauerei betrieben. Im 16. Jahrhundert habe es zwei Brauer in Vinnum gegeben und sechs in Olfen - das zeigen die Steuer-Aufzeichnungen. „Das hat sich offensichtlich gut gelohnt in der frühen Neuzeit“, sagt Johannes Leushacke. Die Wirte und Brauer hätten zur Oberschicht gehört und seien gut vernetzt gewesen.
Johannes Leushacke hat auch alte Fotos gesammelt. Auf diesem von 1942 trinkt eine Familie ein Bier in der Außengastronomie des Vinnumer Hofs. Jahre später brannte das Restaurant bis auf die Mauern ab und sieht daher heute ganz anders aus. © Jessica Hauck
Auch die Anlässe, zu denen Bier getrunken wurde, hat Leushacke erforscht. Und die waren im harten Arbeitsalltag mit wenig Freizeit nicht gerade zahlreich. Man konnte nur in die Kneipe gehen, musste das Bier dort zur Not mit dem Krug holen. Oder es wurde groß gefeiert, sagt Leushacke. Bier sei ein wichtiger Bestandteil der Schützenfeste gewesen. Schon 1570 ist ein Vogelschießen in Vinnum erwähnt, sagt Leushacke. „Das war das Highlight im Jahr“, erklärt er. „Man sieht, wie viel mehr Bier da getrunken wurde.“ Im Juli 1900 etwa hatte den alten Steuerunterlagen zufolge der Wirt Tenkhoff 3841 Liter Bier gekauft. Etwa doppelt so viel wie in anderen Monaten. Da fand wohl ein Schützenfest in Sülsen statt, sagt Leushacke.
Olfen und Vinnum führten Biersteuern ein
Auch die Verwaltungen in Olfen und Vinnum wollten später am Bier verdienen. 1895 führte Olfen eine Biersteuer für Wirte ein, 1899 dann auch Vinnum. Die Gemeinde habe dann Verträge mit den Brauereien geschlossen, damit nicht jeder Wirt einzeln zahlen musste, hat Leushacke in den alten Quellen herausgefunden. Daher kann er heute auch nachvollziehen, dass die Olfener Wirte am meisten Bier aus einer Cappenberger Brauerei bezogen. Aber auch aus Lüdinghausen und Recklinghausen - damals große Brauereien, die es heute längst nicht mehr gibt.
Die Steuern waren dann auch der Grund für das deutsche Reinheitsgebot, sagt Leushacke. Denn bei einer Steuerreform 1909 wurde festgelegt, welches Getränk ein Bier ist, damit klar war, welches Getränk besteuert wurde. Das Flaschenbier kam erst danach in Mode. 1910 konnte man es bei Rath, heute der Dorfladen Vinnum, kaufen, sagt Leushacke. „Das muss einer der ersten gewesen sein“, vermutet der Heimatforscher, denn erst seit etwa 1900 wurde Bier überhaupt in Flaschen abgefüllt. Das Bier in handlichen Portionen für zu Hause wurde dann aber schnell auch in Olfen beliebt - und zur Konkurrenz für die Wirte. In den Akten im Stadtarchiv ist belegt, dass sie sich 1927 darüber beschwerten.
Die größte Überraschung bei seiner Recherche war für Johannes Leushacke aber, wie restriktiv die Obrigkeit bei der Erlaubnis für Gaststätten war. Denn schon damals mussten die Wirte eine Konzession beantragen, um Bier ausschenken zu dürfen. „Und dafür mussten sie einen Bedarf nachweisen, dass eine Kneipe gebraucht wurde“, sagt Leushacke. Dem Besitzer der Wirtschaft Forsthaus auf dem Weg zwischen Olfen und Vinnum sei mehrfach die Konzession verweigert worden, bevor er sie 1910 bekam.
Eine Kneipe kam auf 92 Einwohner
Aus heutiger Sicht mangelte es nicht an Kneipen in Vinnum und Olfen. Eine Tabelle von 1912 listet 20 Gastwirtschaften im Olfener Stadtgebiet auf. 1906 kam bereits eine Kneipe auf 92 Olfener Einwohner, hat Johannes Leushacke ausgerechnet. Allerdings habe es nur zwei bis drei Kneipen in Vinnum und Sülsen gegeben - und alle Anträge für eine weitere Konzession wurden abgelehnt. „Dabei war der Bedarf da“, sagt Leushacke. Denn die bestehenden Kneipen bauten aus, erweiterten um eine Kegelbahn oder ein Gartenlokal. Auf dem Land behalf man sich noch anders: „Man kann davon ausgehen, dass man zumindest auf den großen Höfen bis zum Ersten Weltkrieg noch selbst gebraut hat“, sagt Johannes Leushacke. Unterlagen hat er darüber aber nicht finden können.
Ein Kapitel fehlt noch
Ein letztes Kapitel fehlt dem Olfener Historiker noch. Darin soll es um die Zeit seit den 70er-Jahren gehen. Und um die „neue Bierlust“, sagt Leushacke. Das Vinnumer Bier und Leushackes Recherchen sollen zusammen fertig werden. Wie die Geschichte des Bieres dann veröffentlicht wird, steht noch nicht fest, sagt der Heimatforscher. Er hofft, dass es ein ganzes Buch wird. Dabei war ursprünglich nur ein Geschichts-Anhänger an den Bierflaschen geplant. Doch dann wurde Johannes Leushacke von dem vielen Material überrascht, das er zur Geschichte des Bieres in Vinnum und Olfen finden konnte. „Ich hätte nie damit gerechnet, dass es überhaupt 50 Seiten werden“, sagt er.
Der Heimatforscher selbst, der bereits unzählige Stunden in die Erforschung der Vinnumer Biergeschichte gesteckt hat, trinkt dabei gar nicht gern Bier. „Höchstens mal ein Radler.“ Aber da das Vinnumer Bürgerbräu ein besonderes Bier werden soll, ist Leushacke optimistisch, dass es ihm schmeckt.
Vielen Dank für Ihr Interesse an einem Artikel unseres Premium-Angebots. Bitte registrieren Sie sich kurz kostenfrei, um ihn vollständig lesen zu können.
Jetzt kostenfrei registrieren
Einfach Zugang freischalten und weiterlesen
Werden auch Sie RN+ Mitglied!
Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.
Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung
Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung durch Klick auf den Link in der E-Mail, um weiterlesen zu können.
Prüfen Sie ggf. auch Ihren Spam-Ordner.
Einfach Zugang freischalten und weiterlesen
Werden auch Sie RN+ Mitglied!
Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.