Pfarrer Ulrich Franke ist seit Ende 2019 Pfarrer In Olfen.

© Sylvia vom Hofe

Pfarrer Franke: „Bei Etlichen ist Vertrauen in den Apparat Kirche weg“

rnMissbrauchsskandal

Das Münchener Gutachten zu sexuellem Missbrauch erschüttert die katholische Kirche - und nicht nur sie. Von einer „Bilanz des Schreckens“ ist die Rede. Pfarrer Ulrich Franke findet klare Worte.

Olfen

, 23.01.2022, 06:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Im Erzbistum München und Freising gab es seit 1945 laut eines am Donnerstag (20.1.) veröffentlichen Gutachtens 497 Missbrauchs-Fälle – also mehr als sechs Fälle pro Jahr. Die Kirchenoberen haben die Täter weiter arbeiten lassen - und damit weiter Verbrechen an Kindern begehen lassen.

Die externen Gutachter sprechen von einer „Bilanz des Schreckens“. Die Bundesregierung zeigt sich „fassungslos“. Wer immer noch Mitglied ist in dieser katholischen Kirche, werde spätestens jetzt von Freunden und Verwandten gefragt, wie das noch mit dem eigenen Gewissen zu vereinbaren sei. sagt selbst Georg Bätzing, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz. Auch Ulrich Franke, Pfarrer von St. Vitus Olfen, beobachtet einen massiven Vertrauensverlust. Wirklich überrascht habe ihn das Gutachten nicht, sagt er im Gespräch.

Das Interview mit dem Olfener Seelsorger haben wir einen Tag nach Veröffentlichung des Gutachtens schriftlich geführt.

Gutachten zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche gab es schon einige. Das aktuelle Gutachten zum Missbrauch im Erzbistum München und Freising schlägt besonders hohe Wellen. Wie erschüttert sind Sie selbst, Herr Franke?

Da ich dieses oder ein ähnlich schlimmes Ergebnis erwartet hatte, bin ich darüber nicht mehr erschüttert, als über die Ergebnisse in den Missbrauchsberichten anderer Bistümer. Ratlos bin ich darüber, dass in Kreisen der katholischen Kirche, die in einer Blase leben, weiter das Leid der missbrauchten Menschen abperlt und sie ihr Schicksal nicht wirklich an sich herankommen lassen. Ich vermute: Würden sie es tun, würde viele bei ihnen oder gar sie selber zusammenbrechen. Dennoch ist genau diese Resistenz gegenüber Wirklichkeit und Menschenschicksal das Verbrechen, in kirchlicher Sprache Sünde.

Der emeritierte Papst Benedikt weist Verantwortung von sich und wird in dem Gutachten quasi der Lüge überführt. Was sagen Sie zu seiner Rolle?

Der ehemalige Papst lebt in einer dieser Wahrnehmungs-Störungen, mit der etliche in der katholischen Kirche leben. Vielleicht auch woanders. Aber ich kann nur über meine Kirche sprechen. Er wird Beurteilungen wie Lüge gar nicht als solche wahrnehmen. Das ist aus dem, was ich gelesen habe, deutlich erkennbar.

Wie sehr beeinflusst der Missbrauchsskandal Ihre Arbeit vor Ort?

Ich sehe, dass bei Etlichen das Vertrauen in den „Apparat“ Kirche weg ist. Was bei den Menschen zählt, ist persönlich erfahrene Glaubwürdigkeit. Die erleben – Gott sei Dank – Menschen bei uns auch- auch in der Kirche.

Befürchten Sie, dass jetzt noch mehr Gemeindemitglieder der Kirche den Rücken kehren?

Dass mehr Leute der katholischen Kirche den Rücken kehren, sehe ich kommen. Es wird lange dauern, bis Vertrauen wieder aufgebaut ist. Voraussetzung ist, dass sich alle führenden Amtsträger dessen bewusst werden, dass Missbrauch und Gewalt Verbrechen sind, gerade wenn sie religiös verbrämt werden.

Wird sich die katholische Kirche von diesem Erdbeben erholen?

„Für Menschen ist das unmöglich…“ Ich habe weiter ein robustes Vertrauen in den heiligen Geist.

Würden Sie heute noch einmal Ihren Beruf wählen?

Seltsam, aber wirklich: Ohne Abstriche Ja.

Ulrich Franke ist seit dem 15. Dezember 2019 Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde in Olfen - nur wenige Wochen vor Beginn der Pandemie. Er ist von der Großgemeinde in Dorsten ins kleinere Olfen gewechselt, um wieder mehr direkten Kontaktes zu den Menschen herzustellen. Der sei in einer so großen Gemeinde nur schwer möglich gewesen. Dort seinem mehr Manager- als Seelsorger-Qualitäten gefragt.