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Missbrauchs-Skandal: „Jesus wäre mit Sicherheit nicht Mitglied der Katholischen Kirche“
Meinung
Die Katholische Kirche treibt ihrem Untergang entgegen. Auf die neuen, ungeheuerlichen Vorwürfe aus München reagiert Papst Benedikt mit – Gebeten! Unser Autor meint: Spart euch eure Gebete!
Wann ist genug genug? Was muss noch ans Licht kommen, ehe die Katholische Kirche aus ihrem Tiefschlaf erwacht? Seit mehr als zehn Jahren bringt eine Studie nach der anderen an den Tag, wie widerlich, abgrundtief böse und menschenverachtend in der Katholischen Kirche der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen geduldet, gedeckt und vertuscht wurde.
Jetzt belegt die neue Studie aus München, dass selbst der spätere Papst Benedikt XVI. in diesem Horror-System, das für hunderte, wenn nicht tausende Menschen zur Hölle mit lebenslangen Folgen wurde, mitgemacht hat. Damals war der spätere Papst Benedikt noch Kardinal Joseph Ratzinger und Erzbischof von München und Freising.
„Erneuter Schlag ins Gesicht der Opfer“
Und nicht einmal jetzt steht er, der einst Oberhaupt von mehr als 1,3 Milliarden Katholiken war, zu seiner Schuld und Verantwortung. Stattdessen kam die in Kreisen der katholischen Kirchen seit langem eingeübte Reaktion, die bei mir nur noch ein gequältes Würgen verursacht: Er wolle „für die Opfer beten“, ließ der emeritierte Papst verlauten und man werde den Bericht sorgfältig prüfen.
Allein diese Reaktion ist ein erneuter Schlag ins Gesicht der Opfer, zumal die untersuchenden Anwälte sicher sind, dass Benedikt gelogen hat.
„Werft endlich die Pädophilen aus euren Pfarrhäusern!“
Als Katholik, dem seine Kirche noch nicht ganz egal geworden ist, könnte man einfach nur noch schreien: Spart euch eure heuchlerischen Gebete, mit denen ihr euch nur in einen Anschein des Gutmenschen kleidet, tatsächlich aber die Opfer erneut demütigt! Kümmert euch um euren Saustall! Werft endlich die widerlichen Pädophilen aus euren Palästen und Pfarrhäusern! Ruft die Polizei und den Staatsanwalt, damit die Täter ihrer weltlichen Strafe nicht entgehen! Hört auf, von Nächstenliebe und Barmherzigkeit zu predigen und fangt an, sie zu leben! Sperrt eure Ohren auf und hört die Schreie der Opfer, macht endlich reinen Tisch!
Aber selbst wenn die Kirche all das jetzt umsetzen würde – was überhaupt nicht zu erwarten ist – würde es nicht reichen, um die Katholische Kirche auf ihrem Weg in den Untergang zu stoppen. Dazu müssten die Wurzeln des Übels abgeschnitten werden. Und da gibt es viele Wurzeln.
„Völlig verklemmte Sexualmoral“
Das fängt bei der leibfeindlichen, völlig verklemmten Sexualmoral der Kirche an. Er ist der Nährboden, auf dem sexueller Missbrauch gedeiht. Wenn Pfarrer gezwungen werden, ihre Lebensgefährtinnen zu verheimlichen, bestenfalls als „Haushälterinnen“ zu verstecken und ihre Kinder zu verleugnen – wie soll man das nennen? Wenn sie Lesben und Schwulen einen Segen verweigern, wenn sie ihren Weg mit Gott gehen wollen – wie soll einem da nicht der Atem stocken?
Es geht weiter mit der niederträchtigen Missachtung der Frau, der im System Kirche maximal eine Nebenrolle zukommt. Es setzt sich fort mit dem absolutistischen Herrschaftsgefüge der Institution Kirche, die in einer Parallelwelt lebt und das auch noch für völlig gerechtfertigt hält. Die glaubt, die weltlichen Gesetze und Regeln spielten bei ihr keine Rolle, sie stünden haushoch über diesen banalen Dingen?
Noch immer kein Zugang zu den „Giftschränken“
Wenn der renommierte Kriminologe Christian Pfeiffer sagt, dass selbst jetzt bei den Missbrauchs-Studien den Untersuchenden der Zugang zu den wirklichen „Giftschränken“ verwehrt wurde, dann darf das ein Staat nicht länger tolerieren. Wenn der Zugang zu Akten verweigert wird, in denen möglichweise noch Fälle schlummern, bei denen strafrechtlich die Verjährung noch nicht eingesetzt hat, bei denen vielleicht weitere hohe Würdenträger belastet würden, dann ist eine Grenze überschritten, bei der der Staat handeln muss.
Der Katholischen Kirche laufen die Menschen daher zwangsläufig in Scharen davon. Zwischen 1990 und 2020 verlor sie alleine sechs Millionen Mitglieder in Deutschland. Die Zahl der Kirchenbesucher schrumpfte auf 1,3 Prozent. Priesternachwuchs gibt es so gut wie gar nicht mehr.
Die Kirche hat ihre bis vor wenigen Jahrzehnten noch nahezu unbestrittene Rolle als moralische Instanz in der Gesellschaft längst eingebüßt. Ihre Glaubwürdigkeit ist erschüttert. Ja, die Kirche ist mittlerweile an vielen Stellen zur Lachnummer geworden. Oder wie soll man es bewerten, dass Kardinal Woelki für seinen Umgang mit dem Missbrauchsskandal in Köln mit einer „geistlichen Auszeit“ bei vollem Gehalt von knapp 13.800 Euro im Monat – bezahlt aus Steuermitteln! – „bestraft“ wurde? Zu so einer „Auszeit“ könnte mich mein Chef auch gerne verdonnern!
Manchmal frag ich mich, was dieser jüdische Wanderprediger namens Jesus von Nazareth zur Katholischen Kirche heute sagen würde. Ich bin mir sicher, er wäre nicht Mitglied dieser Kirche. Er würde weder auf einem Bischofsstuhl noch im Petersdom sitzen. Er würde keine goldenen Gewänder tragen und sich ganz sicher nicht mit verhärmten, weltfremden Männern in schwarzen Anzügen und mit weißem Stehkragen umgeben. Er würde es nicht ertragen, dass da Menschen Armut predigen, aber in Prunk, Protz und Palästen leben und selbst üppige Gehälter kassieren. Er würde jegliche Ungleichbehandlung von Männern und Frauen geißeln.
Jesus würde gegen die Kirche zu Felde ziehen
Ich bin felsenfest überzeugt: Jesus stünde an der Seite all derer, die gegen die Katholische Kirche in ihrer jetzigen Form zu Felde ziehen. Er würde es nicht ertragen, dass diese Kirche ausgerechnet auch noch geradezu heuchlerisch im Namen des menschenfreundlichen Gottes handelt, den er verkündet hat.
In der Bibel gibt es eine Stelle, an der ein frommer Mann Jesus fragt: „Was muss ich tun, um ins Himmelreich zu kommen?“ Die Antwort Jesu: „Verkauf alles, was du hast, und gib es den Armen!“ Solange die Kirche sich nicht an diese Stelle erinnert, schliddert sie weiter unaufhaltsam der Bedeutungslosigkeit und dem selbstverschuldeten Untergang entgegen. Die Bibelstelle müsste man, angewandt auf die Kirche von heute, so übersetzen: Wirf allen menschenfeindlichen Ballast über Bord und fange neu an, bescheiden, ohne Heuchelei und Getue, gehe deinen Weg so klar und einfach, wie Jesus den seinen gegangen ist.
Wann fangen die entscheidenden Menschen in der Kirchen-Hierarchie an, einfach mal das Neue Testament zu lesen und danach zu handeln?
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
