
Der entsetzliche Tod der zwölfjährigen Luise F. aus Freudenberg. Zwei 12 und 13 Jahre alte Mädchen als Täterinnen. Was für ein Horror. Eltern können sich nichts Schlimmeres vorstellen, als ein Kind zu verlieren, und schon gar nicht auf eine so fürchterliche Weise. Keine Mutter, kein Vater will ein eigenes Kind zu Grabe tragen müssen. Wenn ich mir das vorstelle: Ich würde lieber selber sterben als das erleben zu müssen.
Die Eltern von Luise erleben gerade einen Alptraum, bei dem ich mir auch nicht im Ansatz vorstellen kann, wie man daraus jemals wieder zu einem normalen Leben erwachen könnte. Das Leid, das sie zu ertragen haben, ist unermesslich.
Aber die Eltern von Luise sind nicht die einzigen Eltern, deren Leben durch diese Tat zerstört wurde. Auch das Leben der Eltern der beiden Mädchen, die gestanden haben, Luise erstochen zu haben, liegt in Trümmern. Das eigene Kind, gerade 12 oder 13 Jahr alt und dann so ein unfassbarer, tödlicher Gewaltausbruch.
Wie sollen Eltern mit dem Gedanken leben, Mitschuld an Luises Tod zu tragen?
Wie soll man damit weiterleben? Wie soll man je wieder den Freunden, Bekannten, Nachbarn, den Verwandten und erst recht den Eltern von Luise in die Augen schauen? Wie soll man mit diesen Gedanken leben, in der Erziehung versagt zu haben und somit Mitschuld am Tod von Luise zu tragen?
Wobei es völlig belanglos ist, ob den Eltern tatsächlich so etwas wie Schuld zugeschrieben werden kann oder auch nicht. Die Eltern der beiden Mädchen werden, auch wenn sie wirklich alles richtig gemacht haben sollten, trotzdem zeitlebens von bohrenden Fragen gequält werden: Wo und warum ist ihre Tochter falsch abgebogen? Warum haben sie das nicht gemerkt? Was hätten sie in ihrer Erziehung anders machen können, anders machen müssen?
Der Ruf nach härteren Strafe ist ein typischer Reflex
Es ist ein ganz typischer Reflex nicht nur in Deutschland, dass nach einem solchen von Kindern begangenen Verbrechen Forderungen laut werden, das Alter für die Strafmündigkeit zu senken. Es könne doch nicht sein, dass Kinder nach solchen Taten straflos davonkämen, heißt es dann.
Menschlich ist das Gefühl und ein solcher Gedanke – vor allem wenn er von Eltern des Opfers geäußert wird – absolut verständlich: Es kann doch nicht sein, dass jemand mein Kind tötet und dafür nicht bestraft wird! Auch wer 12 oder 13 Jahre ist, weiß doch schon, dass er oder sie einen anderen Menschen weder verletzen noch töten darf! Dann muss er dafür doch auch bestraft werden!
Die Mädchen, die getötet haben, bleiben nicht wirklich ohne Strafe
Ja, ich kann diese Gedanken sehr gut nachvollziehen und wenn sie von Betroffenen geäußert werden, käme ich nicht auf die Idee, sie dafür zu verurteilen. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite stehen allerdings zwei andere Überlegungen:
1. Die beiden Täterinnen gehen, auch wenn das den Anschein haben mag, nicht wirklich straffrei aus. Sie werden nie wieder so in ihrer Familie leben können wie vorher. Wenn sie überhaupt wieder bei ihren Eltern leben dürfen. Sie werden bis ans Ende ihres Lebens mit der Tatsache gebrandmarkt sein, eine Mörderin zu sein.
Nein, sie werden nicht Jahre hinter Gefängnismauern verbringen. Das aber heißt in keiner Weise, dass sie ihr altes Leben zurückbekommen werden. Das werden sie nämlich nicht. Das gilt für sie, ihre Eltern und den Rest ihrer Familie ebenso.
Warum „Auge um Auge“, „Zahn um Zahn“ das Gegenteil von Rache ist
2. Rache mag in mancher Hinsicht eine nachvollziehbare, menschliche Reaktion sein. Ein akzeptables Handlungsmuster für einen Staat ist sie nicht. Deshalb ist Rache auch keine angemessene Kategorie unseres Strafrechts. Vielmehr ist es so, dass unser modernes Strafrecht gerade die Rache als Reaktion auf ein Unrecht abgelöst hat. Und das ist gut so.
Rache ist immer von Emotionen gesteuert, neigt zur Maßlosigkeit und löst nicht selten noch heftigere Gegenreaktionen aus. Für das Funktionieren eines Staates ist das verheerend. Das hat übrigens schon die Bibel erkannt. Das alttestamentliche „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist – anders als viele das vermuten – keine Anleitung zu maßloser Rache, sondern das genaue Gegenteil davon: Wenn dir jemand einen Zahn ausgeschlagen hat, schlag ihm auch einen aus – aber nicht mehr!
Heute schlagen wir zum Glück keine Zähne mehr aus, sondern bestrafen auf andere Weise. Und bei Kindern ist der Gedanke leitend, dass wir für die Gesellschaft als Ganze mehr Schaden anrichten, wenn wir Kinder nach den Vorstellungen von Erwachsenen bestrafen, als wenn wir auf andere Weise versuchen, sie auf den rechten Weg zurückzubringen. Dafür haben wir eine Altersgrenze. Die liegt bei 14 Jahren. Dabei sollte es bleiben.
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