Die Stegreifkomödien der alten Commedia dell’arte bieten Possen mit typenhaften Figuren. Das Stück „Der wilde Harlekin“ von Louis-Francois Delisle de la Drevetière aus dem Jahr 1721 aber, das Roberto Ciulli fürs Theater an der Ruhr ausgegraben hat, geht deutlich darüber hinaus. Der legendäre, im nächsten Monat 90-jährige Theatermacher eröffnete damit am Freitag begeisternd die dritte und letzte, unter dem Motto „Rausch“ stehende Mülheimer Kurzspielzeit dieser Saison.
De la Drevetières Harlekin ist ein indigener Naturmensch, der kritische Fragen stellt und schlagfertig Kritik übt an der sich vornehm gebenden, aber durch Geld und Gesetze pervertierten französischen Gesellschaft. Das macht ihn für Ciulli zum Geistesverwandten des 200 Jahre später lebenden provokanten Theaterkünstlers Antonin Artaud, mit dem sich der Regisseur schon in „Ich, Antonin Artaud – Le Momo“ auseinandergesetzt hat.
Im Opiumrausch
Ciulli lässt seinen Artaud diesmal im Opiumrausch als Harlekin im frühen 18. Jahrhundert landen. Hier trifft der von dem überragenden Bernhard Glose mit Esprit und bestechender Natürlichkeit gespielte Außenseiter auf eine förmlich-gezierte, mit Barockkostümen und gepuderten Perücken auftretende Gesellschaft.
Wer hier die eigentlichen Wilden sind, wird besonders deutlich, wenn die Protagonisten die Contenance verlieren. Da wütet der feiste Pantalone (Albert Bork) in seiner Sänfte, als keine Träger zur Stelle sind. Oder der distinguierte Lelio (Fabio Menendez) geht als Rivale auf den pfauenhaften Mario (Joshua Zilinske) los.
Baströckchen unterm Kleid
Der schönen Flaminia (Dagmar Geppert) kann man die Wilde auch äußerlich ansehen: Unter ihrem Kleid lugt ein Baströckchen hervor. Einen Ausblick in die Gegenwart gewährt die Szene, in der Harlekin von einem maskierten Polizisten brutal zu Boden gedrückt wird.
Insgesamt zeigt Roberto Ciulli einmal mehr, wie wirkungsvoll er mit sparsamen theatralischen Mitteln und einem großartigen Ensemble einen inspirierenden und zugleich unterhaltsamen Theaterabend zu gestalten vermag. Einfach hinreißend.
Weitere Vorstellungen
Termine: 21. / 22. / 23. 3., 19./ 20. 4.2024; Karten: Tel. (0208) 599 01 88.
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