Wilde Tour: Kerouac an den Münchner Kammerspielen
Der Zweite Weltkrieg war gerade erst vorbei, da trieb es einen jungen Autoren hinaus in die Welt. Rausch, Ekstase, Glück, davon träumte er. Seine Erlebnisse beschrieb Jack Kerouac in dem Buch "On the Road", das die Münchner Kammerspiele nun auf die Bühne gebracht haben.

Regisseur Marton hat aus Kerouacs "On The Road" eine atemlose, rauschhafte Collage gemacht. Foto: David Baltzer/Kammerspiele München
Eine Gruppe junger Leute reist kreuz und quer durch Amerika. Per Anhalter oder mit dem Greyhound-Bus. Was eben gerade da ist und wofür das Geld reicht.
Ein richtiges Ziel haben sie nicht, sie lassen sich treiben, auf der Suche nach Liebe, Glück und einem Leben jenseits der spießigen Bürgerlichkeit, getragen von einer Woge aus Alkohol, Drogen, Sex und Jazz.
Jack Kerouac hat vieles davon selbst erlebt, mit Schriftstellerfreunden wie Neal Cassady oder Allen Ginsberg. Sein Roman "On the Road - Unterwegs" wurde zum Kult, die Bibel der Beat-Generation. Beat wie euphorisch, rhythmisch aber auch heruntergekommen, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. David Marton hat die Geschichte auf die Bühne gebracht. Am Donnerstagabend starteten die Münchner Kammerspiele mit der Premiere in die neue Spielzeit.
Typisch für das Haus unter Intendant Matthias Lilienthal ist "On the Road" kein stringent erzähltes Stück mit festen Rollen. Regisseur Marton schuf eine atemlose, rauschhafte Collage aus Textpassagen, Klängen und Musik. Jazztrompete, Klavier und Gesang. Sieben Menschen als Schauspieler und Musiker. Abwechselnd schlüpfen sie in die Rolle von Sal Paradise alias Kerouac, der erratisch durchs Land reist und nichts weniger will als Ekstase, Selbstvergessenheit.
Marton macht deutlich, was für ein begnadeter Erzähler Kerouac war, der 1969 mit gerade nur 47 Jahren starb. Ohne sich um irgendwelche schriftstellerischen Regeln zu kümmern, schaffte der Autor mit einer Flut an Worten faszinierende Bilder der USA: Unendliche Weizenfelder entlang schnurgerader Teerstraßen. Die Stadt San Francisco im Nebeldunst. Oder eine wunderschöne, junge Frau in Mexiko. Marton lässt die Schauspieler sprechen, stottern, schreien und singen, vieles davon ist improvisiert. Mal reden sie alleine, mal kommt eine zweite Stimme dazu. So entsteht ein beeindruckendes Klangbild aus Sprache, Geräuschen und Musik, dazu Videobilder, die das Erzählte unterstreichen und eine atmosphärische Dichte schaffen.
Projektionsfläche ist die Kulisse eines Hinterhofes aus grauen Ziegelsteinen, schäbig, mit Rissen und Flecken. Nur ganz oben ein schmales Fenster. Davor eine Wellblechhütte, die mal Busbahnhof, mal mexikanisches Lokal, mal Hotelzimmer ist. Eine wichtige Rolle spielt eine große Papierrolle - Erinnerung an das Manuskript, das Kerouac 1951 innerhalb von drei Wochen getippt hatte. Er wollte im Fluss des Schreibens nicht durch so banale Dinge unterbrochen werden wie das Auswechseln eines Papiers. Deshalb klebte er die Blätter zusammen zu einem rund 36 Meter langen Streifen, den er dann aufrollte.
Rund zwei Stunden lang dauert die wilde Tour, hervorragend gespielt von Schauspielern wie Thomas Schmauser, Julia Riedler oder Hassan Akkouch. Jelena Kuljic singt ihre Textpassagen immer wieder mit ihrer rauchigen, dunklen Stimme, begleitet von Paul Brody auf der Trompete sowie Daniel Dorsch und Michael Wilhelmi. Die Musik mal ruhig, mal aufpeitschend und vorantreibend, Bebop und melancholischer Jazz.
Allerdings gibt es auch ein paar seltsame Momente, etwa wenn Thomas Schmauser immer wieder ein leeres Whisky-Glas über den Holzkörper eines Cembalos gleiten lässt. Doch vielleicht sind es gerade scheinbar sinnfreie Momente wie diese, die das Glück ausmachen in einer Zeit, in der sonst alles durchgetaktet ist. Versonnen, wie ein Kind einer Empfindung nachspüren und sich ganz dem Augenblick hingeben - wäre das nicht wunderschön?