Wie Patienten bei Operationen zu Opfern werden
Statistik über Ärztepfusch
Falsch verbunden: Verletzte Organe, falsch vernähte Venen - Patienten erleiden regelmäßig Behandlungsfehler. Zwar gibt es Verbesserungen wie vorgeschriebene Checklisten bei Operationen. Doch Beispiele zeigen: Immer wieder gibt es drastische Fälle.

ARCHIV - In einer Deutschen Klinik wird am 15.11.2007 bei einer Operation einem Spender eine Niere entnommen, die für eine Transplantation vorgesehen ist. Im vergangenen Jahr hat die AOK in Bayern fast 500 Behandlungsfehler bei ihren Versicherten gezählt. Täglich sind das 1,3 Fälle, wie die Krankenkasse in Nürnberg (Bayern) mitteilte. Foto: Jan-Peter Kasper/dpa (zu dpa «Fast 500 Behandlungsfehler bei AOK-Versicherten im Jahr 2015» vom 10.05.2016) +++(c) dpa - Bildfunk+++ | Verwendung weltweit
Eine Lehre als Koch musste der junge Mann abbrechen. Auch sonst war er kaum belastbar. 13 Jahre lang blieb unklar, woran das lag - bis ein Kardiologe zu wenig Sauerstoff im Blut feststellte. Die Ursache war eine Herz-OP, der sich der mittlerweile 29-Jährige mit 16 Jahren wegen eines Lochs in der Herzscheidewand unterzogen hatte. Eigentlich kein problematischer Eingriff - doch die Ärzte damals hatten Blut aus der unteren Hohlvene fehlerhaft ins Herz geleitet. Es ist nur ein Behandlungsfehler von tausenden, wie eine am Donnerstag vorgelegte Statistik zeigt.
Statistik der Medizinischen Dienste
Im Fall des jungen Mannes blieb es für Gutachter unverständlich, warum trotz der massiven Einschränkungen über all die Jahre keine befriedigende Diagnose gestellt wurde. Auch der Fehler selbst hätte vermieden werden können. Zehntausendfach wenden sich Patienten jedes Jahr an Stellen der Ärzteschaft, an Krankenkassen, an Haftpflichtversicherer oder Anwälte wegen des Verdachts auf Behandlungsfehler. Alleine bei den Krankenkassen waren dies der neuen Statistik ihrer Medizinischen Dienste zufolge im vergangenen Jahr 14.828 Menschen. In mehr als jedem vierte Fall bestätigten die Gutachter den Verdacht.
Stress, Hektik, unübersichtliche Abläufe oder Unachtsamkeit - die Ursachen solcher Fehler können vielfältig sein. Die Gutachter der Kassen hatten es im vergangenen Jahr immer wieder mit drastischen Fällen zu tun. So wurde bei einer Operation an der Schultermuskulatur eine Nadel im Gewebe zurückgelassen. Bei einer Herz-OP blieb eine Kompresse im Körper. Ein Patient wurde nach der Operation eines Oberschenkelhalsbruches so mangelhaft gepflegt, dass er am betroffenen Bein ein Druckgeschwür bekam. Bei einem anderen wurde trotz Leberschäden ein Medikament verordnet, das das Organ weiter beeinträchtigte, bis eine Transplantation nötig wurde.
Herzinfarkt übersehen
In einem anderen Fall vernähten Operateure einen Nerv im Ellenbogen mit der Gelenkkapsel. Ein weiterer Patient kam mit Rückenschmerzen und Schweißausbrüchen zum Arzt - der Mediziner diagnostizierte Rückenprobleme, übersah aber einen Herzinfarkt als Ursache. Eine Darmspiegelung wurde einem anderen Patienten zum Verhängnis. Verletzt wurde dabei die Milz, ein stark durchblutetes Organ. Weil die Verletzung zuerst nicht erkannt wurde, verlor der Patient viel Blut.
Die Kassen pochen auf mehr Transparenz. „Egal ob es um den übersehenen Oberarmbruch geht, der zu einer Lähmung des Armes geführt hat oder um eine gefährliche Wundinfektion nach einer nicht notwendigen Operation“, sagt der Vize-Geschäftsführer ihrer Medizinischen Dienste, Stefan Gronemeyer, „nur wenn die Schadensfälle sorgfältig erfasst und analysiert werden, kann aus den Fehlern gelernt werden.“
Meldepflicht fehlt
Fortschritte gab es in den vergangenen Jahren - etwa mittlerweile vorgeschriebene Systeme, in denen Ärzte und Pfleger anonym Fehler melden können. Auch vorgeschrieben sind Checklisten bei Operationen. Was Kassen und Kritikern des Gesundheitssystems unter anderem fehlt: eine Meldepflicht und ein Register für Fehler. Denn heute weiß man nicht, wie oft Patienten wirklich Opfer von Fehlern werden - und wo die größten Probleme wirklich liegen.