Wie hilfreich ist der Wahl-O-Mat wirklich?
Landtagswahlen in NRW
Ob CDU, SPD, FDP, Grüne, Linke oder AfD – all diese Parteien wollen nach der Landtagswahl die Kita-Gebühren abschaffen. Das glauben Sie nicht? Wir auch nicht. Doch genau das behaupten die Parteien beim Wahl-O-Mat, dem Online-Angebot, das insbesondere für Erstwähler eine Entscheidungshilfe sein soll.

Eine Lösung für die Kita-Kinder soll her.
Der Wahl-O-Mat gehört inzwischen zu jeder großen Wahl dazu wie Sonntagsfragen, TV-Duelle und Elefantenrunden. Alle zur Wahl zugelassenen Parteien können zu 38 Thesen Stellung nehmen. Die Nutzer tun dies ebenfalls und vergleichen dann, mit welcher Partei es die stärksten Überschneidungen gibt. Doch ist beispielsweise die These zu den Kitagebühren bereits problematisch formuliert. Sie lautet: „Die Kita-Gebühren sollen vollständig abgeschafft werden.“ Und das bedeutet eben nicht „Wir werden sie abschaffen, wenn Sie uns wählen“ – auch, wenn man das zunächst meinen könnte.
Hier hilft ein Blick in die Begründungen der Parteien für ihre jeweilige Position weiter. Die FDP etwa schreibt: „Beitragsfreie Kitas sind wünschenswert und unser Ziel, Priorität muss aber der Ausbau der Qualität haben.“
Profitieren Besserverdiener?
Zunächst wolle die Partei vor allem „für faire Höchstgrenzen für Elternbeiträge sorgen“ – ein Hinweis darauf, dass insbesondere Besserverdiener von der Kita-Politik der FDP profitieren könnten. Die CDU stellt die Beitragsfreiheit in ihrer Begründung unter einen Finanzierungsvorbehalt und spricht dort lediglich von einen „langfristigen“ Plan, sie abzuschaffen. Das deckt sich mit dem Parteiprogramm, in dem Ähnliches steht.
Es deckt sich jedoch nicht mit dem, was die CDU in der Opposition im Düsseldorfer Landtag konkret getan hat: So brachte sie für den Haushaltsplan 2016 einen Änderungsantrag ein. Darin forderte sie, den Landeszuschuss für das bereits beitragsfreie, letzte Kita-Jahr von 162 Millionen auf 0 zu reduzieren.
"Es wird eine völlig falsche Priorität gesetzt"
Die Begründung: „Mit der Beitragsfreiheit im letzten Kitajahr wird (…) eine völlig falsche Priorität gesetzt. Ferner ist das beitragsfreie Kindergartenjahr sozialpolitisch der falsche Weg. Dadurch werden weder Bildungschancen verbessert noch besuchen nachweislich mehr Kinder die Kindertagesbetreuung.“
Wie glaubwürdig ist also nun die Ankündigung, die Gebühren abschaffen zu wollen? „Das sollte sich jeder Wähler selbst fragen. Zumindest widerspricht das bisherige Verhalten der CDU im Landtag dieser Aussage“, kritisiert Daniel Düngel, Sprecher der Piratenpartei, die derzeit im Landtag sitzt.
Die AfD wiederum erwähnt in ihrer Stellungnahme zu der These das Thema Kita-Gebühren gar nicht. Auch im AfD-Wahlprogramm ist nichts dazu zu finden, dafür dies: „Von staatlicher Seite wird die Fremdbetreuung einseitig gefördert. Klassische Familienkonstellationen werden entwertet.“ Nötig sei „ein materieller Ausgleich für Eltern, die sich selbst der Erziehung ihrer Kleinkinder widmen“.
Mütter wieder mehr verantwortlich
Im Klartext: Mütter sollen wieder stärker für die Kindererziehung verantwortlich sein. Die Partei würde also mit der Beitragsfreiheit einen zusätzlichen Anreiz für etwas schaffen, das sie kritisiert. Diesen Widerspruch begründet die AfD damit, dass „Fremdbetreuung kein soziales Gefälle erzeugen darf“, wie NRW-Pressesprecher Michael Schwarzer auf Anfrage sagt. Wichtig sei, „alles zu tun, was Familien dazu ermutigt, Kinder zu bekommen“.
Und was ist mit SPD und Grünen? Die waren sieben Jahre in Regierungsverantwortung. In dieser Zeit ist es ihnen nicht gelungen, die Kitas komplett beitragsfrei zu stellen. Die SPD verspricht nun in der Begründung zu ihrer Position: „Die Kernzeiten in der Kita (30 Stunden) werden wir zukünftig komplett von Gebühren freistellen.“
Beispiel nicht unproblematisch
Professor Stefan Marschall, Politikwissenschaftler an der Uni Düsseldorf, hält das Beispiel nicht für problematisch. Er hat die Wahl-O-Mat-Entwicklung wissenschaftlich begleitet. „Mit den 38 zugespitzten Thesen sind die Parteien endlich einmal zu klaren Aussagen gezwungen“, sagt er, und weiter: „In den Wahlprogrammen sind die Formulierungen hingegen häufig sehr vage. Die Frage ist: Was ist verbindlicher?“
An ihrer Haltung zu den Thesen im Wahl-O-Mat müssten sich die Parteien nach der Wahl genau so messen lassen, wie an ihren Wahlprogrammen.
Ungewöhnliche Themenschwerpunkte finden sich nicht wieder
Dass die 38 Thesen eher klassische Politikfelder abdecken und Parteien mit ungewöhnlichen Themenschwerpunkten sich dort nicht so stark wiederfinden, findet Daniel Düngel von der Piratenpartei zumindest erwähnenswert. Thesen zum Thema Digitalisierung, ein Markenkern der Piraten, finden sich beispielsweise gar nicht. „Hätten wir die Thesen aufgestellt, wären es zu einem großen Teil andere gewesen“, sagt Düngel.
Stefan Marschall hält das jedoch ebenfalls für unproblematisch: „Wenn eine Partei es in den Landtag schafft, muss sie dort schließlich auch zu allen dort behandelten Themen Stellung beziehen“, sagt er.
Dass die vom Verfassungsschutz beobachtete, rechtsextreme NPD bei vielen Nutzern in den Ergebnissen relativ weit oben landet, erklärt Marschall so: Zwar sei die Partei, „was die kulturelle Dimension angeht, äußerst autoritär“, erklärt er. In vielen sozialpolitischen Fragen vertrete die NPD aber klassische linke Positionen. Wegen dieser Besonderheit erzielten viele Nutzer eine höhere Übereinstimmung, als sie erwartet hätten.
Wahl-O-Mat als Einstieg
Wichtig ist dem Politikwissenschaftler: „Der Wahl-O-Mat gibt keine Wahlempfehlung. Das will er auch gar nicht.“ Medienberichte mit Überschriften wie „Mit dem Wahl-O-Mat jetzt die richtige Partei finden“ würden der Idee des Angebotes nicht gerecht. Befragungen hätten gezeigt, dass sich die Hälfte aller Nutzer anschließend tiefer über die zur Wahl stehenden Parteien informiert. „Der Wahl-O-Mat soll nicht das Ende der Beschäftigung mit Politik sein, sondern der Anfang.“