Wie die Autobahn zur tödlichen Falle werden kann
Ablenkung am Steuer
Zwischen Dortmund/Nordost und dem Kamener Kreuz ist die A2 eine Großbaustelle. Unfälle passieren. Aber die gefährlichsten Stellen sind nicht die engen Baustellengassen, sondern die enstehenden Stau-Enden davor. Warum? Weil Autofahrer abgelenkt sind. Vom Smartphone, Nägel-Knipsen - oder sogar masturbieren.
Die Straßen.NRW-Autobahnniederlassung Hamm saniert seit März 2015 auf der A2 zwischen der Anschlussstelle Kamen/Bergkamen und dem Autobahnkreuz Dortmund-Nordost 9,3 Kilometer Fahrbahn und fünf Brücken. Rund 63.000 Kraftfahrzeuge nutzen täglich diesen Streckenabschnitt, der seit den 1980er Jahren sechsstreifig ist. Der Anteil des Schwerlastverkehrs liegt bei 17,2 Prozent. Baustellen auf der Autobahn bringen in der Regal auch einen Unfallanstieg mit sich.
Aber nicht die engen Baustellen-Straßen sind das größte Problem. Straßen.NRW, die Polizei, der ADAC oder die LKW-Fahrer auf der Raststätte vor Ort - so haben wir beim Besuch der A2-Baustelle zwischen Dortmund/Nordost und Bergkamen festgestellt- sie alle sind sich einig: Die Gefahr auf der Autobahn entsteht nicht in, sondern vor der Baustelle – am Stau-Ende.
Warum? „Was die Leute alles so im Auto machen ist Wahnsinn“, sagt Dr. Peter Meintz vom ADAC. „Die Polizei in Baden-Württemberg hat mit einer Kamera in Fahrerkabinen gefilmt, um das Verhalten zu analysieren. Da haben Leute telefoniert, masturbiert, sich die Fußnägel geschnitten – da ist alles dabei.” Tragen Smartphone-Apps und Co. wirklich zu einer so extrem erhöhten “Applenkungs-Gefahr” bei?
Smartphone ist hoher Ablenkungsfaktor
„Natürlich zeigt es sich, dass besonders die Ablenkung durch Smartphones eine immer größere Rolle spielt“, so der ADAC-Sprecher. „Wie die Ablenkung durch Handybenutzung sich beispielsweise auf den Bremsweg auswirkt, ist laut Meintz schwer zu sagen. „Man kann das beobachten und analysieren, aber schwer bemessen.“ Erheblich ist die Auswirkung ohnehin. Erst recht bei Autobahngeschwindigkeiten.
Das generelle Problem: Das Autofahren wird zur Nebensache. Auch Winfried Böttcher von der Autobahnpolizei in Kamen schlägt in diese Kerbe: „Wir können das nicht nachvollziehen. Die Beschilderung ist da und die Stellen gut einsehbar, trotzdem passieren Unfälle. An der A2 vor Bergkamen gibt es einen höher gelegenen Abschnitt, der gut einen Kilometer vorher einsehbar ist, trotzdem sind da schon Auffahrunfälle am Stau-Ende passiert – das ist ja nur durch Ablenkung möglich.“
Infografik: So verlängern Navi, Handy und Co. den Bremsweg
Die Autobahnpolizei hat auf der A2 während der Baustelle einen Schwerpunkt gesetzt. Vermehrt sind Streifenwagen auf der Strecke im Einsatz. „Wir arbeiten vor allem durch repressive Maßnahmen – schauen also, ob Verkehrsteilnehmer während der Fahrt ihr Smartphone benutzen, ob überbreite PKW oder LKW sich ans Überholverbot halten und ob der Abstand eingehalten wird“, erklärt Winfried Böttcher, Wachleiter bei der Autobahnpolizei in Kamen, die Hauptarbeit. „So versuchen wir natürlich auch ein Bewusstsein zu schaffen. Dass sich viele Verkehrsteilnehmer nicht an so was halten, kann ich nicht nachvollziehen.“
Das meint auch Peter Meintz vom ADAC: „Die Schwierigkeit ist es, den Leuten klar zu machen, was sie da tun. Weil sie machen einfach so weiter.“ Die Ablenkung ist aber nicht das einzige Problem, das er sieht. „Aspekt Müdigkeit: Viele LKW-Fahrer überschätzen ihre Fähigkeiten. Das spielt natürlich besonders auf der A2 eine Rolle. Da kommen viele Fahrer aus Polen oder Tschechien, die schon sieben bis zehn Stunden unterwegs sind. Wer über einen toten Punkt hinweg fährt, landet häufig im Krankenhaus“, sagt Meintz zwar plakativ, aber er meint es ernst.
Mehr Unfälle auf monotonen Autobahnen
Ebenfalls ein Faktor sei die Monotonie einiger Autobahnen. „Besonders monotone Autobahnen haben höhere Unfallzahlen, die A2 ist dafür ein gutes Beispiel. Durch die vielen Schallschutzwände schauen Verkehrsteilnehmer immer nur auf die gleiche Umgebung.“
Zuviel gewollte Ablenkung am Straßenrand darf es aber auch nicht geben. Und so wurde ein mehrstufiges Smiley-Konzept, das den Verlauf einer Baustelle begleiten sollte, doch wieder über den Haufen geworfen.
Gefahren lauern also überall, trotzdem wollen die Experten kein Horrorszenario zeichnen. „Wir haben erheblich mehr Unfälle auf der Baustellenstrecke auf der A2 erwartet, als es jetzt tatsächlich sind“, sagt Böttcher nach mittlerweile einem knappen halben Jahr. „Natürlich sind wir mit der Unfallentwicklung nicht zufrieden – das sind wir nie. Einfach, weil wir nicht alle Unfälle verhindern können. Aber die Zahlen sind auf jeden Fall positiv.“ Die fünf schweren Unfälle in den ersten beiden Monaten der Baustelle scheinen sich - zumindest statistisch - relativiert zu haben.
Autonomes Fahren – wird die A2 in Zukunft unfallfrei?
Apps für die Navigation und zur Stauumgehung sind als technische Hilfsmittel beim Autofahren nicht mehr wegzudenken. Noch klingt es nach Science-Fiction, aber bald könnten auch selbstfahrende Fahrzeuge Realität auf Deutschlands Straßen werden. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt erklärte zuletzt den bayerischen Abschnitt der A9 zur Teststrecke. Verhindert autonomes Fahren bald Unfälle komplett?
„Das ist noch kein Thema, das ist noch ganz weit weg“, sagt Dr. Peter Meintz vom ADAC. „Was viel wichtiger ist: Automatische Bremssysteme werden bald Pflicht. Das dauert keine zehn Jahre mehr – so könnte man diese verdammten Auffahrunfälle verhindern.“ Nach der Ansicht des Fachmannes werden teilautonome Systeme, wie zum Beispiel auch Spurhalter, die Unfallzahlen schon in naher Zukunft positiv beeinflussen. „Man darf diese Systeme natürlich nicht überschätzen, aber sie werden ihre Effekte haben.“ Der Mensch bleibt also immer der wichtigste Faktor im Verkehr.
Dieser Text ist ein Auszug aus unserer großen Multimedia-Reportage "Großbaustelle A2 - Operation am offenen Herzen":