Neue Stadt, neuer Job, neue Wohnung. Was fehlt: neue Freunde. Unsere Autorin hat selbst gelernt, wie schwer die zu finden sind. Ein Erfahrungsbericht über Einsamkeit, Scham und harte Arbeit.

Dortmund

, 27.08.2022, 16:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Dieser Artikel erschien erstmals im Dezember 2018 und wurde nun in gekürzter Form neu veröffentlicht. Die Bar „Viertelliebe“ hat im Jahr 2019 geschlossen, dort befindet sich heute „Babuschkas Kitchen“.

Ich hätte das Angebot annehmen sollen, denke ich, als ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor der Bar „Viertelliebe“ im Kreuzviertel stehe. Vor ein paar Tagen hat mich ein Admin der Facebook-Gruppe „Neu in Dortmund!“ eingeladen, beim wöchentlichen Stammtisch der Gruppe vorbeizuschauen - und mir angeboten, sich vorher zu treffen, damit ich nicht alleine hingehen muss.

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Für mich war das Treffen zu dem Zeitpunkt noch vor allem Recherche, ein Termin im Redaktionskalender. Meine selbstbewusste Antwort also „Danke für das liebe Angebot, aber das macht mir nichts aus!“ Schließlich bitte ich den Bezirksbürgermeister vorm Pressegespräch auch nicht, sich vorm Rathaus zu treffen, um zusammen reinzugehen.

Das hier ist keine reine Recherche

Jetzt, als ich vor der Bar stehe, fällt mir auf, dass das hier doch gerade weniger eine berufliche Angelegenheit ist, als ich dachte. Denn ich bin neu in Dortmund, und ich bin nicht nur hier, um zu recherchieren, wie man in Dortmund Freunde finden kann, ich bin auch hier, um Freunde zu finden. Und auf einmal ist es doch furchteinflößend, alleine in eine vollbesetzte Bar zu laufen und unter den Tischen den auszumachen, den ich suche.

Mein Leben ist derzeit voll von solchen Momenten. Vor Kneipen, Vereinslokalen, Nachbarschaftsinitiativen stehen und mir selbst Mut zusprechen, da jetzt endlich reinzugehen. Denn: Ich suche neue Freunde.

Ich übe immer noch, das mit Selbstbewusstsein und ohne Rechtfertigung zu sagen. Denn es ist die Wahrheit, und es ist nicht meine Schuld. Soweit ich das einschätzen kann, bin ich weder besonders gemein zu meinen Mitmenschen noch vernachlässige ich mein Äußeres so sehr, dass ich eine Belastung für meine Umwelt wäre.

Vielen Leuten geht es ähnlich

Trotzdem schäme ich mich manchmal ein bisschen für meine ungewollte Einsamkeit. Irgendetwas daran ist mit Scham behaftet, lässt mein Unterbewusstsein annehmen, es müsse doch an meiner Person liegen.

Dabei sagen die Eckdaten meiner aktuellen Situation eigentlich alles: Ich bin Anfang des Jahres nach Dortmund gezogen, um einen Job bei den Ruhr Nachrichten anzunehmen. Habe eine Einzimmerwohnung bezogen, meinen ersten Vollzeit-Job angetreten.

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Und meine Recherche für diesen Text hat mir gezeigt: Viele Leute, die in der gleichen Situation sind, sind einsam. Weil die Freunde aus Schule, Studium oder dem alten Arbeitsplatz nur mit viel Zufall in die gleiche Stadt ziehen wie man selbst, sich häufig aber eher verstreuen. Und dann steht man da, in einer neuen Stadt, der einzige Kontakt sind in der Regel die Arbeitskollegen. Wo soll man da auch anfangen? Auf wildfremde Leute zugehen und fragen: „Wollen wir Freunde werden?“

Der natürliche Prozess des Freundefindens fällt weg

Freundschaften als Erwachsener zu finden ist verdammt schwer. Besser, ich spreche mal mit jemandem, der sich damit auskennt. Dr. Marcus Mund arbeitet am Institut für Psychologie an der Universität Jena, genauer im Bereich „Differentielle Psychologie, Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik“. Dort beschäftigt er sich unter anderem mit der Frage, warum ein Mensch sich von einem anderen Menschen unterscheidet. Zum Beispiel, warum ein Kind schneller Freunde findet als ein Erwachsener.

„Bei Erwachsenen fällt der natürliche Prozess des Freundefindens weg“, erklärt mir Dr. Mund. Das Netzwerk ist viel kleiner als zu Schul- oder Kindergartenzeiten, als man quasi aus einem großen Pool an Menschen auswählen konnte, die alle in der gleichen Lebensphase waren wie man selbst. Der Pool wird kleiner, das eigene Leben hingegen komplexer: Beruf, Familie, Freizeit müssen miteinander in Einklang gebracht werden. „Je komplexer mein Leben ist, desto schwieriger wird es, Gleichgesinnte zu finden.“

Ich bin also wahrscheinlich noch ganz gut dran. Ich muss Job und Freizeit unter einen Hut bringen. Kinder und eine Familie zu haben, vielleicht noch ein regelmäßiges Hobby, macht das Ganze sicher nicht einfacher.

Freunde zu finden ist Arbeit

Denn bei der Suche nach neuen Freunden kommt ja auch noch hinzu, was Dr. Mund „die Mühen der Ebene“ nennt. Wenn Freundschaft zu schließen ein natürlicher Prozess ist, der automatisch in Schule und Kindergarten passiert, kostet es keine Extrazeit. Mit einem 40-Stunden-Job, Kindern, Hobbys muss man auch erst einmal die Zeit finden, zu Stammtischen, Kennlerntreffen oder Vereinsabenden zu gehen.

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Halten wir also fest: Freunde zu finden ist Arbeit. Man muss sich Zeit dafür nehmen, sich aufraffen, motivieren, an der Sache dran bleiben, regelmäßig zu Angeboten und Treffen hingehen - und sich auch mal durch zähen Smalltalk quälen.

Bei dem bin ich mittlerweile auch in der Viertelliebe angelangt. Der Stammtisch ist größer, als ich dachte, rund 30 Leute haben sich auf mehrere Tische verteilt. Von unangenehmem Schweigen zum Glück keine Spur, einige kennen sich schon, wer neu ist, wird in die Gruppe integriert.

Durch den Smalltalk müssen wir gemeinsam durch

Trotzdem gilt: Um Gemeinsamkeiten mit anderen Menschen zu finden, muss man erstmal die Eckdaten abarbeiten: Wer bist du, was machst du, woher kommst du, wo wohnst du? Es ist das unangenehme Ritual des Kennenlernens. Im besten Fall schweißt es zusammen, man weiß: „Niemand von uns macht das gerne, aber da müssen wir jetzt zusammen durch, um dann weitermachen zu können.“ Im schlimmsten Fall ist es nur kräftezehrend.

Mir kommt hier meine journalistische Neugier zugute. Wenn ich in der richtigen Stimmung bin, kann ich Leute stundenlang über jedes Detail ihres Jobs ausfragen. Trotzdem kippe ich in kürzester Zeit zwei nervöse Bier runter und bin froh, als das Essen kommt. Ein guter Grund, mal für ein paar Minuten zu schweigen.

Ich bin noch nicht da angekommen, wo ich hinmöchte. Mit einem Freundeskreis aus Leuten, mit denen ich Gemeinsamkeiten habe, die in einer ähnlichen Lebensphase sind, mit denen ich mich spontan auf ein Feierabendbier treffen kann, die mit mir auf Konzerte oder zum Flohmarkt gehen. Aber ich habe es zumindest geschafft, ein paar Netzwerke und Pools auszumachen, in denen ich mit der Suche beginnen kann. Wie Stammtische wie diese.