Weiter erhöhte PFT-Werte in NRW-Flüssen

Zehn Jahre nach dem Skandal

Im Jahr 2006 schockte der PFT-Skandal an der Ruhr ganz NRW. Zehn Jahre später sind die Werte in vielen Gewässern nach wie vor viel zu hoch. Neuartige PFT-Varianten werden zunehmend zum Problem. Ein Stoff, über dessen Giftigkeit wenig bekannt ist, wird immer öfter in hoher Konzentration nachgewiesen.

NRW

, 30.12.2016, 15:06 Uhr / Lesedauer: 4 min

Zwar ist das Trinkwasser in NRW, auch durch das Programm „Reine Ruhr“ der Landesregierung, deutlich sauberer geworden, doch in vielen Gewässern werden die PFT-Richtwerte zum Teil deutlich überschritten.

So enthielt das Abwasser der industriellen Kläranlage Leverkusen-Bürrig laut Daten des Landesamtes für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz (LANUV) zuletzt bis zu 99,20 Mikrogramm Perfluorierte Tenside (PFT) pro Liter – der Richtwert beträgt hier 1 Mikrogramm pro Liter.

Auch unterhalb kommunaler Kläranlagen sind die Werte teils zu hoch: In Heiligenhaus-Abtsküche, südlich von Essen, lag der Wert bei 24,10 Mikrogramm. Auch an den Kläranlagen Ibbenbüren-Püsselbüren und Rahmedetal bei Altena wurden die Zielwerte um mehr als das Fünffache überschritten. Auch die Werte der als besonders kritisch eingestuften Stoffe PFOA und PFOS liegen zum Teil über der Zielmarke von weniger als 0,3 Mikrogramm pro Liter Wasser.

Auf der Karte können Sie sich ansehen, wo in den vergangenen Jahren die höchsten Werte gemessen wurden. 

 

Perfluorierte Tenside bauen sich in der Umwelt nicht ab. Sie lagern sich nach der Aufnahme, beispielsweise über das Trinkwasser, im menschlichen Körper an, sie vergiften Fische und landen letzten Endes auch in den Meeren, wo sie nahezu bis in alle Ewigkeit verbleiben. 

Die PFT-Variante Perfluoroctylsulfonsäure (PFOS) hat im menschlichen Körper eine mittlere Halbwertszeit von 8,3 Jahren. PFOS gilt als besonders gefährlich, da Studien nahelegen, dass die Säure Krebserkrankungen fördert und die Fruchtbarkeit schädigt. Der Einsatz von PFOS ist seit 2010 deshalb in Deutschland weitgehend verboten. Alarmiert durch den PFT-Skandal, der 2006 durch belastete Klärschlämme verursacht wurde, versuchen die Behörden seit zehn Jahren, auch den PFT-Eintrag in Gewässer durch die Industrie zu reduzieren. Doch nur wenige Betriebe, die PFT verwenden, werden selbst aktiv, mehr noch: Manche wehren sich sogar gerichtlich gegen behördliche Auflagen.

Firma klagte gegen Auflagen

So unterlag im Jahr 2015 der Armaturen-Hersteller Keuco aus Hemer der Bezirksregierung Arnsberg vor dem Arnsberger Verwaltungsgericht: Die Bezirksregierung hatte Keuco Grenzwerte für die Einleitung von PFT-haltigen Abwässern auferlegt. Das wollte die Firma nicht akzeptieren und klagte dagegen – ohne Erfolg: Weil bei der Einleitung trotz einer nachgeschalteten Kläranlage eine „schädliche Gewässerveränderung“ zu erwarten sei, dürften die Behörden hier sehr wohl Vorgaben machen, insbesondere, wenn nach dem Stand der Technik eine Minimierung des PFT-Eintrags durchaus machbar sei, urteilte das Gericht.

Aus Sicht der Industrie gibt es viele Gründe für die Verwendung von PFT: „Verdammt gute technisch-physikalische Eigenschaften“ hätten PFT-Verbindungen, sagt sogar der Gewässerexperte des Bundes für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland (BUND), Paul Kröfges.

Perfluorierte oder Polyfluorierte Tenside (PFT) sind zugleich wasser-, fett- und schmutzabweisend. Sie sind chemisch extrem stabil. Sie finden unter anderem als Schmiermittel, in Fotopapier und in Antihaftbeschichtungen Verwendung. Auch bei  der Herstellung von wasserdichter Outdoorkleidung werden sie eingesetzt. Sie setzen die Oberflächenspannung von Wasser herab und waren deshalb lange Zeit in Löschmitteln enthalten. Auch in der galvanischen Industrie werden sie eingesetzt. 

 

 

Trotz des Verbots von PFOS wollen viele Unternehmen nicht ganz auf PFT verzichten. Sie weichen auf neuartige Verbindungen aus. Experten zufolge stellen auch diese ein Umweltrisiko dar – und geraten deshalb zunehmend in den Fokus. „PFOS hatte man als unmittelbar toxisch erkannt, da kam man um ein Verbot nicht mehr drum herum“, sagt Gewässerexperte Paul Kröfges. „Wir fordern aber, PFT generell aus dem Verkehr zu ziehen.“ Die gesellschaftliche Diskussion darüber werde „leider nur sehr begrenzt geführt.“

Auffällige Werte bei Ersatzstoff 

Einer dieser Ersatzstoffe ist H4PFOS, ein Molekül, das ähnliche Eigenschaften wie PFOS hat und an dem lediglich an zwei der acht Kohlenstoffatome die Fluoratome durch Wasserstoffatome ersetzt werden. In der Rahmede, einem Fluss bei Altena, dessen Wasser über die Lenne in die Ruhr fließt, werden seit dem Jahr 2012 erhöhte Werte an H4PFOS verzeichnet. Die Konzentration erreichte bis zu 1800 Nanogramm pro Liter. Wegen der unklaren Gefahren für die Gesundheit hat die Trinkwasserkommission des Umweltbundesamtes im September empfohlen, den Orientierungswert auf 100 Nanogramm pro Liter festzulegen, bisher lag er bei 300 Nanogramm.

Der Fall Rahmede zeigt, wie wenig wirksam Verbote einzelner PFT-Verbindungen sind. Denn ein Unternehmen im Einzugsgebiet des Flusses, Gerhardi Kunststofftechnik in Lüdenscheid, hatte im Jahr 2011 für sein Abwasser einen PFT-Überwachungsbescheid der Bezirksregierung Arnsberg erhalten. Dieser sollte helfen, die zu hohe Belastung durch PFT in der Rahmede zu senken. „Die Überwachungswerte werden gemäß Bescheid eingehalten“, teilt der Sprecher der Bezirksregierung, Christoph Söbbeler, auf Anfrage dieser Zeitung mit.

Seit 2011 gilt der Bescheid, seit 2012 werden hohe Konzentrationen von H4PFOS in der Rahmede gemessen. Auf erneute Nachfrage räumt die Bezirksregierung ein, dass der Bescheid nicht für H4PFOS gilt. Mehr noch: „Die für die Minimierung von PFT bei den Firmen angewendeten Abwasserbehandlungsmaßnahmen greifen bei H4PFOS leider nur in geringem Umfang“, schreibt die Bezirksregierung, und weiter: "Die steigenden Konzentrationen von H4PFOS in einigen Abwassereinleitungen bzw. in einigen Gewässern waren in der Vergangenheit und sind aktuell Gegenstand des fachlichen Austausches zwischen den Bezirksregierungen und dem Fachministerium."

Vergleichbar mit dem Doping

Der Umweltchemiker und PFT-Experte Dr. Andreas Fath (Foto unten) sagt über die Ersatzstoffe für das weitgehend verbotene PFOS: „Das ist vergleichbar mit dem Doping beim Sport. Wird ein Stoff aus dem Verkehr gezogen, ändert die Industrie die Molekülstruktur einfach geringfügig – und schon ist die Anwendung wieder erlaubt.“

 

 

 

Fath hatte im Jahr 2014 den Rhein von der Quelle bis zur Mündung durchschwommen, dabei Hunderte Wasserproben entnommen und ausgewertet. Er war, bevor er in die Forschung wechselte, selbst in der Industrie mit dem Thema PFT befasst: als Chefchemiker bei der Armaturenfirma Hansgrohe.

Auch die Behörden warnen vor den Ersatz-PFT: „Aufgrund ihrer schweren Abbaubarkeit, der Mobilität (Grundwasser- oder Trinkwassergängigkeit) und aufgrund der gegebenenfalls erforderlichen höheren Einsatzmengen ist die Anwendung anderer Fluortenside (z.B. H4PFOS) ebenfalls kritisch zu bewerten“, schreibt das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz (LANUV) in einem Fachbericht.

Neuartige Substanzen nicht sicherer

Andreas Fath sagt: Nur weil die Substanzen eine etwas veränderte Molekülstruktur aufweisen, seien sie nicht zwingend sicherer. Der Hauptunterschied sei lediglich, dass (noch) nicht bekannt ist, wie giftig sie sind: „Wenn zu diesen Stoffen die Ergebnisse toxikologischer Studien bekannt werden, werden diese sicherlich nicht wesentlich positiver ausfallen als beim PFOS“, meint Fath. Es sei Aufgabe der Industrie, solche Stoffe erst gar nicht ins Wasser gelangen zu lassen.

Und es sind noch längst nicht alle möglichen Auswirkungen von PFT auf die Gesundheit erforscht: Zuletzt fand eine internationale Studie Hinweise dafür, dass eine hohe PFT-Konzentration im Blut von Kindern die Wirksamkeit von Impfungen beeinträchtigt.

Dass PFT die Gewässer nachhaltig schädigen können, hat der PFT-Skandal von 2006 gezeigt: Als Konsequenz sprach das Landesumweltministerium NRW damals eine Verzehrempfehlung für Fisch aus. Maximal einmal pro Monat sollte der verzehrt werden, um eine Gefährdung auszuschließen, drei Mal monatlich, wenn er unterhalb des Möhnesees geangelt wurde und zehn Mal, wenn er an der Ruhrmündung bei Duisburg gefischt wurde. Diese Empfehlung sei nach wie vor aktuell, teilt das LANUV auf Anfrage mit. Erst 2017 soll es eine Neubewertung geben. Dann jährt sich der PFT-Skandal zum elften Mal.

An der Recherche beteiligt waren die WDR-Mitarbeiterin Patricia Ennenbach und Christina Rentmeister von der Rheinischen Post, die den Autor bei der Auswertung der Gewässerdaten unterstützt haben. Die Idee für die Recherche entstand während einer Daten-Fellowship des Autors beim unabhängigen und gemeinnützigen Recherchebüro Correctiv.