Warum im Ruhrgebiet kaum jemand zur Wahl ging
Niedrige Beteiligung
Das Münsterland geht wählen, das Ruhrgebiet eher nicht. Das wird in einer Karte deutlich, die wir zu den Bürgermeister-Wahlen 2015 gebaut haben. Ein Fachmann erklärt, warum sich ländliche und städtische Bereiche so unterscheiden - und welchen Trend er für die Stichwahlen am 27. September sieht.
So hoch war die Wahlbeteiligung bei den Bürgermeister-Wahlen 2015
- Wie viel Prozent der Wahlberechtigten gaben am 13. September 2015 tatsächlich ihre Stimme ab? Hier die Übersicht für ganz NRW.
- Je dunkler eine Stadt oder Gemeinde eingefärbt ist, desto höher lag die Wahlbeteiligung.
- In den hellgrünen Städten und Gemeinden gab es keine Kommunalwahl.
Der Unterschied zwischen Land und Großstadt
Viele Schlusslichter kommen aus dem Ruhrgebiet: Unna hatte eine Wahlbeteiligung von 25,48 Prozent, Herne von 29,9 Prozent, Lünen und Essen von knapp 34 Prozent.
Anders im Münsterland: In Billerbeck und Laer machten 67,9 Prozent aller Wahlberechtigten ihr Kreuz für einen Bürgermeister-Kandidaten - der Rekord-Wert für NRW. Doch auch die meisten anderen Gemeinden in den Kreisen Steinfurt, Coesfeld und Warendorf schafften über 50 Prozent.
Warum das typisch ist? Im ländlichen Raum gehe oft noch die ganze Familie gemeinsam wählen, sagt Norbert Kersting, Politikwissenschaftler an der Universität Münster. Erstwähler würden mitgenommen und so in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen. Klassische Millieus seien noch intakt.
"In großen Städten gibt es aber eine Zersplitterung", so Kersting. Betroffen seien vor allem die ärmeren Stadtteile.
Gibt es ein Thema in der Stadt, das polarisiert?
"Kommunalwahlen werden nicht mehr als wichtig betrachtet", analysiert Kersting. Dabei gehe es da immer noch um viel. Auch wenn die Städte kaum Geld hätten, auch wenn Vieles von Europa, vom Bund oder vom Land vorgegeben sei - "der Spielraum, den die Bürgermeister haben, ist immer noch recht hoch".
Das Interesse steige hingegen, wenn es ein wichtiges Streit-Thema in der Stadt gebe. Dann könnten die Kandidaten polarisieren. Dann gehe es darum, welchen Weg die Stadt einschlagen werde. Und das schlage sich in der Wahlbeteiligung nieder.
Das passiere auf dem Land aber eher als in der Großstadt, so Kersting weiter. Außerdem gebe es in Großstädten meistens viele Kandidaten. "Da gehen viele Menschen von einer Stichwahl aus" - und gingen eben nicht zur Wahl. Für die Stichwahl selbst laute das Argument dann: "Die unterscheiden sich beide nicht, warum soll ich wählen gehen?"
Kerstings Prognose für die Stichwahlen am 27. September ist düster: "Die Wahlbeteiligung wird noch weiter sinken." Die Folge: Viele Bürgermeister hätten nur noch die Stimmen von "vielleicht 12 oder 13 Prozent Wahlberechtigten" - selbst wenn sie die Mehrheit der tatsächlich abgegebenen Stimmen erhalten hätten. Kerstings Fazit: "Das ist nicht gut für die Demokratie an sich."
"Ein Bürgermeister muss moderieren und Ideen durchsetzen"
Dabei seien die Aufgaben für Bürgermeister heute viel schwieriger als früher. Bis 1999 kamen Bürgermeister immer aus den Reihen der Parteien, waren Ehrenamtliche. Chef im Rathaus waren die Stadtdirektoren. Ihre Aufgabe: das umzusetzen, was die Politik vorgab.
Seit 1999 ist das anders. Aus beiden Jobs wurde einer: der hauptamtliche Bürgermeister, der zudem direkt gewählt wird. Auch Unabhängige könnten also gewählt werden.
Wichtigste Voraussetzungen für das Amt seien politisches und technokratisches Verständnis, so Norbert Kersting: "Ein Bürgermeister muss sich heute jenseits der Parteien etablieren. Er muss moderieren zwischen den verschiedenen Bereichen im Rat und trotzdem versuchen seine Ideen durchzusetzen. Er muss immer neue Koalitionen schmieden, aber trotzdem wählbar bleiben."