Warum der Artenschutz so wichtig ist
Expertin im Interview
Die Rückkehr des Wolfes nach NRW ist für den Artenschutz ein Erfolg. Denn in Sachen Artenvielfalt geht der Trend in eine andere Richtung: Viele Tiere und Pflanzen in NRW sterben aus. Birgit Königs vom Naturschutzbund erklärt im Interview zum heutigen Tag des Artenschutzes warum die Vielfalt für das Ökosystem von enormer Bedeutung ist.

Wanderfalken sind die schnellsten Vögel der Welt und sind vom Aussterben bedroht.
Heute ist Tag des Artenschutzes. Viele Tiere und Pflanzen in NRW sterben aus. Der Tag des Artenschutzes soll daran erinnern, dass die Vielfalt für das Ökosystem von enormer Bedeutung ist. Warum der Schutz bedrohter Tier- und Pflanzenarten immer wichtiger wird, erklärt Birgit Königs, Sprecherin des Naturschutzbundes (Nabu) in Nordrhein-Westfalen, im Interview:
Wie viele Tier- und Pflanzenarten sind in NRW vom Aussterben bedroht?
Birgit Königs: Insgesamt drohen bei uns 45 Prozent aller Tier- und Pflanzenarten zu verschwinden. Dazu gehören verschiedene Säugetiere wie bestimmte Lurche-, Hamster- und Fledermausarten. Aber auch viele Vögel und Schmetterlingsarten sind vom Aussterben bedroht, genauso sind einige Farne, Moose und Pilze betroffen. Jedes Bundesland führt eine „Rote Liste“ mit allen bedrohten Arten. Neun Prozent aller Arten gelten in NRW sogar als komplett ausgestorben und es ist sehr unrealistisch, dass sich dieser Trend bald ändern wird.
Woran liegt das?
Königs: Die meisten Arten verschwinden, weil sie keine Lebensräume mehr in NRW finden. Beim Naturschutz sprechen wir von „landschaftsverbrauchenden Handlungen“: Siedlungen und Straßen werden gebaut, Landschaften werden zerschnitten.
Die Gelbbauchunke zum Beispiel lebte ursprünglich in Flussauen, heute sind viele dieser Gebiete bebaut, Flüsse wurden begradigt und am Rhein gibt es die Unken nicht mehr. Durch landwirtschaftlich genutzte Flächen verschwindet ebenfalls Lebensraum. So sind die Hamster in NRW inzwischen vom Aussterben bedroht und die Kornrade, ein Ackerkraut, ist komplett ausgestorben.
Welche Auswirkungen hat das Aussterben einzelner Tier- und Pflanzenarten?
Königs: Die Folgen auf das Ökosystem sind meistens enorm. Die Kornrade war zum Beispiel eine wichtige Nahrungsgrundlage für viele Insekten, diese wiederum sind für andere Tiere die Nahrungsgrundlage und so weiter.
Genauso fragen wir uns, was hat der Mensch von einer Mücke? Dem Menschen würde sie nicht direkt fehlen, aber sie ist Nahrung für Vögel, Spinnen, Fledermäuse und Eidechsen. Das heißt, wenn im Ökosystem einzelne Bausteine wegfallen, fehlen sie an vielen anderen Stellen.
Kann das auch Konsequenzen für den Menschen haben?
Königs: Auf jeden Fall. Das beste Beispiel sind die Bienen mit ihrer Bestäubungsarbeit. Der Mensch kann diese Arbeit unmöglich alleine leisten. Ohne Bienen würde es irgendwann keine Obstbäume mehr geben. Manche Auswirkungen sind aber auch ungewiss. Die Frage, wie viel Wegfall der Arten das Ökosystem verkraften würde, kann keiner beantworten.
Wie kann der Artenschutz dieser Entwicklung entgegenwirken?
Königs: Wichtig ist, dass die Lebensbedingungen für die Tiere stimmen. Artenschutzregelungen sorgen dafür, dass die Lebensräume erhalten bleiben oder dass neue geschaffen werden. Es gibt viele Gebiete, die unter Naturschutz stehen, aber dieser Schutz muss respektiert werden.
Den Naturschutz respektieren – was heißt das konkret?
Königs: Wir dürfen nicht zu nah an geschützten Gebieten bauen. Die Tiere wollen möglichst ungestört leben. Der Nabu setzt sich zurzeit gegen den Bau des Windparks Heddinghäuser Haar im Kreis Soest ein. Dadurch wollen wir die bedrohten Arten wie Rotmilan und Wachtelkönig schützen. Denn die Haar grenzt an das Vogelschutzgebiet Hellwegbörde. Nur dort, wo Menschen Rücksicht nehmen, können bedrohte Populationen vorm Aussterben bewahrt werden.
Es gibt Tiere, wie den Wolf, die aus NRW verschwunden waren, aber zurückgekehrt sind. Welche sind das?
Königs: Die Highlights sind neben dem Wolf der Wanderfalke, der Fischotter, der Biber und die Wisente. Auch für den Luchs gib es neue Spurnachweise bei uns. Da vermuten wir allerdings, dass er in NRW nie ausgestorben war. Für eine sichere Zukunft brauchen all diese Arten aber ruhige Rückzugsorte. Sonst werden sie die letzten ihrer Art sein.
Wie konnten diese Tiere wieder nach NRW zurückgeholt werden?
Königs: Beim Naturschutzbund gibt es viele Auswilderungs- und Schutzprojekte. Ein solches Projekt – die AG Wanderfalkenschutz – hat beispielsweise den Wanderfalken zurück nach NRW geholt. Dafür wurden in Städten und Industriegebieten Nistkästen angebracht. Obwohl die Tiere sonst an Felsen gebrütet haben, haben sie die Nistkästen an Kirchentürmen und Industriegebäuden angenommen. Die Tiere waren so flexibel, sich neuen Lebensräumen anzupassen.