Von der Kohle zum Bier - eine historische Tour
Tipps der Redaktion zur Extraschicht (6)
2000 Künstler an fast 50 Spielorten über rund 100 Kilometer verteilt - in nur acht Stunden. Bei der Extraschicht am 25. Juni ist es extrem schwer, eine Auswahl zu finden. Daher helfen wir als Redaktion mit persönlichen Touren aus. Benjamin Legrand taucht tief ein in die Geschichte des Ruhrgebietes. Sein Motto: Das Pils danach kommt vom Durst davor.

Am Fuße des ehemaligen Hochofens erholt sich eine Besucherin auf dem Gelände der Henrichshütte in Hattingen in einer Hängematte bei der Extraschicht 2009.
Alles hängt mit allem zusammen. Das ist gerade im Ruhrgebiet so. Und auch bei der Extraschicht. Die Nacht der Industriekultur ist die beste Gelegenheit, sich das mal wieder klar zu machen.
Das Amüsement steht am 25. Juni natürlich im Vordergrund, schon klar. Ein Konzert hier, ein Pilsken dort. Aber beim Begriff Extraschicht (das ganze Programm finden Sie hier) schimmert ja noch so etwas wie Maloche durch. Fahren wir also ein in die Geschichte der Region, schließlich haben wir dafür die ganzen Museen und Orte der Industriekultur ja auch erhalten.
Kohle, Stahl, Eisenbahn, Bier - erst später kamen auch Chemie und Kultur. Die Kombination ist nicht zufällig, sondern bedingt sich gegenseitig. Wer das verstehen möchte, dem ist eine Tour in das südliche Ruhrgebiet ans Herz gelegt.
Das ist mein Zeitplan für die Extraschicht
- 18.00: Zeche Nachtigall Witten
- 19.30: Henrichshütte Hattingen
- 21.00: Eisenbahnmuseum Dahlhausen, Bochum
- 23.00: Fiege Brauerei, Bochum
- 0.30: Bergbaumuseum Bochum
Am Anfang ist, nein, nicht das Wort. Steht das „Wort“ für Kultur, steht es im Ruhrgebiet am Ende der Entwicklung. Am Anfang steht die Kohle. Sie war Brennstoff und Material, ohne Kohle kein Ruhrgebiet. Die Wiege des Bergbaus steht im Ruhrtal, deshalb starten wir in Witten.
Wo die Kohle an die Oberfläche kam
Zeche Nachtigall ist gut vom Hauptbahnhof Witten zu erreichen. Hier im Süden kam die Kohle an die Erdoberfläche. Die Flöze waren hier gut zu erreichen. Weiter nach Norden tauchen sie ab, liegen tiefer und tiefer. Und mit ihnen die Schächte - wer das sehen möchte, muss zu den mächtigen Fördergerüsten in den Nordsternpark Gelsenkirchen, zu Zeche Zollverein nach Essen oder an den Zukunftsstandort nach Herten.
Bei der Zeche Nachtigall musste man nicht nach unten graben, sondern es reichte ein waagerechter Stollen in den Hügel. Im engen, schwarzen Besucherbergwerk ist man noch wirklich vor Kohle. Hier kann man nachfühlen, wie einen die Nacht unter Tage umhüllt.
Ein gläserner Fahrstuhl am rostbraunen Hochofen
Weiter geht’s mit der historischen Bahn der Ruhr entlang nach Hattingen, zur Henrichshütte. Rostbraun liegen die Tiegel und der Hochofen 3. Er ist nicht der Höchste des Reviers (im Duisburger Landschaftspark kommen Besucher höher hinaus), aber er hat den wunderbaren Vorteil, mit einem gläsernen Fahrstuhl ausgestattet zu sein. Zwischen 18 und 23 Uhr gibt heute die Schaugießerei Einblicke in den Prozess der Eisen-und Stahlproduktion.
Viel Erz, aber noch viel mehr Kohle
Die Stahlproduktion wäre nie ohne Kohle ins Ruhrgebiet gekommen. Man braucht nämlich Erz und Kohle in Form von Koks. Genauer: viel Erz, aber noch viel mehr Kohle. Und weil es billiger war, die kleinere Mengen Erz statt die Riesenmengen Kohle zu transportieren, stehen die Stahlwerke nicht in den Erzregionen, sondern in der Kohleregion an der Ruhr. Die Transportkosten waren also entscheidend für die Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Und deshalb geht es weiter nach Bochum-Dahlhausen insEisenbahnmuseum. 14 Minuten mit dem Shuttlebus von Hattingen.
Das Dampfross war der Motor der Entwicklung im Ruhrgebiet. Schließlich bestanden Züge und Schienen aus Eisen, vor allem verbrannten die Loks jede Menge Kohle. Und was konnten sie damit transportieren? Richtig. Kohle. Dank der günstigen Eisenbahn wurde es in allen Teilen Deutschlands billiger, das schwarze Gold in Masse aus dem Ruhrgebiet zu kaufen als es aus England per Schiff kommen zu lassen (wie es zum Beispiel Berlin lange Zeit getan hatte). So wurde der Pott zur Boomregion. Das Museum bietet heute Führungen an.
Viele durstige Kehlen brauchen viele Brauereien
Wer soviel über Maloche gelernt hat, hat sich spätestens jetzt auch ein Bier verdient. So wie damals die Kumpel und Stahlkocher. Viele durstige Kehlen brauchen viele Brauereien. Kein Wunder, dass zum Beispiel Dortmund noch in den 50er- und 60er-Jahren die Bierhauptstadt Europas war (zu erkunden im Dortmunder Brauereimuseum). Heute geht es aber nur nach Bochum. Die kleine, feine Fiegebrauerei öffnet ihren Türen für eine Besichtigung. Kleiner Tipp: Vom Bahnhof Dahlhausen fährt auch die Straßenbahn 318 zum Bochumer Hauptbahnhof, das ist schneller als mit den Shuttlebussen).
Die letzte Station des Tages: das Bergbaumuseum
Kohle, Stahl und Bierindustrie sind im Pott – fast - perdu. Von ihnen bleiben die Museen – wie das Bergbaumuseum – die letzte Station des Tages. Im Gegensatz zu anderen Zechen-Relikten wurde hier nicht Kohle abgebaut. Es ist das größte Museum seiner Art in der Welt, schon seit den 30er-Jahren erklärt es die Welt unter Tage. Der Förderturm stand früher in Dortmund-Marten bei Zeche Germania. Ab 1 Uhr erstrahlt das Gerüst inmitten einer Laser- und Musikshow. Ein feierlicher Abschluss nach so viel Maloche.