Von der Flucht, die eigentlich nur ein Umzug ist
Portrait
Moheddin Dakak ist ein bodenständiger Typ. Was er mag und was er will, weiß er ganz genau. Er ist bereits integriert, noch bevor er einen Fuß vor Syriens sinnbildliche Tür setzt. Flüchtling. Zuflucht. Medizinstudent. Trinkfest. Deutsche Freundin. Das ist seine Geschichte.

Moheddin Dakak
“No, we did not make any bad experiences with racism here” - Nein, böse Erfahrungen mit Rassismus habe er hier noch nicht gemacht, erklärt Moheddin lächelnd, als ob das selbstverständlich wäre, nicht angefeindet zu werden, so als 28-jähriger männlicher, syrischer Flüchtling in Deutschland. Besonders in Zeiten von islamistischen Anschlägen, AfD und Kölner Silvesternacht. Moheddin spricht bei dem Treffen Englisch, manchmal auch Arabisch. Deutsch würde trotz dreimal Sprachkurs pro Woche noch nicht so gut klappen, sagt er. “Nein, im Ernst: Wirklich alle sind freundlich zu uns hier in Herdecke.” Moheddin wird von seinem Handy unterbrochen. Seine Freundin ruft an. Moheddin tippt auf das Smartphone und fängt an zu sprechen - nicht Englisch, nicht Arabisch. Moheddin spricht Deutsch.
Seine Ziele sind im Moment zum Greifen nah.
Zugegeben, an der Aussprache und der Grammatik hapert es noch ein wenig, aber für gerade mal sechs Monate in Deutschland, spricht Moheddin schon sehr gut. Doch damit zu prahlen, das fällt dem Syrer nicht im geringsten ein. Moheddin ist sich seiner Ziele genau bewusst. Bereits bevor in seiner Heimat der Krieg ausbricht, weiß Moheddin genau, dass er nach Deutschland will - um Herzchirurg zu werden. Er studiert zwölf Semester in Syrien, so lange, bis es zu gefährlich ist zur Uni zu gehen. Zum Abschluss fehlten ihm noch zwei Monate. Die holt er jetzt gezwungenermaßen hier nach.
Gemeinsam mit seinem Bruder macht er sich auf den Weg nach Deutschland, und nun will er seinen Traum wahr machen. Er möchte sein Studium an einer deutschen Universität beenden - am liebsten in Münster. Aber einfach herumsitzen und auf einen Studienplatz warten? Das ist keine Option für Moheddin. “Ich arbeite montags und freitags in einem Krankenhaus in Dortmund als Übersetzer für Flüchtlinge. Ab nächsten Monat sogar jeden Tag.” Ein kleines Lächeln zeichnet sich in Moheddins Gesicht ab. Er weiß, dass seine Ziele im Moment zum Greifen nah sind.
“Bei uns in Syrien gab es auch schon mal Flüchtlinge.”
“Ja, wir haben uns gerade erst getroffen. (...) Wir sitzen beim Italiener auf dem Marktplatz”, spricht Moheddin in gebrochenem Deutsch leise in sein Handy. Moheddin möchte sich kurz fassen, nicht unhöflich sein, deswegen legt er nach einem kurzen Gespräch mit seiner Freundin wieder auf. Spontan wird sie eingeladen. “Wo waren wir stehengeblieben?”, fragt Moheddin. Ach ja. Da war ja dieser eine Ort, in dem alle freundlich zu ihm sind. Zu Moheddin und zu all den anderen jungen syrischen Flüchtlingen. Der Ort, der Moheddin nun eine Heimat ist. Dieser Ort namens Herdecke. Herdecke an der Ruhr. Das ist eines dieser beschaulichen Dörfer, in denen sich Fachwerkhaus an Fachwerkhaus reiht.
Eine dieser immer seltener werdenden deutschen Kleinstadt-Idyllen, in denen die Welt einfach noch in Ordnung ist, oder zu sein scheint. Verglichen mit dem Ort aus dem Moheddin kommt, der Millionenstadt Damaskus, ist das nordrhein-westfälische Herdecke ein Kleinöd, und doch fühlt sich Moheddin hier wohl. Glaubt man ihm, hat hier niemand der rund 25 000 Einwohner etwas gegen die Flüchtlinge, die nun hier am nördlichen Ennepe-Ruhr-Kreis am Beginn eines neuen Lebens stehen. Im Gegenteil. Nicht nur Akzeptanz, sondern auch Integration funktioniert hier anscheinend vorbildlich. Es ist ein älteres Ehepaar aus Herdecke, das Moheddin und seinen Bruder aus dem Flüchtlingsheim holt. In einem Zeitungsartikel lesen sie Moheddins Geschichte, sie lesen von seiner Flucht durch halb Europa und von seinem großen Ziel Herzchirurg zu werden. Das Herdecker Ehepaar macht Moheddin und seinen Bruder daraufhin ausfindig. Seitdem wohnen die beiden Syrer und das Ehepaar in einer gemeinsamen Wohnung. Wie der Zufall es will, erscheint der Zeitungsartikel, der den Anstoß gegeben hat, an Heiligabend. Über so viel Herzlichkeit und Unterstützung sei Moheddin sehr glücklich. Dass er nur gute Erfahrungen in Deutschland und in Herdecke macht, sagt er immer wieder. Die Situation sei für ihn allerdings nicht ganz neu: “Bei uns in Syrien gab es auch schon mal Flüchtlinge.” Der Krieg im Irak habe viele Menschen vertrieben, unter anderem auch nach Syrien. “Mein Onkel hat damals zwei Häuser Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Viele Syrer haben sich damals zusammengetan, um den Flüchtlingen zu helfen.”
“Der Flüchtling ist eigentlich ein ganz normaler Typ”
Inzwischen ist Moheddins Freundin Carola im italienischen Café auf dem Herdecker Marktplatz angekommen. Und wen überrascht es, dass Moheddins Freundin eine Deutsche ist? Carola blickt durch eine etwas zu groß geratene Brille und lacht sehr viel. Vor kurzer Zeit hat sie ihr Abitur gemacht und möchte nun Ökolandbau studieren. Moheddin lächelt, als er sie sieht. Er nimmt sie kurz, aber innig in den Arm. Carola und Moheddin kennen sich aus dem Deutschunterricht im Flüchtlingsheim. Sie Deutsche, er Syrer. Sie Lehrerin, er Schüler. Carola schüttelt ungläubig den Kopf: “Nein, eigentlich hatte keiner was gegen unsere Beziehung”. Moheddin muss schmunzeln. Carola überlegt kurz und nun fangen beide an zu lachen. “Stimmt. Ja, meine Oma war damals noch misstrauisch”, gibt Carola zu. Moheddin erinnert sich: “An Weihnachten bin ich mit in die Kirche gekommen. Dort hat sie mich zum ersten Mal gesehen.“ Carola und Moheddin lachen immer noch. “Zuerst hat meine Oma sich gar nicht richtig getraut ihn anzugucken. Doch bald hat sie gemerkt, dass der Flüchtling eigentlich ein ganz normaler Typ ist.” sagt Carola lachend. “The best way to integrate is to be with the people”, sagt er, ein schelmisches Grinsen im Gesicht. Während er erzählt schaut er Carola hin und wieder fragend an. Sie nickt zustimmend und zwinkert ihm zu.
Grundsätzlich bezeichnet sich Moheddin als atypischen Syrer. Alle Araber spielen Straßenfußball, sagt er. Alle außer ihm. Politik interessiert ihn ebenso wenig wie arabische Musik. Deutschland ist für ihn das Land, von dem er jetzt Teil ist. Moheddin lächelt schon wieder. Er glaubt, dass ein Aufeinandereingehen die einzige notwendige Zutat ist, damit Menschen - unabhängig von Sprache und Herkunftsland - miteinander leben. Sein Herz schlägt für Deutschland, und er wird alles daran setzen, dass auch andere Herzen lange schlagen. Als syrischer Herzchirurg in Deutschland.