Verdis Otello ist allein unter Wölfen
Oper Dortmund
Verdis "Otello" ist eine Geschichte von der Schönen und dem Biest. Im Dortmunder Opernhaus ist der Admiral ein Psychopath, der auch Wölfe tötet. Um zu zeigen, dass dieser Otello allein unter Wölfen seinen Seelenkrieg kämpft, bedient sich Regisseur und Intendant Jens-Daniel Herzog ungewöhnlicher Mittel. Diese Inszenierung spaltet das Publikum: Bei der Premiere am Sonntagabend gab es Bravos und Buhs für die Regie.

Otello (Lance Ryan) beim Mord an Desdemona (Emily Newton) im Dortmunder Opernhaus
Das Volk feiert im Publikum den Helden Otello, singt im Sturm und Feuerchor zu Beginn im Parkett, während Otello auf der Bühne den Wolf metzelt, dessen Kopf dann als Trophäe zweieinhalb Stunden an der Wand hängt. Die Dortmunder Philharmoniker (durchweg laut an diesem Abend) lassen im Graben dazu unter Leitung von Gabriel Feltz ein Drama lodern.
Aber dieser "Löwe von Venedig" (in Dortmund kein Schwarzer, aber ein Außenseiter) ist kein Alphatier. Herzog zeigt ihn als gebrochenen Mann, der mehr kauert als aufrecht geht, als von Selbstzweifeln geplagten Menschen, mit dem man als Zuschauer mehr Mitleid empfindet als Achtung. So einer kann zum Amokläufer werden, zur Bestie, die am Schluss Desdemona grausam schlachtet.
Großartige Desdemona
Lance Ryan ist Otello, einst ein gefeierter Wagnersänger, auch in Bayreuth. Aber ein Verditenor ist der 45-jährige Kanadier nicht. Und auch stimmlich kein strahlender Held. Zu eng ist die Stimme und - wenn Ryan nicht kraftvoll aussingen darf - zu fahl und blass, um dem Teufel dieser Oper etwas entgegensetzen zu können.
Sangmin Lee singt den Jago, den Strippenzieher und Intrigenspinner, der mit dem Wolf tanzt und aus einem Taschentuch eine Affäre macht. Großartig ist der Südkoreaner in dieser Rolle - abgrundtief böse und schelmisch verschmitzt.
Starker vierter Akt
Emily Newton ist Desdemona. Allein ihr Gebet im vierten Akt ist es wert, eine Karte zu kaufen. Das ist zutiefst anrührend, hat eine wunderbare Intimität, und ist mit so viel Stimmkultur in den leisen Tönen bewegend in den Saal gehaucht. Überhaupt ist der vierte Akt der stärkste dieser Inszenierung: Weil da Welten aufeinanderprallen und die Figuren besonders scharf gezeichnet sind.
Herzog legt den Fokus seiner Inszenierung auf die Charaktere. In einem unschuldsweißen Raum (in dem sich Jago erst als Klempner betätigen und ein Waschbecken montieren muss, sich dann darin immer wieder die Hände rein wäscht) zeigt er das blutige Drama (Bühne: Mathis Neidhardt, Kostüme Sibylle Gädeke). Herausziehbare Zwischenwände schaffen Räume zum Lauschen für Jago, der am Schluss entspannt bei einer Zigarette im Sessel verfolgt, wie Otello auf das von ihm eingefädelte Spiel hereinfällt.
Die Meute zieht weiter
Am Schluss steht der Chor wieder im Parkett, Blechbläser aus dem Foyer kündigen Unheil an. Die Schöne und das Biest sind tot, der Teufel hat gewonnen, die Meute zieht weiter, heult mit dem nächsten Anführer, den sie wahrscheinlich auch zerfleischen wird.