
© Rupert Joemann
Ukrainer in Sicherheit in Schöppingen: Die Angst ist der Wut gewichen
Ukraine-Krieg
Natalia Sorokotiak hat vor Jahren ein Praktikum auf dem Hof Halsbenning in Schöppingen absolviert. Sie brachte nun ihre Töchter und Mutter dort in Sicherheit – und kehrt zurück in ihre Heimat.
Sieben Menschen aus der Ukraine sind zurzeit auf dem Hof von Rudolf Halsbenning und Claudia Kestermann zu Gast. Der Kontakt kam durch ein Praktikum zustande, das zwei der Ukrainerinnen vor Jahren auf dem Hof auf dem Ramsberg absolviert haben. Der Kontakt war nie abgerissen – was sich jetzt als Glücksfall erwies.
Natalia Sorokotiak weiß genau, was sie am 1. April machen wird: Sie fängt wieder als landwirtschaftliche Beraterin in ihrer Heimat, der Westukraine, an. Derzeit wohnt sie noch auf dem Hof von Rudolf Halsbenning und seiner Frau Claudia. Die 37-Jährige hat ihre beiden Kinder und ihre Mutter vor dem Krieg in Sicherheit gebracht und will zurückkehren.
„Ich kann unserem Land helfen“, sagt Natalia Sorokotiak. Das Ausbringen der Saat sei sowohl wichtig für die Ukraine als auch für viele andere Länder. Schließlich exportiert die Ukraine viele Nahrungsmittel. Mit ihrem Fachwissen sorgt sie für bessere Ernteerträge. Die Westukraine, so die zweifache Mutter, ist momentan „relativ ruhig“. Es gebe auch keine Probleme mit Lebensmitteln oder Benzin. „Der Westen ist der Tod für Putin“, glaubt Sorokotiak. Im Osten hielten mehr Menschen zum russischen Präsidenten.
Dort verfange die russische Propaganda besser. Sehr viele Russen seien überzeugt, dass Russland Krieg mit den USA führe. Sie verstünden nicht, dass es ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine sei. Auch glaubten sie, den ethnischen Russen in der Ukraine sei verboten, die Muttersprache zu sprechen. „Meine Mutter ist in Russland geboren“, sagt die 37-jährige Tetiana Nosenko, die mit ihrem Sohn und ihren Eltern zu Halsbennings auf den Ramsberg gekommen ist. Die Mutter spreche zu Hause in der Ukraine überwiegend Russisch. Das machten viele Menschen dort selbstverständlich, so Tetiana Nosenko.
Wie Natalia Sorokotiak hatte Nosenko vor mehr als 15 Jahren ein landwirtschaftliches Praktikum bei Halsbennings absolviert. Die beiden sprechen auch nach so langer Zeit immer noch sehr gut Deutsch. Der Kontakt zu ihren damaligen Gastgebern ist nie abgerissen. Zu Beginn des Krieges informierten sich Rudolf Halsbenning und seine Frau Claudia, wie es beiden Familien gehe und boten ihnen an, nach Schöppingen zu kommen.
Die Ukraine gewinnt – nur wann?
„Am ersten Kriegstag hatte ich Angst – um meine Familie, um mein eigenes Leben“, erzählt Natalia Sorokotiak. Bereits am zweiten Tag sei die Angst der Wut über die Toten und die Zerstörung gewichen. Am dritten Tag habe sie verstanden, dass sie etwas tun müsse. Ihre Mutter bastelte Molotowcocktails. Die Familie sammelte Lebensmittel und strickte Socken für die Soldaten. „Mit jedem Tag habe ich mehr Sicherheit, dass die Ukraine gewinnt“, sagt Natalia Sorokotiak. Davon sind alle überzeugt. Nur das Wann wisse sie nicht, ergänzt Tetiana Nosenko.
Die beiden Frauen haben regelmäßig Kontakt zu ihren Männern. „Er spricht aber wenig. Er möchte dass ich ruhig bleibe“, erzählt Tetiana Nosenko. Vor ihrer Flucht erlebte sie, wie einige Kilometer von ihrem Haus entfernt, die Russen eine Kaserne und ein Munitionsdepot bombardierten. Da habe sie etwas Panik bekommen, so die studierte Tierärztin, die seit zehn Jahren in einem Labor arbeitet und am heutigen Montag ein Vorstellungsgespräch in einem Labor hat. Wie es nach dem Krieg weitergeht, weiß sie noch nicht.
Wie die anderen auch, glaubt Tetiana Nosenko, dass nur das Schließen des Luftraums weitere humanitäre Katastrophen verhindern könne. Wirtschaftliche Sanktionen würden nicht helfen. Sorokotiak: „Viele Russen haben noch ein Plumpsklo und keine Toilette im Haus.“ Sie lebten in einfachsten Verhältnissen. Denen seien ökonomische Folgen egal. Sie seien nur stolz auf ihr Land.
Ukrainer wollen ihr Land verteidigen
Das sind auch die Ukrainer. Als die beiden Familien flohen, hätten sich an der polnisch-ukrainischen Grenze auch lange Staus in Richtung Ukraine gebildet. Die Menschen wollten helfen, ihr Land zu verteidigen. Damit habe Wladimir Putin nicht gerechnet. „Putin hat gedacht, er kann nach fünf Tagen Kiew und andere Großstädte einnehmen“, so Natalia Sorokotiak. Da habe er sich gewaltig getäuscht.
Jetzt will Sorokotiak zurückkehren, um ihren kleinen Teil für eine gute Zukunft ihres Landes zu leisten. Für die in Deutschland erfahrene Hilfe ist sie dankbar. „Wir sind sehr dankbar, besonders Rudi und Claudia“, sagt Tetiana Nosenkos Vater Wolodymyr Udowenko (69). Die beiden Schöppinger unterstützen die Familien auch bei Behördengängen. Nosenkos Sohn geht schon in Schöppingen zur Schule – und spielt beim ASC Fußball. Ein Stück Normalität in einer schwierigen Zeit.