Türken entscheiden über Erdogans Präsidialsystem

Referendum

Die Türkei steht vor einer wegweisenden Entscheidung: Kommt das Präsidialsystem, das Staatschef Erdogan deutlich mehr Macht verleihen würde? Seit dem Morgen und bis zum frühen Abend stimmt das Volk darüber ab.

Istanbul

16.04.2017, 11:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

In einem historischen Referendum entscheiden die Türken seit Sonntagmorgen über die Einführung des von Staatschef Recep Tayyip Erdogan angestrebten Präsidialsystems. Seit 08.00 Uhr sind im ganzen Land die Wahllokale geöffnet.

55,3 Millionen Wahlberechtigte sind in der Türkei zur Teilnahme an der Volksabstimmung aufgerufen. Im Ausland waren zusätzlich 2,9 Millionen Türken zur Wahl zugelassen, dort wurde bereits abgestimmt.

Präsidialsystem bedeutet deutlich mehr Macht für Erdogan

Die Wahllokale schließen im Osten um 16.00 Uhr, im Westen eine Stunde später. Unmittelbar danach beginnt die Auszählung. Ergebnisse werden am Sonntagabend erwartet. Wann feststeht, welches Lager sich durchgesetzt hat, hängt davon ab, wie knapp das Ergebnis ausfällt. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Das Präsidialsystem würde Erdogan deutlich mehr Macht verleihen. Die Opposition warnt vor einer Ein-Mann-Herrschaft.

Sollte die Verfassungsreform die erforderliche Mehrheit von mehr als der Hälfte der Stimmen erzielen, dürfte Erdogan wieder Chef der Regierungspartei AKP werden. Die Reform würde schrittweise bis zur ersten gemeinsamen Wahl von Parlament und Präsident umgesetzt, die für November 2019 geplant ist. Danach würde der Präsident nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef. Das Amt des Ministerpräsidenten würde entfallen.

Erdogan stellt Wiedereinführung der Todesstrafe in Aussicht

Erdogan hatte am letzten Wahlkampftag für den Fall seines Sieges beim Referendum die Wiedereinführung der Todesstrafe in Aussicht gestellt. "Die Entscheidung morgen wird den Weg dafür öffnen", sagte Erdogan am Samstag vor jubelnden Anhängern, die in Sprechchören die Todesstrafe forderten. Er warb zugleich um massenhafte Zustimmung zu seinem Präsidialsystem bei dem Referendum am Sonntag.

Oppositionsführer und CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu warnte am letzten Wahlkampftag in Ankara: "Morgen werden wir unsere Entscheidung treffen: Wollen wir ein demokratisches parlamentarisches System, oder wollen wir ein Ein-Mann-Regime?" Er appellierte an die Wähler: "Würdet Ihr Eure Kinder in einen Bus ohne Bremsen setzen? Schützt die Demokratie, wie ihr Eure Kinder schützen würdet."

Ausnahmezustand während des Referendums

Erdogan versprach im Falle seines Sieges Sicherheit, Stabilität und wirtschaftlichen Aufschwung. "Denkt daran, was passieren wird, wenn die Urnen - so Gott will - vor "Ja"-Stimmen platzen", sagte er bei einem von insgesamt vier Auftritten am Samstag in Istanbul. Die pro-kurdische HDP warb bei ihrer Abschlusskundgebung in Diyarbakir für ein "Nein" beim Referendum. Die Volksabstimmung findet im Ausnahmezustand statt, der noch mindestens bis Mittwoch andauert.

55,3 Millionen Wahlberechtigte sind beim Referendum in der Türkei dazu aufgerufen, für oder gegen die Einführung eines Präsidialsystems zu stimmen. Die Wahl findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt - rund 380.000 Sicherheitskräfte sind im Einsatz. Im Ausland - wo zusätzlich 2,9 Millionen wahlberechtigte Türken registriert sind - wurde bereits abgestimmt. Auf der linken Hälfte der Stimmzettel steht "Ja" auf weißem Hintergrund und auf der anderen "Nein" auf braunem Hintergrund. Der Wähler entscheidet, indem er einen Stempel mit der Aufschrift "tercih" ("Auswahl") auf den bevorzugten Teil drückt. Dann steckt er den Stimmzettel in einen Umschlag, der in eine Urne kommt. Eine Frage ist auf dem Stimmzettel nicht vermerkt. Nach dem wochenlangen Wahlkampf dürften die Optionen aber bekannt sein.

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