Streit um Öffnungen: Städte wollen Kita-Notbetrieb und Schulschließungen - Land ist dagegen
Lockdown
Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in NRW steigt - mancherorts besonders. Einige Städte wollen in den Kita-Notbetrieb gehen und Schulen schließen. Das Land ist dagegen.

Kinder stehen in der Garderobe einer Kita. In Regionen, deren Sieben-Tage-Wert an drei aufeinanderfolgenden Tagen unter 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner liegt, können die Kitas in den eingeschränkten Regelbetrieb zurückkehren. © picture alliance/dpa
Angesichts steigender Corona-Neuinfektionen liefern sich die schwarz-gelbe Landesregierung und mehrere meist SPD-regierte Kommunen in Nordrhein-Westfalen eine Kraftprobe zu den Schutzmaßnahmen. Als erste Stadt in NRW will Duisburg die Kinderbetreuung wieder drastisch einschränken. Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link (SPD) kündigte am Mittwoch die Rückkehr zum Notbetrieb in den Kitas an.
Familienminister Joachim Stamp (FDP) will das nicht zulassen. „Das ist mit dem Land nicht abgestimmt“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Der FDP-Politiker widersprach damit Angaben der Stadt Duisburg. „Es kann jetzt nicht jeder Oberbürgermeister nach Gutdünken Maßnahmen verkünden“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident. „Es gibt ein geordnetes Verfahren.“
Streit um Schulschließungen nimmt Fahrt auf
Auch der Streit um Schulschließungen nahm weiter Fahrt auf. Duisburg bekräftigte die Pläne für eine „Corona-Notbremse“ für Kitas und Kindertagespflege ab Montag. Die betroffenen Eltern würden derzeit informiert, dass dann nur noch Kinder, die besonderen Bedarf haben und Kinder von Eltern mit systemrelevanten Berufen betreut werden könnten.
Stamp sagte, Duisburg könne nicht eigenmächtig über die Kita-Maßnahmen entscheiden, sondern müsse diese mit dem Gesundheitsministerium abstimmen. Das Ministerium nehme dann mit ihm Kontakt auf. „Es wird von mir keine Zustimmung für einen Notbetrieb mit einer kritischen Infrastruktur geben, gerade in einer Stadt mit den Herausforderungen wie Duisburg“, betonte Stamp.
Schärfere Kontaktbeschränkungen
Die Allgemeinverfügung der Stadt Duisburg, die dem Gesundheitsministerium vorgelegt werden muss, war nach Angaben eines Sprechers am Nachmittag noch in Arbeit. Diese sieht auch schärfere Kontaktbeschränkungen vor. Im öffentlichen Raum sollen sich wieder nur noch ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen dürfen.
Man habe bereits am Dienstag mit dem Gesundheitsministerium über mehrere verschärfende Corona-Maßnahmen gesprochen und „darüber auch Einigkeit erzielt“, teilte der Sprecher mit. „Dass wir die Kitas wieder einschränken, war eines von mehreren Vorhaben“, hieß es weiter. Das Ministerium habe eine schnelle Prüfung zugesagt.
Stamp sagte, Kitas hätten angesichts der steigenden Infektionszahlen andere Möglichkeiten zu reagieren. So könnten sie wieder in den eingeschränkten Pandemiebetrieb zurückgehen. Das würde bedeuten, dass die Kitas zwar grundsätzlich geöffnet bleiben, aber an die Eltern appelliert wird, ihre Kinder möglichst zu Hause zu betreuen. Diese Regel galt in NRW bis Ende Februar.
Zwar sieht auch Stamps Phasenmodell im Extremfall einen Notbetrieb als „Corona-Notbremse“ vor. Diese sollte aber nur bei explodierenden Corona-Zahlen angewendet werden, betonte er.
Inzidenz in Duisburg seit Tagen über 100
In Duisburg lag der Wert der Neuinfektionen binnen sieben Tagen pro 100.000 Einwohner laut Robert Koch-Institut am Mittwoch bei 122,1 - und damit seit rund einer Woche über der kritischen Marke von 100, ab der Kommunen und Land über die Rücknahme von Lockerungen oder andere Eindämmungsmaßnahmen beraten sollen. In NRW überschreiten derzeit 14 Kreise und kreisfreie Städte den Inzidenzwert 100.
Was die Landesregierung tue, um die Zahl der Neuinfektionen zu drücken, sei nicht ausreichend, kritisierte Duisburgs OB Link. Er sei „wütend und enttäuscht“, sagte der SPD-Politiker auch mit Blick auf das Veto des Schulministeriums zu Schulschließungen. Das Land hatte Forderungen aus Dortmund und Duisburg, Schulöffnungen zu stoppen, abgeschmettert. Schon zuvor hatten mehrere Kreise die Schulöffnungen zurücknehmen wollen, waren aber von Düsseldorf gestoppt worden.
Stimmen, die Kurskorrektur fordern, werden lauter
Die Stimmen, die eine Kurskorrektur fordern, wurden am Mittwoch lauter: Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) kritisierte das Festhalten an der Schulrückkehr aller Jahrgänge seit Montag als zu riskant. Die Astrazeneca-Impfstoffausgabe zu stoppen und gleichzeitig die Klassenräume wieder für alle Schüler im Wechselmodus tageweise zu öffnen, sei „nicht nachvollziehbar“, sagte er im WDR-Morgenecho.
Die ansteckendere B.1.1.7-Variante des Coronavirus habe das Ruder im Infektionsgeschehen übernommen. „Wir sehen jetzt: Kinder sind das größte Ansteckungsrisiko.“ Ein Stadt-Sprecher ergänzte auf Anfrage, man werde einen neuen Anlauf beim Land nehmen, um die Schulen spätestens am Montag zu schließen. Über die Ankündigung hatte auch die „Welt“ berichtet.
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) betonte im WDR den Grundsatz, dass Unterricht in den Klassenräumen in Präsenz stattfinden solle, soweit das vertretbar sei. Bei einer Wocheninzidenz von über 100 werde eine Verschärfung der Maßnahmen geprüft. Dortmund habe am Dienstag bei einem Wert von 72 gelegen und zudem kein „Gesamtkonzept“ vorgelegt.
Auch in Müster steigen die Infektionszahlen
Sogar in Münster - bisher stets mit niedrigen Zahlen - kletterten die Infektionswerte. Derzeit infizieren sich vor allem viele Kinder, sagte Krisenstabsleiter Wolfgang Heuer den „Westfälischen Nachrichten“. Die aktuell infizierten Münsteraner seien deutlich jünger als noch vor wenigen Monaten. Grund für den Anstieg sei die ansteckendere britische Virusvariante B.1.1.7.
Auch der CDU-regierte Oberbergische Kreis hatte bereits vergeblich versucht, Öffnungen der weiterführenden Schulen angesichts einer Sieben-Tage-Inzidenz von zuletzt 131,5 bis zu den Osterferien auszusetzen. Das Land lehnte dies ab. Am Mittwochmittag wies der Kreis in einer Mitteilung kritisch daraufhin, bislang vom Land keine Selbsttests für die Anwendung in den Schulen geliefert bekommen zu haben. „Der Hinweis, dass Testungen ein Instrument sein könnten, um den Schulbetrieb als Präsenz- und Wechselunterricht zu ermöglichen, erscheint daher wenig überzeugend.“
Frage, welchen Beitrag Schüler zur Pandemie leisten, ist ungeklärt
Die Frage, welchen Beitrag Schulen und Schüler zur Pandemie leisten, ist hoch umstrittenen und gilt als bislang nicht eindeutig geklärt. RKI-Chef Lothar Wieler hatte vor wenigen Tagen über einen Anstieg der Infektionen berichtet, der bei Kindern und Jugendlichen unter 15 Jahren seit Mitte Februar sogar „sehr rasant“ ausfalle.
Eine Untersuchung des RKI hatte zuvor zwar nahegelegt, dass Schüler wohl eher nicht als „Motor“ eine größere Rolle spielten. Aber: Der Hauptfokus lag dabei auf Ausbrüchen, die zwischen August und Mitte Dezember gemeldet worden waren. Schon damals hieß es zugleich, die leichtere Übertragbarkeit der Mutante B.1.1.7 scheine auf alle Altersgruppen zuzutreffen - Schulen könnten damit womöglich einen größeren Beitrag zum Infektionsgeschehen leisten.
„Ängste der Eltern sind groß“
„Die Ängste der Eltern sind groß“, sagte Dieter Cohnen von der Landeselternschaft der Gymnasien in NRW im ARD-„Morgenmagazin“. Das Risiko, dass sich Kinder ansteckten - vor allem mit der britischen Mutante - sei hoch. Die Landeselternkonferenz LEK unterstrich, bei rasant steigenden Infektionszahlen unter jüngeren Schülern erfordere die Sorgfaltspflicht Schließungen. Auch die Landesschülervertretung forderte, über Schulöffnungen müsse dezentral entschieden werden. Es könne nicht sein, dass die Regierung „mit Gewalt“ Schulöffnungen durchsetze.
dpa