"Stardust" und "Hallelujah": Das war das Kulturjahr 2016
Es war ein seltsames Jahr, dieses Kulturjahr 2016, das vom Tode vieler Prominenter geprägt war. Aber 2016 hatte auch seine schönen Seiten.

Die "Floating Piers" von Christo waren DAS Kunstereignis des Jahres. Foto: Michael Kappeler
Goldene Stege übers Wasser, erbitterter Streit um Personalien und der Tod von David Bowie, Leonard Cohen und "Schimi" - das Kulturjahr war bunt, turbulent und oft traurig.
POLITIK UND KRISEN - Flüchtlingskrise und Fremdenfeindlichkeit, Brexit und Populismus, Ausnahmezustand in der Türkei und die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten - selten hat die Politik die kulturpolitische Debatte so stark mitbestimmt wie in diesem Jahr. Immer wieder melden sich Künstler und Intellektuelle mahnend zu Wort, deutschlandweit setzen sich Theater, Museen und Literaturhäuser mit Integrationsfragen auseinander. Für Aufsehen sorgt eine Aktion des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, der sich aus Protest gegen die europäische Asylpolitik in der Haltung des ertrunkenen syrischen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi ablichten lässt.
SCHUTZ FÜR KUNST - Nach einem einjährigen erbitterten Streit tritt im August das neue Gesetz zum Schutz von Kulturgütern in Kraft. Danach darf "national wertvolles Kulturgut" nicht mehr ins Ausland ausgeführt werden. Der Handel mit geraubter Kunst aus Kriegs- und Krisengebieten wird eingeschränkt. Die Initiative von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) war bei Galeristen und Kunsthändlern auf teils massiven Widerstand gestoßen. Starkünstler Georg Baselitz hatte 2015 aus Protest seine Leihgaben in Museen abhängen lassen. Dennoch findet das Vorhaben in Bundestag und Bundesrat eine breite Mehrheit.
ZOFF UM NEUE - Immer wieder sorgen Personalien für Unruhe. Am Berliner Ensemble, der einstigen Bühne von Bertolt Brecht, will es der 2017 scheidende Platzhirsch Claus Peymann seinem Nachfolger Oliver Reese erklärtermaßen "möglichst schwer machen". An der Volksbühne tobt ein Stellungskrieg gegen den als Erben von Langzeit-Intendant Frank Castorf designierten Museumsmacher Chris Dercon. Und das Staatsballett lehnt die international renommierte Choreographin Sasha Waltz als künftige Chefin rundweg ab. An den Münchner Kammerspielen ist der Kurs des neuen Intendanten Matthias Lilienthal umstritten, drei bekannte Gesichter - Anna Drexel, Katja Bürkle und Brigitte Hobmeier - verlassen zum Saisonende das Ensemble.
MURKS AM BAU - Kaum noch zu glauben: Nach knapp zehn Jahren Bauzeit steht die Elbphilharmonie im Hamburger Hafen. Am 11. Januar 2017 ist feierliche Eröffnung. Ursprünglich sollte die "gläserne Welle" bereits 2010 fertig sein, die Kosten stiegen von 77 auf unglaubliche 789 Millionen Euro. Auch die Sanierung des Pergamonmuseums in Berlin wird massiv teurer - mit 477 Millionen Euro fast doppelt so viel wie geplant. Das 2007 vom Bundestag beschlossene Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin wird wegen der absehbaren Kostenexplosion von 10 auf 15 Millionen Euro gestoppt. In Köln steht das Schauspielhaus, eine Ikone der 60er-Jahre-Architektur, wegen des millionenschweren Sanierungsbedarfs auf der Kippe.
NOBELEHREN FÜR SÄNGER - Mit Bob Dylan bekommt erstmals ein Liedpoet den Literaturnobelpreis - eine nicht unumstrittene Entscheidung. Nach einer wochenlangen Hängepartie teilt der US-Songwriter mit, er könne den Preis wegen "anderer Verpflichtungen" im Dezember nicht selbst in Stockholm in Empfang nehmen. Nun vielleicht im nächsten Jahr. Der Schriftsteller Marcel Beyer ("Flughunde") holt sich den renommierten Georg-Büchner-Preis dagegen mit den Worten in Darmstadt ab: "Sprache ist alles. Sie versetzt mich in Euphorie." Der Deutsche Buchpreis geht dieses Jahr an Bodo Kirchhoff, Guntram Vesper gewinnt für seinen monumentalen Deutschlandroman "Frohburg" den Leipziger Buchpreis, und Sharon Dodua Otoo, in Berlin lebende Britin mit ghanaischen Wurzeln, überzeugt als neue Stimme beim Bachmann-Preis.
GOLDJUNGE FÜR FILMDRAMA - Den "Königs-Oscar" als bester Film erhält in Hollywood das auf wahren Begebenheiten beruhende Missbrauchsdrama "Spotlight" von US-Regisseur Tom McCarthy mit Mark Ruffalo. Die deutschen Oscar-Hoffnungen werden enttäuscht. Im nächsten Jahr geht die gefeierte Tragikomödie "Toni Erdmann" von Maren Ade für Deutschland ins Oscar-Rennen. Beim Deutschen Filmpreis holt der auf Tatsachen beruhende Justiz-Thriller "Der Staat gegen Fritz Bauer" von Lars Kraume die Goldene Lola, den Goldenen Bären der Berlinale bekommt die Flüchtlings-Doku "Seefeuer" von Gianfranco Rosi.
FAUST FÜR THEATERLEGENDE - Der Deutsche Theaterpreis "Der Faust" geht an den Regisseur, Schriftsteller und Filmemacher Hans Neuenfels für sein Lebenswerk. Bester Regisseur wird Frank Castorf von der Berliner Volksbühne. Als bester Schauspieler wird Edgar Selge (68) gekürt, der - zusammen mit Caroline Peters - auch schon bei der traditionellen Umfrage der Zeitschrift "Theater heute" überzeugte. Theater des Jahres werden dort gleichberechtigt die Berliner Volksbühne und das Berliner Maxim Gorki Theater.
BAYREUTH OHNE TEPPICH - Die Bayreuther Festspiele 2016 dürften als einmalig in die Geschichte des Festivals eingehen. Aus Angst vor Terror gibt es keinen roten Teppich, keinen Staatsempfang, wenig Politiker - dafür einen Zaun, schwer bewaffnete Polizisten und Taschenkontrollen. Für den aus unbekannten Gründen kurzfristig abgesprungenen Dirigenten Andris Nelsons tritt Hartmut Haenchen (73) ans Pult. Er macht es so gut, dass er auch im kommenden Jahr den "Parsifal" leiten wird. "Opernhaus des Jahres" wird in der Kritikerumfrage um sechsten Mal die Oper Stuttgart unter Intendant Jossi Wieler.
WANDELN AUF WASSER - Der Künstler Christo, der berühmte Verhüller des Reichstags, verzaubert erneut die Herzen. Seine "Floating Piers", ein rund drei Kilometer langer orangefarbener Steg auf dem italienischen Iseo-See, lockt im Sommer innerhalb von sechzehn Tagen 1,2 Millionen Besucher an. Im renommierten Ranking des britischen Kunstmagazins "ArtReview" schaffen es diesmal zwei Deutsche unter die zehn einflussreichsten Künstler der Welt - die Video-Expertin Hito Steyerl und dem Fotograf Wolfgang Tillmans. Derweil geht in Nordrhein-Westfalen die Debatte um den Verkauf von Kunst zur Sanierung öffentlicher Kassen weiter. Immerhin kauft das Land den wertvollsten Teil der Kunstsammlung der zerschlagenen Westdeutschen Landesbank (WestLB) für knapp 30 Millionen Euro an. Mit dabei auch die auf fünf Millionen Euro geschätzte Stradivari "Lady Inchiquin" - Stargeiger Frank Peter Zimmermann bekommt sein geliebtes Leihinstrument wieder zurück.
ABSCHIED UND TRAUER - Die Musikwelt verliert mit David Bowie und Leonard Cohen zwei Legenden. Der britische Rockmusiker Bowie ("Ziggy Stardust") stirbt am 10. Januar in New York an Krebs - nur zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag. Eine seiner kreativsten Phasen hatte er in den 70er Jahren in Berlin. Der kanadische Sänger und Songschreiber Cohen ("Hallelujah", "Suzanne") stirbt am 7. November mit 82 Jahren in Los Angeles. Mit "You Want It Darker" hinterlässt er ein Album düsterer Abschiedslieder. Trauer auch um Pop-Ikone Prince (57), Swing-Legende Hugo Strasser (93) und den österreichischen Stardirigenten Nikolaus Harnoncourt (86).
Von den "Brettern der Welt" verabschieden sich der raubeinige Ruhrpottbulle Schimanski alias Götz George (77), der "König von St. Pauli" alias Hilmar Thate (85) und "Liebling Kreuzberg" alias Manfred Krug (79). Bücherfreunde trauern um die Bestsellerautoren Umberto Eco (84) und Roger Willemsen (60), um den italienischen Literaturnobelpreisträger Dario Fo (90) und seinen ungarischen Preiskollegen Imre Kertész (86). Weltweite Trauer löst der Tod des Friedensnobelpreisträgers und Holocaust-Überlebenden Elie Wiesel (87) in New York aus. US-Präsident Barack Obama nennt ihn "Gewissen der Welt".
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