So nahm der Marathonlauf seinen Anfang
Historischer Überblick
Am Sonntag startet der 31. Rhein-Ruhr-Marathon in Duisburg. Was mittlerweile die Massen begeistert, fing mit dem heldenhaften Lauf eines Einzelnen an. Der jedoch noch eine ganz andere Distanz lief.
Ob es sich wirklich so zugetragen hat, kann heute keiner mehr sagen. Historisch belegt ist nur die Schlacht zwischen den Griechen und den Persern. Pheidipides liest man erst knapp 500 Jahre später in den Aufzeichnungen des Geschichtsschreibers Plutarch. Sporthistoriker halten jedoch eine frühere Version für wahrscheinlicher, niedergeschrieben von Herodot. Demnach ist Pheidipides nicht von Marathon nach Athen, sondern von Athen nach Sparta gelaufen, wo er um Unterstützung für die griechischen Truppen bitten wollte. Vorausgesetzt diese Erzählung stimmt, hat der Bote eine Strecke von gut 250 Kilometern hinter sich gebracht. Und damit eine Distanz, die wohl kaum für den Breitensport geeignet wäre.
Den Weg in den internationalen Sport schaffte die Legende erst im Jahr 1896 – anlässlich der ersten Olympischen Spiele der Neuzeit. Ein idealer Zeitpunkt, fand der französische Historiker Michel Bréal, die alte Geschichte wieder aufleben zu lassen. Ideal für Werbezwecke, mag der Begründer der modernen Spiele, Baron Pierre de Coubertin, gedacht haben, als sein Freund ihm den Vorschlag unterbreitete. Schließlich sollten die sportlichen Wettkämpfe ebenso im Gedächtnis bleiben wie der Lauf des Pheidipides. Also willigte de Coubertin ein. Der Langstreckenlauf nach historischem Vorbild wurde ins olympische Programm aufgenommen. Bréal stiftete den Pokal.
So starteten am 10. April 1896 insgesamt 18 Läufer aus vier Nationen zum ersten neuzeitlichen Marathon. Nach 3 Stunden, 18 Minuten und 27 Sekunden erreichte der Sieger schließlich das Ziel im Panathinaikon-Stadion in Athen: Spyridon Louis, ein Grieche. Als Reminiszenz an dieses Ereignis trägt das neue Olympiastadion, das anlässlich der Sommerspiele 2004 in Athen erbaut wurde, seinen Namen. Und auch für den Lauf über 40 Kilometer war ein Name gefunden. Weil das lange Rennen Sportler und Publikum gleichermaßen begeisterte, wurden fortan auch andernorts Strecken über 40 Kilometer gelaufen. Die Distanz bürgerte sich ein, bis sie sich 1908 bei den Olympischen Spielen in London als zu kurz erwies. Zu kurz? Dieser Meinung war zumindest die britische Königin Alexandra. Denn wie man die Route auch legte: Die 40 Kilometer reichten nie aus, um den Startpunkt vor ihrer Loge am Schloss Windsor mit dem Ziel im Wembley-Stadion in London zu verbinden. Darum verlängerte das Internationale Olympische Komitee der Königin zuliebe den Lauf in London auf exakt 42,195 Kilometer. Dabei dachte man an eine Ausnahme.
Beim „verlängerten Marathon“ erlebten die Zuschauer ein spannendes Finish. Denn als Dorando Pietri nach zwei Stunden und 45 Minuten ins Wembley-Stadion einläuft, trennt den Italiener nur noch eine Runde vom Triumph. Doch dann das: Seine Kraft reicht nicht. Erschöpft sackt er zusammen. Und das mehrfach. Nach neun langen Minuten schafft er die letzte Stadionrunde schließlich doch noch. Dies allerdings mit der Hilfe von zwei Sanitätern. Zwar wird seine Leistung anerkannt, der Sieg aber nicht. An seiner Stelle winkt der Amerikaner John Hayes vom obersten Treppchen. Daraufhin wurden in den USA zahlreiche Revanche-Rennen zwischen dem amerikanischen Helden und dem tragischen Pietri inszeniert, jeweils über die verlängerte Distanz von London. Bald folgten auch andere Veranstalter diesem Beispiel. Und so wurde die „einmalige Ausnahme“ im Jahr 1921 mit dem Segen des Internationalen Leichtathletikverbands zur neuen offiziellen Marathondistanz.
Bei den Olympischen Spielen im amerikanischen St. Louis 1904 erreicht der Amerikaner Fred Lorz als Erster das Ziel. Obwohl es ein heißer Tag war, ist er auffallend guter Verfassung. Sein Landsmann Thomas Hicks kommt eine Viertelstunde später – außer Atem und schweißüberströmt – ins Ziel. Lorz lässt sich feiern und posiert sogar mit der Tochter des US-Präsidenten. Dann gesteht er: Nach einem Krampf sei er einen Teil der Strecke mit dem Auto gefahren. Er wird disqualifiziert, Hicks rückt nach. Mit ihm zusammen auch die Ärzte. Sie sehen seinen Sieg als den ihren. Schließlich haben sie ihn während des Rennens mit Strychninsulfat und Brandy versorgt. Aus heutiger Sicht unvorstellbar, doch damals galt die Substanz als probates Mittel gegen Herzrhythmusstörungen. Weil es damals noch keine offizielle Dopingliste gab, wurde der Fall nicht als unerlaubte Leistungssteigerung gewertet.
Auch Kathy Switzer wurde zur Legende, als sie 1967 – geschlechtsneutral – als K.V. Switzer am Boston Marathon teilnahm. Denn Frauen waren zu jener Zeit nicht zugelassen. Als die Organisatoren ihren „Fehler“ bemerkten, versuchten sie alles, um die Startnummer 261 von der Strecke zu zerren. Jedoch ohne Erfolg: Die Amerikanerin ging als erste Marathonläuferin in die Annalen ein. Vielleicht aber zu Unrecht. Denn glaubt man Berichten, waren die Griechinnen Malpomeme und Stamathis Rovithi deutlich früher dran: 1896 beim ersten olympischen Marathon. Angeblich hat sich eine der beiden ihre Leistung sogar offiziell bestätigen lassen, um später einen besseren Ausbildungsplatz für ihren Sohn zu bekommen. Trotz dieser frühen Pionierleistungen war es doch Kathy Switzer, die den Frauen den Weg zum Langstreckenlauf ebnete. Denn sie organisierte weltweit zahlreiche Laufevents für Frauen und erhöhte so den Druck auf die Entscheidungsträger – bis diese nicht mehr auf das vermeintlich „schwache“ Geschlecht verweisen konnten und nachgeben mussten: Zunächst durften Frauen bei Europa- und Weltmeisterschaften antreten, ab 1984 auch bei den Olympischen Spielen in Los Angeles – rund 100 Jahre nachdem der Marathon olympisch geworden war.