Sie malten das nackte Leben

Ausstellung LWL-Museum

Der Titel der Ausstellung klingt nach Freikörperkultur, mit etwas Fantasie sogar nach freizügigen Orgien im Künstleratelier: "Das nackte Leben". Tatsächlich ist auch viel Haut zu sehen. Doch das ist nicht der Grund, warum die erste Ausstellung im wieder eröffneten LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster ein Glanzstück ist.

MÜNSTER

, 05.11.2014, 18:02 Uhr / Lesedauer: 2 min

Die Bilder stammen von bekannten Malern wie Francis Bacon, Lucian Freud, David Hockney und Richard Hamilton, zu sehen sind aber auch unbekannte Größen ersten Ranges wie Euan Uglow und William Coldstream. Und hier sind wahrhaft Neuheiten zu entdecken: Viele der Stücke aus den USA und Australien waren noch nie in Europa ausgestellt wie Hockneys wunderschöner zwölfteiliger Swimmingpool-Taucher aus dem Jahr 1978. Fast die Hälfte der Bilder stammt von privaten Leihgebern und war überhaupt noch nie öffentlich zugänglich. Doch auch die Zusammenstellung selbst ist einzigartig: All diese Künstler (nur vier der 16 leben noch) sind noch nie gemeinsam in einer Schau gezeigt worden – obwohl sie nach ähnlichen Vorstellungen zur gleichen Zeit in London arbeiteten, sich kannten, sogar befreundet waren und sich gegenseitig Modell standen.

Ein außergewöhnliches Künstlertreffen, mit dem das Haus hier aufschlägt, sein internationales Profil schärfen will und damit „in die Bundesliga der deutschen Museen gehört“, so LWL-Direktor Matthias Löb. Allein das Plakatmotiv ist eine atemberaubende, noch nie gesehene Schönheit: Euan Uglow beweist in seinem Bild, das er von 1971 bis 1977 malte, wie anmutig eine Diagonale sein kann – anhand einer großen, schlanken Frau, die sich nackt auf einem Klappstuhl lang macht. Man sieht sie von der Seite, den Kopf oben links, die Füße unten rechts, der Körper ist extrem straff. „Das ist ein sehr kontrolliertes Bild, das vom Verstand her kommt, der Maler hätte genauso gut ein Holzbrett nehmen können“, sagt Gast-Kuratorin Catherine Lampert aus London, die alle Künstler persönlich kannte und noch heute für einen von ihnen, den 88-jährigen Frank Auerbach, wöchentlich Modell sitzt. Zusammen mit Tanja-Pirsig-Marshall aus Münster hat sie zwei Jahren lang an der Ausstellung gearbeitet. Die Nackte auf dem Stuhl ist symptomatisch für das Anliegen der Künstler, sich nicht der Abstraktion hinzugeben: „Sie malten Personen, die ihnen nahe waren, das, was sie sahen, setzen sich mit ihrer unmittelbaren Umgebung auseinander“, so Pirsig-Marshall.

Die sechs Räume sind chronologisch sortiert, von ersten Anfängen bis zum reifen Werk. William Coldstream malt 1946 das zerstörte Nachkriegs-London, Lucian Freud 1947/48 seine junge Ehefrau im Stil der Neuen Sachlichkeit, die mit ängstlichen Augen und fassungslosem Blick eine Rose hält. Ein Bezug zum Bekanntwerden des Holocaust liegt nahe, der Künstler lehnte eine solche Interpretation allerdings ab. Grotesker wird Francis Bacon: Seine deformierten Köpfe scheinen Schreie auszustoßen, gar nicht mehr menschlich zu sein. Gemalte Albträume.

Den großen Farbrausch erlebt man im dritten Raum. Die Popkultur der 60er und 70er-Jahre grüßt, die Themen werden konkreter. Patrick Caulfield nutzt Knallgelb und Violett für sein Mädchen im Türrahmen, Kitaj prangert mit dramatisch blutrotem See Umweltverschmutzung an, Hockney zeigt in „The Room“ einen jungen Mann mit bloßem Hintern und Tennissocken. Im Jahr 1967 noch eine provokante Darstellung des homosexuellen Künstlers: Im gleichen Jahr erst wurde die Strafbarkeit von Homosexualität in Großbritannien abgeschafft. „Warum nicht das eigene Leben malen?“, fragte der Künstler Kitaj. Es klingt wie eine Ermutigung für all die Meister, die hier versammelt sind. Ein Glück, dass sie es getan haben.