Scholz zu Putin: "Verdammte Pflicht", einen Krieg in Europa zu verhindern

Ukraine-Krise

Bei seinem Antrittsbesuch in Russland will Kanzler Scholz für eine Deeskalation des Ukraine-Konflikts werben. Zuvor kündigte Moskau den Rückzug einiger Soldaten an. Ein Entspannungssignal?

Moskau

15.02.2022, 16:53 Uhr / Lesedauer: 3 min
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M) besucht das Grabmal des unbekannten Soldaten in Moskau.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M) besucht das Grabmal des unbekannten Soldaten in Moskau. © Kay Nietfeld/dpa

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht im Ukraine-Konflikt noch deutlichen Spielraum für Verhandlungen.

„Die diplomatischen Möglichkeiten sind bei weitem nicht ausgeschöpft. Jetzt muss es darum gehen, entschlossen und mutig an einer friedlichen Auflösung dieser Krise zu arbeiten", sagte Scholz am Dienstag in Moskau bei einer Pressekonferenz mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Es ist unsere verdammte Pflicht und Aufgabe, als Staats- und Regierungschefs zu verhindern, dass es in Europa zu einer kriegerischen Eskalation kommt", betonte Scholz.

„Dass wir jetzt hören, dass einzelne Truppen abgezogen werden, ist jedenfalls ein gutes Zeichen." Er hoffe, dass ein weiterer Truppenabzug folge. „Wir sind bereit, gemeinsam mit allen Partnern und Verbündeten in der EU und der Nato und mit Russland über ganz konkrete Schritte zur Verbesserung der gegenseitigen oder noch besser der gemeinsamen Sicherheit zu reden."

Scholz stellte nach dem Gespräch mit Putin erneut weitreichende Konsequenzen bei einem militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine in Aussicht. „Wir jedenfalls wissen, was dann zu tun ist", betonte er. „Und mein Eindruck ist, dass das auch alle anderen ganz genau wissen." Zur Rolle von Nord Stream 2 in dem Konflikt sagte Scholz: „Was die Pipeline selber betrifft, wissen alle, was los ist."

Man habe sich verpflichtet, sicherzustellen, dass der Gastransit in Europa funktioniere – „über die Ukraine, über Belarus und Polen, mit Nord Stream 1, insgesamt entsprechend der Vereinbarungen, die wir haben", sagte Scholz. „Und dafür werden wir auch Sorge tragen."

Vor dem Beginn des Gesprächs hatte Moskau erklärt, mit dem Abzug erster Truppen im Süden und Westen des Landes beginnen zu wollen. Zugleich gab es neue Verstimmungen wegen einer Resolution des russischen Parlaments über eine mögliche Anerkennung der von prorussischen Separatisten kontrollierten ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk als „Volksrepubliken".

Nach beendeten Manövern sollten erste Soldaten noch am Dienstag in ihre ständigen Stützpunkte zurückkehren, sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Andere Manöver liefen aber weiter – auch im Nachbarland Belarus. Konaschenkow betonte, dass Russland einen „Komplex von großangelegten Maßnahmen zur operativen Ausbildung von Truppen und Streitkräften" fortsetze.

Zeichen möglicher Entspannung

Dennoch wurde das Vorgehen als möglicher Schritt der Entspannung gewertet. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, schrieb im sozialen Netzwerk Telegram: „Der 15. Februar 2022 wird als Tag des Sсheiterns der westlichen Kriegspropaganda in die Geschichte eingehen." Der Westen habe sich blamiert. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hingegen meinte: „Erst wenn wir einen Abzug sehen, dann glauben wir an eine Deeskalation." Zugleich betonte er, Russland sei von einer Eskalation der Lage abgehalten worden.

Die USA und Europa hatten auf die russischen Manöver äußerst besorgt reagiert. Die USA befürchten, dass die Truppenbewegungen sowie ein Aufmarsch Zehntausender Soldaten entlang der ukrainischen Grenze der Vorbereitung eines Krieges dienen. Russland weist das zurück.

Die Ukraine-Krise dürfte bei Scholz' Antrittsbesuch alle bilateralen Konflikte zwischen Berlin und Moskau überlagern. Für das Treffen im Kreml waren mehrere Stunden angesetzt. Scholz hatte bereits bei seinem Besuch am Montag in Kiew erklärt, dass er bei Putin für eine Deeskalation in der Krise werben wolle. Der Aufmarsch von Zehntausenden russischen Soldaten entlang der ukrainischen Grenze sei „nicht nachvollziehbar", meinte der SPD-Politiker.

Scharfe Sanktionen möglich

Zugleich warnte er Russland erneut vor einem Überfall auf die Ukraine und betonte, dass die EU und die USA für diesen Fall Reaktionen vorbereitet hätten. Dabei geht es um die bisher schärfsten wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland in der Krise überhaupt. US-Präsident Joe Biden hatte erklärt, dass eine russische Invasion in der Ukraine auch das Aus für die Ostseepipeline Nord Stream 2 bedeuten würde. Scholz selbst hatte von einer „sehr, sehr ernsten Bedrohung des Friedens in Europa" gesprochen.

Vor seinem Besuch lehnte Scholz es ab, sich von russischer Seite auf Corona testen zu lassen. Stattdessen entschied sich der SPD-Politiker dafür, den für den Zutritt zum Kreml erforderlichen PCR-Test nach seiner Landung in Moskau von einer Ärztin der deutschen Botschaft vornehmen zu lassen. Die russischen Gesundheitsbehörden seien eingeladen worden, bei dem Test dabei zu sein, hieß es aus dem Umfeld des Kanzlers. Ein Testgerät sei aus Deutschland mitgeführt worden.

Kremlsprecher Dmitri Peskow meinte, dass die Ablehnung des Tests keine Auswirkung habe auf die Gespräche im Kreml. Es gehe um reine Vorsichtsmaßnahmen, der Abstand zwischen Putin und Scholz sei deshalb größer als sonst üblich. „Aber das beeinflusst weder den Charakter des Treffens noch die Inhalte oder die Dauer", sagte Peskow.

Sechs Meter trennen Scholz und Putin

Scholz nahm gegenüber Putin deshalb am anderen Ende eines sechs Meter langen, weißen Tisches Platz, ebenso wie vor wenigen Tagen bereits der französische Präsident Emmanuel Macron. Auch Macron hatte bei seinem Besuch in Moskau einen russischen PCR-Test abgelehnt.

Noch vor Beginn des Treffens von Scholz und Putin stimmte das russische Parlament mit großer Mehrheit für eine Resolution, der zufolge der Kremlchef über eine Anerkennung der abtrünnigen ostukrainischen Regionen Luhansk und Donezk als „Volksrepubliken" entscheiden soll. Der Kreml teilte mit, dass die Staatsduma den Willen des russischen Volkes widerspiegele. Aber in der Sache gebe es noch keine Entscheidung, betonte ein Sprecher.

Die Ukraine warnte Russland vor einem solchen Schritt. „Im Falle der Anerkennung tritt Russland de facto und de jure aus den Minsker Vereinbarungen mit allen Begleiterscheinungen aus", sagte Außenminister Kuleba in Kiew vor Journalisten. Der unter deutsch-französischer Vermittlung 2015 vereinbarte Friedensplan von Minsk, der Hauptstadt von Belarus, sieht eine Wiedereingliederung der prorussischen Separatistengebiete in die Ukraine mit weitreichender Autonomie vor.

dpa

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