Schnelltests, Impfen, Notbremse: Wird der Strategiewechsel die dritte Welle bremsen?

Coronavirus

Wissenschaftler und Intensivmediziner begrüßen die Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen bis zum 28. März - haben aber Bedenken bezüglich der Öffnungsstrategie. Die Lage sei fragil.

04.03.2021, 15:56 Uhr / Lesedauer: 4 min
Wissenschaftler und Intensivmediziner haben Bedenken bezüglich der Öffnungsstrategie.

Wissenschaftler und Intensivmediziner haben Bedenken bezüglich der Öffnungsstrategie. © picture alliance/dpa

Es ist ein Wagnis. Trotz steigender Infektionszahlen und bald dominanter B.1.1.7-Variante in Deutschland haben sich Bund und Länder auf einen Stufenplan mit Öffnungsperspektiven gekoppelt an Inzidenzen geeinigt. Schnelltests und beschleunigte Impfungen sollen deshalb dabei helfen, eine in Modellrechnungen von Wissenschaftlern als realistisches Szenario erachtete dritte Infektionswelle zu verhindern. Kann das gelingen?

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Epidemiologen, Virologen und Intensivmediziner begrüßen grundsätzlich die Verlängerung des Lockdowns bis zum 28. März. Auch der Fokus auf beschleunigtes Impfen und das Ausweiten der Teststrategie mit Schnelltests, Selbsttests und PCR-Tests für alle sei sinnvoll. Gleichzeitig gibt es aber Bedenken, dass Lockerungen in dieser fragilen Situation zu früh kommen.

Der SPD-Politiker und Epidemiologe Karl Lauterbach schrieb bei Twitter: „Gut ist: Impfintervalle strecken, Astra für Ältere. Auch gut: freie Schnelltests kommen. Die Teststrategie in Schulen und Betrieben ist aber unklar, weil die nötigen Schnelltests noch fehlen.“ Er sei aber sehr besorgt, weil dieser Beschluss das Anlaufen der dritten Infektionswelle zum wahrscheinlichsten Szenario werden ließe.

„Es kann sogar sein, dass das Terminshopping und Außengastro kurz anläuft. Aber spätestens Anfang April liegt die Inzidenz über 100 und das Intermezzo ist beendet“, prognostiziert Lauterbach. Wichtig sei die Notbremse ab einer Inzidenz von 100. Spätestens Anfang April sei diese wahrscheinlich erreicht, der Weg bis dahin koste viele Covid-Fälle und bringe wahrscheinlich auch der Wirtschaft wenig.

Intensivmediziner rechnen mit wieder mehr Covid-19-Erkrankten

Der von Bund und Ländern beschlossene Wechsel in Richtung Öffnungsstrategie erfolge drei Wochen zu früh, findet auch Prof. Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi).

„Die Sorge ist, dass wir deutlich steigende Zahlen an Neuinfektionen – und damit mit einem zeitlichen Versatz von 10 bis 14 Tagen – an Intensivpatienten mit Covid-19 haben werden, also in eine dritte Welle rutschen“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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Der von Bund und Ländern beschlossene Strategiewechsel in Richtung Öffnung vor dem 1. April sei mit Sorge zu betrachten. Als Gründe für seine Einschätzung nannte Marx steigende Infektionszahlen, eine Rate der B.1.1.7-Mutante von inzwischen 46 Prozent unter den positiven Tests und einen R-Wert von 1,01 bereits bei aktuellen Maßnahmen. Das Risiko sei hoch, dass durch die Virusmutation der R-Wert über 1,2 steigt „und wir wieder in ein exponentielles Wachstum geraten“, fürchtet der Intensivmediziner.

„Wir hoffen, dass die beschlossenen Notbremsen ausreichen und denken, dass neben der Inzidenzrate der Fokus auch auf die Entwicklung des Reproduktionswertes gerichtet sein muss, um rechtzeitig die Öffnungen zurückzunehmen, um eine hohe dritte Welle zu verhindern.“ Diese treffe nicht nur intensivpflichtige Patienten. Es sei auch zu verhindern, dass noch viele Menschen kurz vor der Impfung Coivd-19 bekommen – mit leider häufigen Langzeitfolgen.

Stufenplan realistisch? Corona-Infektionen auf hohem Niveau

„Wir sind in einem sehr instabilen Zustand“, sagte der Epidemiologe Prof. Timo Ulrichs von der Akkon-Hochschule in Berlin in einer „phoenix-Runde“ vom Mittwochabend.

„Wir müssen uns immer noch vor Augen halten, dass wir uns auf einem Niveau bewegen, wo wir weit oberhalb der Spitze der ersten Welle sind.“ Es könne deshalb auch sein, dass man sich schnell wieder von Stufenplänen verabschieden müsse, so Prof. Ulrichs. Es sei sinnvoll, bis zum 28. März noch weiter mit Lockdown-Maßnahmen durchzuhalten, „damit wir nicht in den nächsten Wochen unnötig Opfer riskieren“.

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„Das ist aus rein virologischer Sicht kein sehr geeigneter Zeitpunkt über nennenswerte Lockerungen der Lockdownmaßnahmen zu diskutieren – entsprechend wundert mich die Entscheidung nicht, den Lockdown bis Ende des Monat zu verlängern“, sagte der Virologe Marco Binder dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Seine Sorge sei die aktuell „fragile Situation“. Die derzeit wieder steigenden Fallzahlen - beziehungsweise die Meldeinzidenz - lägen über den meisten Schätzungen von Modellrechnungen - selbst wenn man die rasche Verbreitung der britischen Variante B.1.1.7 mit einbeziehe.

Testoffensive für das Aufspüren Infizierter ohne Smyptom

„Die Frage ist: Was brauchen die Menschen jetzt gerade dringend? Wonach sehnen sie sich?“, kommentierte hingegen der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit die Beschlüsse auf Twitter.

„Dort muss man sie abholen, ihnen ein Angebot machen, das mit besserer Virenkontrolle verknüpft wird.“ Schüler sehnten sich nach ihren Klassenzimmern, Eltern nach offenen Kitas, so viele Menschen hätten gern ihr Leben als Ladenbesitzer oder Kulturschaffender zurück. „All das kann mit einer konsequent geplanten Testoffensive möglich sein“, urteilt er.

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Auch Virologe Binder begrüßt das Vorhaben flächendeckend zum Einsatz kommender Schnelltests. Sie könnten einen zentralen Baustein darstellen in der Kontrolle des Pandemiegeschehens. „Aber wir sollten auch nicht zu große Hoffnungen in sie setzen. Sie sind kein Allheilmittel.“

Die Tests könnten vor allem ahnungslose Virenträger, die in ihrem alltäglichen Umfeld Menschen anstecken - aufspüren. Bei noch knapper Verfügbarkeit sollten ihm zufolge Schulen, Tageseinrichtungen und Arbeitsstätten prioritär versorgt werden und die Tests optimalerweise zwei Mal die Woche zum Einsatz kommen.

Die Lockerung der Kontaktbeschränkungen im Privaten – dass sich von nun an also wieder zwei Haushalte mit insgesamt bis zu 5 Personen über 14 Jahren treffen können – sei auch Binder zufolge ein nachvollziehbarer Schritt.

„Für sinnvoll halte ich allerdings, dass diese Regelung mit einer sogenannten Notbremse versehen wurde, sodass die Kontaktbeschränkungen automatisch wieder auf die aktuelle Regelung verschärft werden, sobald die 7-Tage-Inzidenz über 100 steigt.“ Angesichts der raschen Verbreitung der britischen Variante sei es nicht auszuschließen, dass ein Mehr an privaten Kontakten ein Emporschnellen der Fallzahlen zur Folge haben könnte.

Impfen, impfen, impfen: Bald auch beim Hausarzt

Die Ausweitung der Impfkampagne auf niedergelassene Ärzte beurteilt Binder als sehr hilfreich, um die bereits verfügbaren Impfdosen möglichst schnell und effizient an alle berechtigten Impfwilligen zu verteilen. „Insbesondere auch jene, für die der logistische Aufwand für eine Impfung in einem zentralen Impfzentrum zu hoch war.“

Die neue Impfverordnung mit Einbeziehung der Hausärzte, einem besseren Nachrückermanagement, der möglichen Zulassung von Astrazeneca auch für ältere Patienten und vor allem mehr Impfdosen begrüßen auch die Intensivmediziner. „Das alles führt zu einer möglichst hohen Impfrate, wie von der Divi gefordert und ist der Weg, die Pandemie zu bewältigen“, sagt Marx.

Auch die Kombination der Lockerungen mit einer deutlich umfangreicheren Teststrategie sei ein guter Weg, um neue Infektionsherde schnell zu erkennen und zu bannen – auch in den Schulen. Marx appellierte erneut daran, als Bürger diszipliniert zu bleiben. Es sei wichtig, weiter Abstand zu halten, zu lüften, Hygieneregeln zu beachten, medizinische Masken zu tragen, Kontakte zu vermeiden und sich impfen zu lassen.

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