Sarah Connor: "Ich ziehe mir jeden Moment rein"
Interview zum Comeback
Sarah Connor nahm mit 19 ihre ersten Songs auf und wurde auf Anhieb ein Star in Deutschland, Europa und sogar ein bisschen in Amerika. Mehr als sieben Millionen Platten hat Sarah Connor bislang verkauft. Heute ist sie 35, dreifache Mutter und schreibt erstmals eigene Songs auf Deutsch mit gesellschaftspolitischen Botschaften. In dem Album „Muttersprache“ reflektiert sie ihr Leben und stellt sich essenzielle Fragen.

Es war lange ruhig um Sarah Connor. Jetzt meldet sie sich mit neuem Album zurück.
Kann man als Künstler eine Neuerfindung riskieren, ohne die Glaubwürdigkeit zu verlieren?
Ich musste mich gar nicht neu erfinden, ich musste nur einmal ich sein! Mir ging es gar nicht bewusst ums Neuerfinden, sondern eher um Entwicklung. Darum, was ich die nächsten zehn Jahre mache. Ich habe eine sehr erfolgreiche Popkarriere durchlaufen, irgendwann wollte ich aber mehr Tiefe, Inhalt und Handwerk. Deshalb fing ich im letzten Jahr an, in meiner Muttersprache zu schreiben.
Warum klingt die Musik auf Ihrem Album „Muttersprache“ so melancholisch?
Es sind nicht die glücklichen Momente, aus denen heraus meine Songs entstehen, sondern Situationen, die mich emotional aufreiben. Das kann etwa eine Begegnung in einem Flüchtlingsheim sein. Ich schreibe über Dinge, die mich nachts wach halten. Das muss nicht immer schwermütig sein, aber solche Dinge beschäftigen mich oft.
Sie engagieren sich für Flüchtlinge in Deutschland. Wen haben Sie in Flüchtlingsheimen getroffen?
Schwer traumatisierte Familien. Väter, die ihre Kinder zu Fuß aus dem Irak hierher gebracht haben, weil sie in kein Flugzeug steigen konnten. Menschen, die auf Booten flüchteten und jetzt in Camps hausen. Ich habe einen syrischen Vater kennengelernt, dessen Tochter aufgrund einer chemischen Bombe behindert ist.
Solche Begegnungen machen mich ernster. Wir sitzen hier in der Sonne und trinken Kaffee, aber nur ein paar Kilometer von hier – in Spandau – ist eines der schlimmsten Flüchtlings-Camps überhaupt. Viele dieser Geschichten rauben mir den Schlaf, aber in den Lagern erlebe ich auch Positives. Die Berührungsängste hierzulande gegenüber diesen Menschen verstehe ich überhaupt nicht, sie haben ihre Heimat ja nicht freiwillig verlassen.
Was können Sie für Migranten konkret tun?
In erster Linie kann ich über ihre Situation sprechen und für mehr Nächstenliebe werben. Das fängt im kleinsten Kreis an. Und dann kenne ich mittlerweile ein paar Leute, die sich sehr stark für Flüchtlinge engagieren. Zum Beispiel Heinz Ratz. Er ist mit dem Rad durch die Camps in Deutschland gefahren und hat die Band The Refugees aus Flüchtlingen gegründet, die sogar schon eine Tournee gemacht haben. Mit ihnen habe ich schon einige Konzerte gespielt. Haben Sie als erfolgreicher Mensch das Gefühl, etwas der Gesellschaft zurückgeben zu müssen?
Das ist so ein Klischee. Ich sage ganz klar zu meinen Kindern, wie privilegiert wir aufgrund unserer Herkunft sind. Bei uns in Deutschland gibt es Meinungs- und Religionsfreiheit. Wir haben ein Dach über dem Kopf und verfügen über ein schützendes Sozialsystem. Aber das System ist auch sehr fragil. Nur ein paar Kilometer weiter sieht es mit den Grundrechten ganz anders aus.
In „Das Leben ist schön“ singen Sie darüber, wie Sie einmal von dieser Welt Abschied nehmen wollen. Was gab Anlass, über den eigenen Tod zu schreiben?
Ich setze mich viel mit dem Tod auseinander. Ich weiß noch, wie ich an einem sonnigen Tag durch Berlin fuhr und im Autoradio der Song „I Was Here“ von Beyoncé lief. In dem Moment ging mir durch den Kopf, wie würde ich eigentlich meine eigene Beerdigung wollen? Daraufhin haben wir zusammen einen lebensbejahenden Song geschrieben, auch wenn das Thema von meinem Tod handelt. Die Botschaft lautet: „Feiert das Leben“.
Wie finden Ihre Kinder den Song?
Sie hassen ihn! Darum ist er auch der letzte auf der Platte. Meine Kinder sind meine erste Instanz, manche Songs wählen sie sehr schnell ab. Ich habe ihnen genau erklärt, warum ich den Song unbedingt machen wollte und da gab es auch ein paar Tränen. Auch mein Mann brauchte lange, bis er ihn sich anhören konnte. Aber inzwischen versteht meine Familie, dass solche Songs zu meinem künstlerischen Selbstverständnis gehören. Weil sie etwas bewegen und vielleicht auch anderen Menschen helfen. Bei meiner Charity-Arbeit habe ich Mütter kennengelernt, die durch Krankheit ihre Kinder verloren haben. Auch für sie ist dieser Song.
Bei den deutschen Songs war es Ihr Ansinnen, die echte und aufrichtig ehrliche Emotionalität Ihrer Stimme einzufangen. Haben Sie rückblickend das Gefühl, dass Ihnen dies bei Ihren englischen Platten nicht gelungen ist?
Ich würde nicht sagen, dass meine Musik früher unaufrichtig war. Ich habe damit viele Menschen erreicht, weil es meine Gefühle waren. Die Inhalte hatten aber nichts mit mir privat zu tun. Diesmal sind es meine Worte. Früher hatte ich Leute, die für die ganze Bandbreite meiner Stimme Songs mit großen Melodien und großen Zeilen schrieben. Und ich bin meinen Jungs von damals unendlich dankbar für diese vielen wunderbaren Songs. Dennoch ist meine Motivation heute eine andere: Die Melodien sind sanfter, weniger aufdringlich und schmeicheln den Texten. Nichts sollte sich profilieren. Ich habe die Klänge erst nach den Worten gesucht.
In „Augen auf“ stellen Sie sich die Frage, wie weit Liebe tragen kann. Darin heißt es: „Und wenn sie wieder marschieren und mit Parolen unsere Liebe zensieren.“ Wie kam es zu dieser Zeile?
Sie kam in dem Austausch mit Ulf Leo Sommer und Peter Plate auf. Wir reden viel über Politik und Gesellschaft. Die Initialzündung für „Augen auf“ war eigentlich das Flüchtlingsthema. Und vor zwei Jahren war ich für Konzerte in Russland und trug genau an dem Tag, als das Anti-Homosexuellen-Gesetz erlassen wurde, ein T-Shirt, auf dem sich Batman und Robin küssen.
Das gilt dort als Schwulenpropaganda und ist eigentlich verboten. Mit meiner vorlauten Klappe bin ich in Russland schon öfter in heikle Situationen gekommen. Ich kann sehr trotzig sein, aber ich habe drei Kinder zu Hause und am Ende siegte dann die Vernunft. Es gibt viele Wege, Dialoge auszulösen. Letztlich ist das der Auftrag eines Künstlers.
Was bedeutet es für die Psyche, wenn man mit 20 ein Popstar wird?
Ich habe keinen Vergleich, aber man wird auf jeden Fall schneller erwachsen. Ich bin mit 16 ausgezogen. Mit 19 habe ich meinen Plattenvertrag unterschrieben und der Pop-Zirkus hat mich verschlungen. Irgendwann habe ich die Quittung bekommen, spätestens als meine erste Ehe zu Ende ging und ich vor einem Scherbenhaufen stand.
Wo stehen Sie heute, zehn Jahre nach der spektakulären Fernsehhochzeit mit Marc Terenzi?
Ich sitze hier in der Sonne, trinke ein Wasser und freue mich über meine Platte, die ich selbst gemacht habe und darüber, dass ich noch hier bin. Was vor zehn Jahren gewesen ist, erscheint mir heute als total unwichtig. Ich habe drei Kinder, eines davon ist herzkrank geboren und ihre Gesundheit macht mir immer noch Sorgen. Ich ziehe mir jeden Moment rein, den ich mit ihr habe und nichts ist selbstverständlich.