„Ich stehe für Achtung vor den Lebensleistungen“

Bundestagswahl 2021

Eigentlich sollte man meinen, dass sich Biathlet Frank Ullrich als Olympiasieger und späterer Bundestrainer im Alter von 63 Jahren auf seinen Ruhestand vorbereitet. Doch er will viel mehr...

Recklinghausen

, 11.08.2021, 13:55 Uhr / Lesedauer: 3 min
Immer noch in Topform: Der 63-jährige Frank Ullrich kandidiert für die SPD in und um die Recklinghäuser Partnerstadt Schmalkalden.

Immer noch in Topform: Der 63-jährige Frank Ullrich kandidiert für die SPD in und um die Recklinghäuser Partnerstadt Schmalkalden. © Jörg Gutzeit

Frank Ullrich will in den Bundestag. In die lokale Politik hat er schon vor Jahren als Stadtrat im thüringischen Suhl hineingeschnuppert, 2019 hat er als Parteiloser im Auftrag der SPD für den Landtag kandidiert, jetzt soll es der Bundestag werden – als ordentliches SPD-Mitglied, das er seit Februar dieses Jahres ist.

Und interessant ist der Kandidat Ullrich gleich in mehrfacher Hinsicht: Als ehemaliger Weltklasse-Sportler (u. a. auch neunfacher Weltmeister und vierfacher (!) Gesamtweltcupsieger), als direkter Kontrahent des auch in der CDU umstrittenen Hans-Georg Maaßen, dem vorzeitig in den einstweiligen Ruhestand versetzten ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, und als einer, der nur einen Katzensprung von Schmalkalden, der Recklinghäuser Partnerstadt, entfernt aufgewachsen ist.

In diesen Tagen war er zusammen mit seiner Ehefrau Katrin als Gast des hiesigen Bundestagsabgeordneten Frank Schwabe in Recklinghausen, und den ehemaligen Sportler kann der drahtschlanke Ullrich nicht verleugnen.

Herr Ullrich, ist das Ihr erster Besuch in Recklinghausen?
Frank Ullrich: Ja, das ist der erste Besuch hier, aber es ist mir ein echtes Bedürfnis, weil Frank Schwabe mich auch unterstützt im Wahlkampf. Erst neulich war er mit einem Team von 20 Leuten bei uns.

Frank Schwabe: Und das war schon beeindruckend, wie wir dort erlebt haben, über welche persönlichen Kontakte Frank Ullrich verfügt. Er wurde quasi an jeder Ecke aufgehalten, hier mal für ein Foto oder ein Autogramm oder für einen Gruß.

Wie sind sie denn überhaupt zur Politik gekommen, Herr Ullrich?

Ullrich: Das ist mit den Jahren gewachsen. Ich bin immer mal wieder gefragt worden, ob ich mich engagieren will, und irgendwann kam der Zeitpunkt, an dem ich gesagt habe: Okay, ich mach‘ mit. Erst als Stadtrat in Suhl, dann im Landtagswahlkampf. Eigentlich war ich mit Platz zwei gar nicht so unzufrieden (es gewann hauchdünn René Aust von der AfD, d. Red.), doch dann hat mich die Niederlage doch gewurmt, weil man von dem Kerl danach nichts mehr gehört hat. Das geht einfach nicht.

Schwabe: Man muss aber auch sehen, dass Frank Ullrich als Person über 23 Prozent bekommen hat, während die SPD nur bei zehn Prozent lag. Das ist schon außergewöhnlich.

Ullrich: ...was aber auch daran lag, dass der Zusammenhalt in der thüringischen SPD nicht sonderlich gut war. Ich will eine SPD, wie ich sie von früher kenne. Respekt für den Menschen und Einsatz für die arbeitende Bevölkerung sind ein Muss. Und ich stehe auch für die Achtung vor den Lebensleistungen. In Thüringen ist vor 30 Jahren vieles kaputt gegangen, eine Stadt wie Suhl hat nach 1990 die Hälfte der Einwohner verloren.

Schwabe: Wir haben damals versucht, Brücken zu bauen, aber das hat nicht gereicht. Wir müssen als Partei da sein, wo es kompliziert ist. Es ist doch klar, dass die Leute sagen: ,Was interessiert mich die Sch...-Demokratie?‘, wenn sie nicht wissen, wie die Grundbedürfnisse gestillt werden können. Davor muss man Respekt haben, wir dürfen die Leute nicht einfach zurücklassen.

Sind die neuen Bundesländer immer noch in einer besonderen Situation?

Ullrich: Ja, ganz sicher. Bei vielen Bürgern im Osten sitzt der Frust immer noch tief. Dieses Gefühl, dass sie nichts wert sind, ist nicht weg. Es hat sich viel getan im ostdeutschen Raum, aber man ist dort immer noch ein wenig zurück. Aber wir haben gestaunt: Als wir hierher gekommen sind, haben wir gesehen, dass der Dieselpreis hier viel günstiger ist.

Dabei ist die Bundespolitik eventuell noch eine ganz andere Nummer. Haben Sie keine Angst vor dem „Haifischbecken“ Berlin?

Ullrich: Eigentlich nicht. Ich gehe auf die Leute zu und habe damit gute Erfahrungen gemacht. Und wenn es ums Taktieren geht, dann kann ich nur sagen: Das gibt es auch im Sport. Sicher ist: Ich werde mich nicht verbiegen. Und natürlich weiß ich, wie Politik manchmal läuft: Wir haben schon vor einiger Zeit Lüftungsgeräte für die Schulen gefordert, doch davon wollte zu dem Zeitpunkt niemand etwas wissen. Jetzt sind sie in aller Munde.

Nun haben Sie in Ihrem Wahlkreis mit Hans-Georg Maaßen einen Gegner, der Fluch und Segen zugleich sein kann.
Ullrich: Erst einmal sagt auch der Sportler in mir, dass alle Gegner stark sind. Man muss sich konzentrieren, und zwar bis zum letzten Tag. Bei dem von Ihnen angesprochenen Herrn war ich anfangs schon überrascht, dass er überhaupt dort antritt. Er kommt ja eigentlich aus Mönchengladbach.

Der hiesige Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe hatte Frank Ullrich nach Recklinghausen eingeladen.

Der hiesige Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe hatte Frank Ullrich nach Recklinghausen eingeladen. © Jörg Gutzeit

Schwabe: Maaßen ist auch nur der Lückenbüßer in der CDU für den wegen der Maskenaffäre zurückgetretenen Mark Hauptmann.

Ullrich: Leider gibt es in Thüringen Gerüchte, dass landesweit bekannte Rechte für Maaßen stimmen wollen. Und das wäre ein herber Rückschlag für die Demokratie.

Schwabe: Eigentlich müssten die anständigen Leute in der CDU, und die gibt es ja reichlich, zumindest ihre Erststimme für Frank Ullrich geben.

Und dann war da noch die Frage an Frank Ullrichs Ehefrau Katrin, ob sie denn bereit wäre, ihren Mann im Erfolgsfall nach Berlin gehen zu lassen. Ihre erstaunte Antwort: „Den habe ich doch schon immer gehen lassen. Sie glauben doch wohl nicht, dass der als aktiver Sportler und Trainer oft zu Hause war.“