“Politik ermöglicht Profite auf Kosten der Gesundheit“

Nichtraucherschutz in NRW

Ute Mons ist so etwas wie Deutschlands oberste Anti-Tabak-Lobbyistin. Sie leitet die Stabsstelle Krebsprävention beim Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Ein Gespräch über Tabak-Lobbyisten, eigene Raucherfahrungen und den kuriosen Fakt, dass Shisha-Bars in Nordrhein-Westfalen immer noch erlaubt sind.

Dortmund

, 06.04.2018, 15:10 Uhr / Lesedauer: 6 min
Ute Mons leitet die Stabsstelle Krebsprävention beim Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Ute Mons leitet die Stabsstelle Krebsprävention beim Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. © dpa

2017 wurde in NRW gewählt. Die CDU und die FDP haben  im Wahlkampf versprochen, dass sie die strikten Rauchverbote wieder lockern wollen. Was haben Sie da gedacht?

Ich habe mich natürlich sehr geärgert. Das wäre ein deutlicher Rückschritt gewesen. Man braucht Rechtssicherheit, was den Nichtraucherschutz angeht. Auch viele Gastronomiebetriebe haben gesagt, als das Gesetz 2013 in Kraft getreten ist: Wir brauchen eine Entscheidung, dann soll es so bleiben und dann können wir damit leben. Und in Nordrhein-Westfalen hatte sich auch die Bevölkerung schon an die Situation gewöhnt und wusste es auch zu schätzen, in rauchfreien Räumen Essen und Trinken zu dürfen. Das war sicherlich ein enormer Gewinn für die Gesundheit der Bevölkerung. Das daran wieder gedreht werden sollte, ja sogar ein Rückschritt gemacht werden sollte, das war für mich überhaupt nicht verständlich.

Sie haben dann sofort reagiert und eine Umfrage in der Bevölkerung gemacht, denn die entscheidende Frage war ja: Was wünscht sich eigentlich die Bevölkerung?

Wir wussten aus Bayern, dass die Zustimmung in der Bevölkerung recht groß ist, wenn ein solch umfassendes Gesetz erstmal eine Weile in Kraft ist. Wir wollten wissen, ob das in NRW auch so ist. Wir wollten der Politik dann eine Handreichung mit auf den Weg geben, was aus Sicht der Krebsprävention ein sinnvoller Weg ist.

Das Ergebnis war eindeutig: 69,1 Prozent der Bürger sprachen sich für eine Beibehaltung des strikten Rauchverbots aus. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Dehoga NRW hingegen trommelte erneut gegen das Rauchverbot, sprach wieder vom Rauchverbot als Kneipentod.

Das hängt offenbar stark damit zusammen, wer da gerade das Sagen hat. Das erste Rauchverbot in Bayern war ja das strikteste in Deutschland, und das ist maßgeblich auf Drängen des dortigen Dehoga zustande gekommen, was uns sehr überrascht hat. Der dortige Leiter hat damals gesagt, wenn wir schon Nichtraucherschutz machen, dann richtig. Dann wollen wir nicht einzelne Betriebe diskriminieren. Für mich ist das schwer verständlich. Mein Eindruck ist, dass die nach jedem Strohhalm greifen, der sich ihnen bietet. Es gibt ja viele verschiedene Ursachen, die beim Kneipensterben eine Rolle spielen. Das Sterben hat ja lange vor dem Rauchverbot eingesetzt. Es ist absurd, die Rauchverbote dafür verantwortlich zu machen. Aber es ist halt auch relativ einfach, im Gegensatz zu anderen schwerer greifbaren Entwicklungen.

Haben Sie selbst mal geraucht?

Ja. Ich gehöre zu der Generation, wo 30 bis 40 Prozent aller Jugendlichen geraucht haben. Das war in der Schule relativ verbreitet und ich habe auch einige Jahre geraucht.

Warum haben Sie aufgehört?

Das hatte tatsächlich gesundheitliche Gründe. Ich habe Asthma entwickelt und habe so sehr deutlich zu spüren bekommen, dass Rauchen meiner Gesundheit schadet. Mein Glück: Ich war nie wirklich abhängig. Ich gehöre zu den Glücklichen, die nur Gelegenheits- und Partyraucher waren. Es fiel mir dann auch nicht so schwer, mit dem Rauchen aufzuhören. Und die Rückfälle, die damals noch von Zeit zu Zeit hatte, waren nicht so dramatisch.

Davon kann ich als ehemaliger starker Raucher ein trauriges Lied singen. Die Rückfälle ereilen mich besonders beim Fußballgucken im Stadion und auf Partys. Meine Schwester ist Ärztin. Die sagt immer, wenn es keine Zigaretten und keinen Alkohol gäbe, dann gäbe es auch keine Krankenhäuser mehr …

Ja, da ist was dran. Beim Lungenkrebs ist das enorm. Das ist eine der häufigsten Krebsarten, die wir haben – und in 80 bis 90 Prozent der Fälle ist Rauchen die Ursache. Das ist eine Krebserkrankung, die wir fast gar nicht hätten, wenn es keine Raucher gäbe.

Welche Krankheiten lassen sich noch eindeutig auf das Rauchen zurückführen?

Neben dem Lungenkrebs gehört auch COPD dazu. Das ist eine richtig schwere Lungenerkrankung. Betroffene könne am Ende nur noch wenige Schritte gehen, wenn überhaupt, weil die Lunge so hochgradig geschädigt ist, dass sie keinen Sauerstoff mehr bekommen.  Das ist hochdramatisch, diese Menschen haben dann richtige Erstickungsanfälle. Das sind die beiden Haupterkrankungen, die auf das Rauchen zurückzuführen sind und die wir in der Bevölkerung kaum hätten, wenn es das Rauchen nicht gäbe. Daneben gibt es viele Krankheiten, bei denen Raucher ein erhöhtes Risiko haben, daran zu erkranken: Dazu gehören Herz-Kreislauferkrankungen, Schlaganfall und elf weitere Krebsarten, die durch das Rauchen verursacht werden. Darunter auch welche, bei denen man das auf den ersten Blick nicht denken würde wie zum Beispiel Darm-, Leber- oder Nierenkrebs. 

Wie viele Menschen sterben jährlich durch das Rauchen?

Etwa 120.000 Todesfälle im Jahr sind in Deutschland auf das Rauchen zurückzuführen.

Sind da auch Passivraucher bei? Kann man das festmachen?

Ein Großteil der Schadstoffe im Tabakrauch entsteht beim Verbrennen. Es gibt dabei zwei Arten von Rauch: Erstens das, was der Raucher inhaliert, der durch die Lunge gefiltert und dann wieder rausgepustet wird, nennt sich Hauptstromrauch.  Und dann gibt es noch den Rauch der Zigarette in er Hand oder wenn die Kippe im Aschenbecher vor sich hin glimmt. Dieser sogenannte Nebenstromrauch ist tatsächlich von der Konzentration der Schadstoffe her noch schädlicher als der, den der Raucher inhaliert. Der wird aber noch mit der Raumluft verdünnt, sodass letztendlich das, was der Raucher sich in die Lunge zieht, wesentlich konzentrierter ist. Nichtsdestotrotz haben Passivraucher – und das ist belegt – ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen und Lungenkrebs. Bei lebenslangen Nichtrauchern mit einer hohen Passivrauchbelastung am Arbeitsplatz – also zum Beispiel Mitarbeitern in der Gastronomie – ist die Lungenkrebsrate höher als bei anderen.

Hat der Nichtraucherschutz in Nordrhein-Westfalen noch Lücken – zum Beispiel mit Blick auf Shisha-Bars?

Aufgrund von juristischen Entscheidungen, dass in Wasserpfeifen Dampfsteine und Pasten verbrannt werden dürfen, aber kein Tabak, gibt es ja in NRW absurderweise noch Shisha-Bars. Es ist natürlich schwierig, hier zu kontrollieren, was da in den Pfeifen verbrannt wird. Meine Vermutung ist schon, dass da auch oft Tabak brennt …

… was sich mit den Meldungen des Zolls deckt, die immer wieder größere Mengen unverzollten Tabaks in Shishabars sicherstellen …

Ich glaube, es gibt da ein Vollzugsproblem.

Die Shisha-Bars sind eine riesige Baustelle in NRW. Fragt man bei den zuständigen Ministerien an, bekommt man fast schon sarkastische Antworten. Warum sich da auf der politischen Bühne keiner so richtig ran traut, weiß ich nicht.

Ich auch nicht.

Gibt es denn noch etwas zu verbessern am Nichtraucherschutz in NRW?

Das Gesetz ist grundsätzlich gut gemacht. Soweit ich weiß, ist es auch das strengste in ganz Deutschland. Das Problem ist meistens nicht das Gesetz, sondern der Vollzug. In unserer Umfrage von 2017 haben viele angegeben, dass in Diskotheken, in Spielhallen, Kneipen und Restaurants geraucht worden ist – trotz des Verbots. Für den Vollzug sind die lokalen Behörden zuständig und denen fehlt auch das Personal, um da regelmäßig zu kontrollieren. Da wird dann nur anlassbezogen kontrolliert. Wenn man da nicht hinterher ist, dann schleift sich das ein.

Wie erleben Sie die Tabaklobby – legen die Ihnen Steine in den Weg?

Wir tun unser Bestes, uns da ab und zu auch mal zu revanchieren und der Tabaklobby Steine in den Weg zu legen. Die Tabaklobby vertritt eben einfach ihre wirtschaftlichen Interessen und wir versuchen ein gewisses Gegengewicht darzustellen und Gesundheitsinteressen zu vertreten. Der Gesundheitsschutz hat in Deutschland ansonsten keine Lobby. Wir erleben tagtäglich, wie schwierig  es in Deutschland ist, nachgewiesenermaßen wirksame Tabakprävention umzusetzen. Wir sind ja in der Tabakprävention in der glücklichen Lage, dass wir wissen, was wirkt, weil wir Erfahrungen aus anderen Ländern und wissenschaftliche Studien haben. Das allein reicht der Politik oft nicht aus, um zu sagen, wir stellen uns jetzt für den Gesundheitsschutz und gegen die wirtschaftlichen Interessen bestimmter Industrien. Wir wissen aus verschiedenen Quellen, dass sich Politiker regelmäßig mit Vertretern der Tabak-Lobby treffen und über die Belange der Industrie diskutieren. Oft geht es mir so, dass ich die Argumente der Politiker höre, und die wirklich sehr nah an dem sind, was eben auch die Tabaklobby sagt. Da muss man nicht in die Glaskugel gucken, um zu wissen, wo das herkommt.

Die Profitorientierung siegt über den Gesundheitsschutz?

Das sieht man doch auch in der Automobilindustrie und in anderen Bereichen: Die Politik geht selten konsequent für den Gesundheitsschutz des Menschen vor. Stattdessen räumt sie den Herstellern und der Industrie sehr weitreichende Möglichkeiten ein, Profite zu machen auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung. Tabak ist aber ein überflüssiges Produkt. Es ist per se schädlich und man braucht es  einfach nicht.

Was funktioniert denn?

Die tatsächlich wirksamste Maßnahme sind Tabaksteuer-Erhöhungen. Wenn man heute die Steuern erhöht, sieht man morgen schon wie die Verkaufszahlen zurückgehen. Es senkt die Raucherzahlen und den Tabakkonsum. Es ist ja auch schon ein bisschen etwas gewonnen, wenn die Leute zwar weiter rauchen, aber weniger. Zweitens: Rauchverbote gehören auch zu den funktionierenden Präventionsmaßnahmen – die sind natürlich auch die wirksamste Maßnahme für den Nichtraucherschutz. Die haben aber auch Wirkungen auf Raucher, dass sie weniger rauchen und eher bereit sind, mit dem Rauchen aufzuhören. Und drittens: Tabakwerbeverbote sind wirksam. Werbung trägt dazu bei, dass Jugendliche mit dem Rauchen anfangen und Raucher eher nicht mit dem Rauchen aufhören.

Wenn Sie es sich wünschen könnten: Sollte Rauchen komplett verboten werden?

Ich würde mir vor allem wünschen, dass es eine bessere Unterstützung für Raucher gibt, die mit dem Rauchen aufhören wollen. Das machen andere Länder, wie Großbritannien, wesentlich besser. Dort gibt es staatliche „Stop-Smoking-Services“. Dort können Raucher hingehen, um sich beraten zu lassen, wie sie am besten mit dem Rauchen aufhören können. Welche Maßnahmen begleitend helfen wie eine Verhaltenstherapie oder medikamentöse Unterstützung und Nikotinersatzprodukte. Mittlerweile werden in Großbritannien auch E-Zigaretten und ähnliches empfohlen. Da gibt es eine aktive Rauchstopp-Unterstützung durch das Gesundheitssystem, weil man weiß, dass das künftig eine Menge Gesundheitskosten spart.

In Deutschland wird es Rauchern so schwer gemacht, mit dem Rauchen aufzuhören. Jemand der gerade mit dem Rauchen aufgehört hat, sieht hierzulande an der nächsten Haltestelle die Tabakwerbung, sieht an der nächsten Ecke den Zigarettenautomaten und wird an der Supermarktkasse oder der Tankstelle mit den massenhaft verfügbaren Zigaretten konfrontiert. Wir sind in Deutschland einigermaßen erfolgreich darin, Jugendliche vom Einstieg abzuhalten. Es rauchen ja wirklich wenige Jugendliche überhaupt noch. Aber wir haben massiven Nachholbedarf, wenn es darum geht, Raucher dabei zu unterstützen, mit dem Rauchen aufzuhören.

Aber es gibt doch Programme, Kassen bieten Ausstiegshilfen …

Ja, aber nur freiwillig. Die Kassen sind nicht gesetzlich verpflichtet die Unterstützung zum Rauchstopp zu zahlen, weil die Nikotinsucht nicht als Krankheit gilt – im Gegensatz zu anderen Abhängigkeiten wie dem Alkohol. Tabakabhängigkeit wird als Lebensstil betrachtet und nicht als Erkrankung. Die Kassen unterstützen teilweise Kurse zur Rauchentwöhnung, weil sie wissen, dass es sich auch für Sie rechnet. Aber eine flächendeckende Unterstützung haben wir in Deutschland einfach nicht. Wir wollen da in der Politik ein Umdenken erreichen.

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