NSU-Pannen führen zu Rücktritt - Vorwürfe gegen Land Berlin
Die Pannenserie bei den Ermittlungen zur NSU-Terrorzelle entwickelt immer mehr politische Sprengkraft. Sachsen-Anhalts Verfassungsschutzpräsident Volker Limburg trat am Donnerstag wegen Versäumnissen in seinem Haus zurück.

Limburgs Bitte um Versetzung in den Ruhestand wurde entsprochen. Foto: Jens Wolf
Hintergrund ist eine Geheimdienstakte, die auch Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) in Erklärungsnot bringt. Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags erhob derweil neue Vorwürfe: Demnach soll das Land Berlin einen wichtigen Hinweis auf den Aufenthaltsort der Terrorzelle verschwiegen haben. Außerdem könnte einer der Beschuldigten NSU-Fall V-Mann für den Staatsschutz am Berliner Landeskriminalamt gewesen sein.
Eine Aktenpanne beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) sorgt seit Tagen für Aufregung: Der Geheimdienst der Bundeswehr hatte bereits in den 90er Jahren eine Akte über den späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos angelegt. Die Information dazu ging an die Verfassungsschützer im Bund und in mehreren Ländern - Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Auch das Verteidigungsministerium - und Ressortchef de Maizière (CDU) - wussten seit Monaten von der Existenz der Unterlagen. An die Öffentlichkeit und den Untersuchungsausschuss gelangte die Information aber erst am Dienstag.
Die Verfassungsschützer in Sachsen-Anhalt hatten die Unterlagen in ihren Beständen, fanden sie aber erst nach dem Bekanntwerden im NSU-Ausschuss. Den Chef der dortigen Behörde, Volker Limburg, zwang die Panne nun aus dem Amt. Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff entließ Limburg am Donnerstag auf dessen Wunsch hin.
Der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag beklagte derweil eine weitere Aktenpanne - im Land Berlin. Erst jetzt habe der Ausschuss erfahren, dass dort bereits im Jahr 2002 ein Hinweis auf den möglichen Aufenthaltsort der untergetauchten Terrorzelle vorgelegen habe, sagte Unions-Obmann Clemens Binninger (CDU). Das Land habe diese Information aber nicht an die parlamentarischen Aufklärer weitergeleitet. Die Abgeordneten reagierten wütend und enttäuscht auf die Nachricht.
Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) versprach Aufklärung. «Wir ermitteln das mit Hochdruck, sowohl beim Verfassungsschutz als auch beim polizeilichen Staatsschutz», sagte Henkel im Abgeordnetenhaus.
Henkel wird auch wegen eines anderen Hinweises Rede und Antwort stehen müssen: Ein Beschuldigter im Fall NSU soll mehrere Jahre lang V-Mann des Landes Berlin gewesen sein. Dazu sagte Henkel, der Leiter des Staatsschutzes stehe dem NSU-Ausschuss als Ansprechpartner zur Verfügung. Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy (SPD) sagte, das Gremium sei über einen Hinweis auf den Mann informiert worden. «Das werden wir zu klären haben.»
Weitere Aufklärung verlangt das Gremium auch von der Bundesregierung zu der MAD-Akte Mundlos. «Das Thema ist für uns noch nicht erledigt», sagte Edathy. Im Oktober will sich der Ausschuss in einer Sondersitzung mit den Ungereimtheiten rund um die Geheimdienstakte beschäftigen. Die Runde behält sich vor, dazu auch de Maizière zu laden.
Der Ressortchef bedauerte die späte Entdeckung der Akte, wies aber den Vorwurf von sich, etwas verschwiegen zu haben. Sowohl der MAD als auch sein Haus hätten sich korrekt verhalten, sagte er bei einem Besuch der Luftfahrtmesse ILA. Korrekt sei in dem Fall aber nicht gut genug gewesen. Der «Bild»-Zeitung (Freitag) sagte de Maizière: «Ich scheue mich nicht, dem Ausschuss Rede und Antwort zu stehen. Aber ob das notwendig ist, muss der Ausschuss selber entscheiden.»
Neue Fragen dürfte auch die Tatsache aufwerfen, dass die Bundeswehr Mundlos offenbar trotz eindeutiger Hinweise auf seine rechte Gesinnung und eines laufenden Strafverfahrens während seiner Wehrdienstzeit beförderte. «Spiegel Online» berichtete unter Berufung auf die Personalakte von Mundlos, dass die Bundeswehr den damals 22-Jährigen routinemäßig zum Gefreiten beförderte, obwohl er kurz zuvor wegen seiner rechtsextremen Einstellung mit einem Disziplinararrest belegt worden war.
Der Untersuchungsausschuss befasst sich seit Jahresbeginn mit den Verbrechen des «Nationalsozialistischen Untergrunds». Der Terrorzelle sollen neben Mundlos die Jenaer Neonazis Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe angehört haben. Der NSU soll für zehn Morde verantwortlich sein. Mundlos und Böhnhardt sind tot. Zschäpe sitzt seit dem vergangenen November in Untersuchungshaft. Wie der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe am Donnerstag mitteilte, bleibt die 37-Jährige in Haft.
Neonazi-Untersuchungsausschuss