NRW will anonymisierte Bewerbungen abschaffen

Keine Wirkung?

Ausländer haben auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht die gleichen Chancen. Darin sind sich alle Landtagsabgeordneten in NRW einig. Aber helfen anonymisierte Bewerbungen? Die neue schwarz-gelbe Regierung meint nein und will sie abschaffen. Die Opposition will sie beibehalten. Wir haben uns die Fakten angeschaut.

DÜSSELDORF

, 13.07.2017, 20:00 Uhr / Lesedauer: 2 min
NRW will anonymisierte Bewerbungen abschaffen

Wer einen türkischen Namen hat, hat schlechtere Chancen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, als Bewerber mit einem deutschen Namen. Die Chance ist um 14 Prozent geringer, in kleinen Unternehmen sogar um 24 Prozent.

Die ehemalige rot-grüne Vorgängerregierung hatte daher in einigen Bereichen des Öffentlichen Dienstes ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren eingeführt, um Bewerbern mit Migrationshintergrund und fremd klingendem Namen faire Chancen einzuräumen. Dieses Verfahren will die neue schwarz-gelbe Landesregierung jetzt aber wieder abschaffen. Die Ziele seien nicht erreicht worden, sagte der neue Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag. 

Einen Nachweis, dass das Verfahren Vorteile gebracht habe, gebe es nicht, sagte Stamp in der von der SPD-Opposition beantragten Aktuellen Stunde. Die Anonymisierung des Verfahrens beziehe sich nur auf die erste Stufe der Bewerbung. So verlagere sich mögliche Diskriminierung lediglich auf spätere Stufen des Bewerbungsverfahrens, also z.B. das Bewerbungsgespräch. 

Noch radikaler formulierte es der CDU-Abgeordnete Jörg Blöming und sagte, wer keine Frauen, Migranten oder Behinderte einstellen wolle, werde „im Bewerbungsgespräch nicht vom Saulus zum Paulus“. Seine langjährige Erfahrung als Ausbildungsleiter der Stadt Erwitte habe gezeigt, dass das anonymisierte Bewerbungsverfahren keine Vorteile bringe.

Studie zeigt Wirkung von Anonymisierung

Das Gegenteil zeigt aber eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2012. In dem Pilotprojekt wurden ein Jahr lang bei der Bewerbung auf unterschiedliche Stellen in verschiedenen Unternehmen (u.a. Deutsche Post, L'Oréal, Telekom) und im öffentlichen Dienst (u.a. auch in NRW) Angaben wie das Geschlecht, Geburtsort, Alter, Familienstand und Foto anonymisiert.

Die Forscher untersuchten dann, ob Frauen und Bewerber mit Migrationshintergrund trotz Anonymisierung seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen wurden, als die Vergleichsgruppe. Das Ergebnis: Nein. Die Anonymität lenkte den Fokus rein auf die Qualifikationen der Bewerber, sodass alle Gruppen bei selber Qualifikation dieselben Chancen hatten, eingeladen zu werden.

Aber wie sieht das im Vergleich zu nicht-anonymisierten Bewerbungen aus? Werden Bewerber wirklich weniger diskriminiert, wenn ihre Daten anonymisiert werden?

Bessere Chancen für Frauen, Gleichstellung für Migranten

Die Studie zeigt: Ja. Dazu verglichen die Forscher ihre erhobenen Daten mit den Zahlen früherer Stellenausschreibungen, bei denen die Unterlagen noch nicht anonymisiert waren.

Frauen hatten tendenziell bessere Chancen, zur zweiten Stufe des Bewerbungsprozesses eingeladen zu werden, als bei der nicht-anonymisierten Bewerbung. Für Bewerber mit Migrationshintergrund war die Wahrscheinlichkeit, eingeladen zu werden, höher, wenn sie vorher diskriminiert wurden und sie behielten dieselben Chancen, wenn sie auch vorher nicht diskriminiert wurden.

Die Studie zeigt also, dass anonymisierte Bewerbungen durchweg zu weniger Diskriminierung und mehr Chancengerechtigkeit führen oder bereits relativ diskriminierungsfreie Bewerbungsprozesse so beibehalten.

Weniger Aufwand durch Anonymisierung

Befragungen im Rahmen des Projekts fanden heraus, dass die Bewerber bei anonymisierten Bewerbungen ihre Chancen besser einschätzten und außerdem die Bewerbung tendenziell als weniger aufwändig wahrnahmen, als eine herkömmliche Bewerbung.

Ähnliche Ergebnisse zeigten sich bei der Befragung der Personalverantwortlichen: Die anonymisierten Bewerbungen, die oft auch über Online-Fragebögen durchgeführt wurden, reduzierten den Aufwand im Bewerbungsprozess auch auf Seiten der potenziellen Arbeitgeber. Das stellte auch die ehemalige NRW-Landesregierung in einem Abschlussbericht zu dem Pilotprojekt fest.

Allerdings ändern auch all diese Vorteile nichts daran, dass die Diskriminierung sich einfach auf spätere Stufen im Bewerbungsprozess verschieben kann. Unbewusste Diskriminierung auf der ersten Stufe kann mit anonymisierten Bewerbungen aber vermindert werden, ohne Schaden oder höhere Kosten zu verursachen. Einen wirklichen Grund, das Verfahren wieder abzuschaffen, gibt es also eigentlich nicht.

Kritik aus der Opposition

Trotzdem will die schwarz-gelbe Regierung nun neue Instrumente erproben, damit nur die Qualifizierung über die Stellenvergabe entscheide.

SPD und Grüne kritisierten die Rückabwicklung des Verfahrens aber als „rein ideologische Abbruchpolitik“. In vielen Ländern sei die anonymisierte Bewerbung Standard; auch in der Privatwirtschaft gingen bereits namhafte Konzerne mit diesem Modell voran, sagte der SPD-Abgeordnete Ibrahim Yetim. Die Grünen-Abgeordnete Berivan Aymaz sprach von einem ersten Schritt gegen Diskriminierung. Die Abschaffung des Verfahrens sei ein falsches Signal.