Nord-Stream: Viertes Leck gefunden – doch eine Leitung stabil

Sabotage an Gasleitungen

Experten gehen davon aus, dass es sich bei den Lecks in den Nord-Stream-Gasleitungen um Sabotage handelt. Jetzt wurde ein viertes Leck gefunden.

Stockholm

29.09.2022, 11:19 Uhr / Lesedauer: 4 min

An den Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee gibt es insgesamt vier statt wie bisher bekannt drei Lecks. Zwei davon befinden sich in der Ausschließlichen Wirtschaftszone Schwedens und zwei in derjenigen Dänemarks, wie die Kommandozentrale der schwedischen Küstenwache am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur bestätigte.

Bislang war stets von drei Lecks die Rede gewesen, auch von Regierungsseite - zwei in der Wirtschaftszone Dänemarks und eines in der von Schweden.

Zuerst hatte die schwedische Zeitung „Svenska Dagbladet“ darüber berichtet. Demnach sollen sich die beiden Lecks in schwedischen Gewässern dicht beieinander in der Nähe von Simrishamn befinden.

Leitung B ist weiter stabil

Ein Sprecher der Nord Stream 2 AG sagte der Deutschen Presse-Agentur, schwedische Behörden hätten das Unternehmen über ein weiteres, kleineres Leck informiert. Es sei die bereits durch das zunächst bekannte Leck beschädigte Leitung des Doppelstrangs - Leitung A - betroffen. Leitung B sei weiterhin stabil. Für diese Leitung sei auch kein Druckabfall registriert worden.

Nach derzeitigem Stand gibt es somit an beiden Leitungen von Nord Stream 1 jeweils ein bekanntes Leck und zwei an einer der Leitungen von Nord Stream 2.

? Wie geht es jetzt weiter?

Der Betreiber der Pipeline Nord Stream 1 schließt eine Reparatur des beschädigten Doppelstrangs zumindest derzeit nicht aus. Zurzeit sei allerdings grundsätzlich nichts auszuschließen, sagte ein Sprecher der Nord Stream AG am Mittwoch. Für eine Beurteilung müssten zunächst die Schäden begutachtet werden. Bisher gebe es keine Bilder. Erst nach einer Begutachtung könne man ein etwaiges Vorgehen festlegen. Es gebe Erfahrungen und Anbieter für entsprechende Arbeiten. Zu möglichen Kosten und wer diese übernehme, wollte der Sprecher wegen der fehlenden Informationen über die Schäden keine Angaben machen.

Für die Nord Stream 2 AG dürften etwaige Erkundungen oder gar Reparaturen auch deshalb schwierig werden, weil das Unternehmen seit Anfang des Jahres unter US-Sanktionen steht, die Geschäfte mit dem Unternehmen mit Sitz in der Schweiz unmöglich machen.

Flüssiggaslieferungen können Gas aus Russland nur bedingt ersetzen

Als Ersatz für ausbleibende Energielieferungen aus Russland erhält Deutschland Flüssiggas (LNG) aus den Vereinigten Arabischen Emiraten. Während des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz in dem Golfstaat schloss der Essener Energiekonzern RWE am Sonntag einen Vertrag über eine erste Lieferung von 137.000 Kubikmetern LNG ab. Es soll die erste Lieferung sein, die im Dezember 2022 am neuen LNG-Terminal in Brunsbüttel bei Hamburg eintreffen soll. Laut RWE wurde ein Memorandum über mehrjährige Lieferungen ab 2023 unterzeichnet.

Zum Vergleich: Vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine floss allein am 1. Februar nach Angaben des Betreibers Gas mit einer Energiemenge von 1,7 Millionen Kilowattstunden durch die Pipeline Nord Stream 1. Die jetzt vereinbarte erste Lieferung von 137.000 Kubikmetern Flüssiggas für RWE per Schiff aus den Vereinigten Arabischen Emiraten entspricht 1,37 Millionen Kilowattstunden.

? Wie kamen die Lecks zustande?

Eine länderübergreifende Ermittlung soll Licht in die offenkundige Sabotage der Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee bringen. Drei von inzwischen vier entdeckten Lecks an den Gasröhren liegen in wenigen Kilometern Abstand zueinander, wie die schwedische Küstenwache am Donnerstag mitteilte.

Aus Brüssel hieß es, die Lecks seien wohl eine gezielte Tat. „Alle derzeit verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass dies das Ergebnis vorsätzlicher, rücksichtsloser und unverantwortlicher Sabotageakte ist“, hieß es in einem Statement des Nordatlantikrats der 30 Mitgliedstaaten. Ein möglicher Drahtzieher wurde nicht genannt.

Nun beginnen Ermittlungen, an denen sich auch die Deutsche Marine beteiligen soll. Sie hat den Ostseeraum im Blick und setzte zuletzt wegen der Eskalation der Spannungen mit Russland wieder verstärkt Flottendienstboote ein. Die Aufklärungsschiffe sind „Auge und Ohr“ der Marine, damit der gesamten Bundeswehr und somit auch der Nato.

Auch deutsche Seefernaufklärer P-3C Orion sind immer wieder über dem Gebiet unterwegs gewesen. Mit einem Magnetanomalie-Detektor können diese Flugzeuge U-Boote im Erdmagnetfeld unter dem Flugzeug erkennen. Dazu kommt die Überwachung von Land unter und über Wasser.

Die Ermittlungen haben bereits begonnen - auch ohne dass man bislang an die Lecks herankommt. EU-Kommissarin Ylva Johansson äußerte sich zuversichtlich, dass herausgefunden werden kann, wer hinter dem mutmaßlichen Sabotageakt steckt. Bislang gibt es dazu zwar nur Arbeitshypothesen, doch die Auswertung der Radar- und Satellitendaten von Booten, Schiffen und U-Booten, die sich im fraglichen Zeitraum in dem Gebiet aufhielten, läuft auf Hochtouren.

Im Blick haben die Ermittler aus Dänemark, Schweden und Deutschland beispielsweise die Frage der Reichweite, also wie weit ein Militärtaucher mit einer größeren Last maximal schwimmen könnte. Immerhin geht man davon aus, dass für die beobachteten und von Sensoren registrierten Explosionen insgesamt mehrere Hundert Kilogramm Sprengstoff verwendet wurden.

Dass Sprengstoff in einer Art Kommando-Operation erst in den letzten Wochen angebracht wurden, ist mitnichten klar. Genauso könnte ein „staatlicher Akteur“ Sprengsätze vor schon längerer Zeit angebracht haben - vor Monaten oder gar Jahren.

Zahlreiche Manöver vor Ort

Die Herausforderung ist die Rekonstruktion der Tat in einem Gebiet, das intensiv genutzt wird. Erst im Juni hatte die Nato ihre Marine-Übung Baltops 22 in Gewässern vor der dänischen Insel Bornholm abgehalten. „Geübt wurden amphibische Operationen, U-Boot-Bekämpfung, Luftverteidigung, Luftunterstützung maritimer Operationen, Minenräumung, Kampfmittelbeseitigung sowie Tauch- und Bergungseinsätze“, schreibt die Bundeswehr. Derzeit läuft in der Ostsee das Seemanöver Northern Coasts 22.

Der Sicherheitsexperte Johannes Peters vermutete am Donnerstag Russland hinter dem mutmaßlichen Sabotageakt. „Das wirkt vordergründig natürlich etwas widersinnig, die eigenen Pipelines zu zerstören“, sagte der Experte vom Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel im ARD-„Morgenmagazin“. Es gebe aber gute Gründe. Ein Grund sei sicherlich, ein „starkes Signal“ an Europa zu senden, vor allem an Deutschland und Polen, dass man dasselbe auch mit Pipelines machen könnte, die für unsere Versorgungssicherheit deutlich wichtiger seien.

Ein weiterer möglicher Grund für einen möglichen russischen Sabotageakt sei, dass man im Winter „die noch intakte Nord-Stream-2-Röhre dazu nutzen kann, um Druck auf Deutschland zu erhöhen, wenn beispielsweise der innenpolitische Druck auf die Regierung wachsen sollte, weil die Gaspreise hoch sind, weil wir vielleicht doch nicht genügend Gas haben für den Winter.“

Russland weist Verantwortung zurück

Auch der Kreml vermutet nach eigenen Angaben einen Staat hinter der Tat und spricht von einem Terrorakt, wie Sprecher Dmitri Peskow nach Berichten russischer Nachrichtenagenturen sagte. Vermutungen westlicher Sicherheitsexperten, wonach sein Land selbst hinter dem mutmaßlichen Sabotageakt stecke, wies er als „dumm“ zurück. Im Gebiet der Lecks an den Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 hätten sich weit mehr Schiffe und Flugzeuge der Nato aufgehalten als russische, betont er.

Auch der Außenminister Litauens, Gabrielius Landsbergis, sprach von einem „Terrorakt“, sah allerdings als Ziel, Angst zu schüren und die Versorgung Europas mit Gas zu erschweren. Und: „All dies entspricht zumindest aus politischer Sicht der Definition eines terroristischen Aktes, die rechtliche Bewertung wird später erfolgen.“

dpa/kar

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